Ich stehe in einer Reithalle, in der rechten Hand halte ich die Zügel eines Pferdes, die mir eine Freundin mit den Worten „Jetzt geh mal Deinen Weg und führe das Pferd mit Dir“ übergeben hat.
Es ist ein Parcours mit Hindernissen aufgebaut, die ich umrunden soll – mit dem Pferd. Ich zögere. Ich bin unsicher. Dann will ich losgehen, aber das Pferd will mir nicht folgen. Ich bin verzweifelt, schäme mich. Nicht einmal das kann ich. Ich gebe die Zügel ab und gehe nach draußen. Tränen laufen mir die Wangen runter. Ich hatte mal wieder versagt.
Dieses Erlebnis ist ein halbes Jahr her. Mittlerweile habe ich durch meine Recherche zum Thema Arbeit mit Pferden einiges erfahren, z.B. dass das Pferd ein Herden- und Fluchttier ist und den Menschen als Sozialpartner akzeptiert und sich ihm entsprechend einordnet. Das Pferd in der Reithalle hat sich mir im
ersten Ansatz untergeordnet, hat sich mir anvertraut. Als es jedoch meine Unsicherheit gespürt hat, war es selbst unsicher und wollte sich nicht mehr von mir führen lassen. Das Pferd hat entsprechend seiner Natur als Herden- und Fluchttier gehandelt und entschieden, dass es sich nicht der Führung eines
unsicheren Lebewesens anschließt.
Besagte Freundin berichtete mir später, dass sie Pferde als sehr gute Spiegel ihrer Gefühle erlebe, dass Pferde diese ungefiltert wahrnehmen und signalisieren, besser als jeder Mensch. Pferde sind, da sie nicht wie wir Menschen sprechen können, Meister im Lesen von Körpersprache und Stimmung. Schließlich müssen sie in freier Wildbahn schnell und zuverlässig einschätzen können, ob ihr Gegenüber Gefahr bedeutet oder guten Kontakt.
Mir hatte das Pferd in der Reithalle ganz klar meine Unsicherheit gespiegelt. Das tat zwar weh, war aber eine gute und heilsame Rückmeldung für mich.
Erst kürzlich hatte ich wieder die Gelegenheit, mit einem Pferd in Kontakt zu kommen. Meine Probestunde beim Angebot „Arbeit mit Pferden“ vom ASB (siehe auch Interview) hatte ich hinter mir, weitere folgten. Bei der letzten Stunde hatte ich den Wunsch, ganz und gar den Kontakt des Pferdes zu spüren. Es war das letzte Mal vor der Winterpause und ich war schon vor der Stunde in Abschiedsstimmung. Beim Anblick des Pferdes erfasste mich große Traurigkeit, Tränen flossen. Irgendwie unverhältnismäßig, dachte ich. Ich kannte das Pferd doch noch gar nicht so lange. Doch es war mir wohl schon in kurzer Zeit vertraut geworden. Dann war ich an der Reihe. Ich durfte gemäß
meines Bedürfnisses direkt, ohne Sattel oder Decke und Gurt, auf dem Pferd sitzen, welches im Schritt geführt wurde. Und nicht nur das. Ich durfte auch drauf liegen mit meinem Oberkörper Richtung Gesäß des Pferdes, mit meinen Armen den Pferdekörper umfassend. Dieses Gefühl war einfach großartig.
Dieser warme, weiche, große Körper fühlte sich nach ganz viel Geborgenheit an. Wir standen eine ganze Weile so ruhig da. Es war ein Augenblick absoluten gegenseitigen Vertrauens. Meine Traurigkeit war in Dankbarkeit für diesen Moment des Angenommenseins gewichen. Ich fühlte mich in Sicherheit. Zuversichtlich, im nächsten Jahr wieder kommen zu dürfen, verabschiedete ich mich.
Besagte Freundin berichtete mir auch davon, dass sie mit Selbstzweifeln zu kämpfen habe und es ihr wahnsinnig viel bedeute, wenn ein Pferd ihr ganz frei hinterherliefe oder neben ihr läge. Da sei sie in den Augen des Pferdes eine sehr vertrauensvolle und zuverlässige Person und sie könne so ein schlechter
Mensch, wie sie es vielleicht selbst denke oder gesagt bekomme, nicht sein. Es helfe ihr sehr, wieder an sich zu glauben.
Wenn wir in die Geschichte von Pferd und Mensch gucken, stellen wir fest, dass uns das Pferd als verlässlicher Begleiter nicht neu ist. Gemeinsam haben wir einen Teil unserer Evolution vollzogen. Mit der Nutzung des Pferdes als Reit- und Lasttier konnten wir unseren Aktionsradius auf der Erde erheblich erweitern. Hoch zu Ross waren wir im Kampfe unseren Gegnern, die noch zu Fuß unterwegs waren, weit überlegen. Der Besitz eines oder mehrerer Pferde verschafft uns in vielen Kulturen ein hohes Ansehen. Oft werden die äußerlichen und innerlichen Eigenschaften des Pferdes auch uns als Reiter
zugeschrieben. Wir erkennen uns gegenseitig als soziale Wesen an und vertrauen einander. Und hier setzt die therapeutische Arbeit mit Pferden an. Die Fachliteratur beschreibt detailliert die verschiedenen Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten. Gemeinsam ist ihnen allen der intensive Kontakt zwischen Patient und Pferd und das damit verbundene Vertrauen.
Die Theorie hatte schon etwas in mir angerührt, doch die eigene Erfahrung im Kontakt mit einem Pferd hat mich überzeugt vom Einsatz des Pferdes im Heilungsprozess.
Das Gesundheitswesen in Deutschland ist da leider noch nicht so weit und behandelt diese Art der Therapie aufgrund fehlender aussagekräftiger Studien noch etwas stiefmütterlich. Doch wer Interesse hat, es einmal auszuprobieren, kann mit ein bisschen Eigeninitiative ein für sich geeignetes Angebot
finden (siehe auch Interview). Nur Mut!