Autor:in: Terpentine

Das letzte Streichholz (und der Luftballon)

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Inhaltsangabe:

Es geht in dem Text darum, wie sich bei mir persönlich die Sucht nach Stoffen entwickelte, die es mir ermöglichen, aus der für mich so unerträglichen Realität auszubrechen. Ich möchte gerne mit dem Text einerseits zeigen, dass es sehr wohl möglich sein mag, ein befriedigendes Leben zu führen ohne diese Stoffe. Mein Wunsch ist es aber auch aufzuzeigen, wie schwierig sich das gestaltet, und dass es fast unmöglich ist, ein täglicher Kampf! Ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt, für dieses schwierige Thema mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erlangen! Das wäre ein großes Ziel! Natürlich wird der Text jeden suchtkranken und auch nichtsuchtkranken psychisch erkrankten Leser triggern! In dem Text geht es auch um Mobbing in der Schul- und Ausbildungszeit und um Scheidung der Eltern.

Wendezeit! 1989/90! Unsere Klasse in der Schule wurde plötzlich völlig auseinandergerissen. Die Scheidung meiner Eltern fiel komischerweise ebenfalls genau in diese Zeit. Und weil ich mich selbst schon immer von anderen Menschen; besonders von Gleichaltrigen; unterschied, war ich dasjenige Küken, das von den anderen gepickt wurde, solange bis es tot war. Innerlich tot mir selbst gegenüber! Und den Menschen gegenüber, die mir etwas bedeuten sollten eigentlich.

Von außen, der Versuch, unsichtbar zu bleiben. Was mir aber nie gelang. Je mehr ich nicht gesehen werden wollte, desto mehr machte ich unfreiwillig auf mich aufmerksam. Ich begriff damals schon, dass dies nun mal das normale Verhalten von Lebewesen innerhalb einer Gruppe sein müsse. Bei Menschen wie bei Tieren. Bei all meiner Enttäuschung darüber mit damals 13 Jahren, (einem schwierigen Alter, wie ich heute weiß – aber welches Alter wäre jemals nicht schwierig für mich gewesen?!), wusste ich, völlig desillusioniert, völlig demotiviert und hoffnungslos, dass dieser Umstand wohl nicht zu ändern sei. Menschen wie Tiere waren so. So sah das Leben aus.

Die Gegenwart war genau wie sonst jedwede Vorstellung, die ich überhaupt jemals über meine Zukunft haben konnte, angsterfüllt und ohne jede Hoffnung. Es gab nicht nur kein Licht irgendwo in der Ferne, nein, man musste diesen klimmenden Restdocht auch noch auspusten, das letzte Streichholz ins Wasser werfen! Unbedingt in den Luftballon stechen, so dass er mit einem lauten Knall zerplatzte, und ich die Tränen nicht mehr halten konnte.

Später war ich dann irgendwann notgedrungen Berufsanfänger. Aufgrund dessen, in was für eine Familie ich hineingeboren wurde, lernte ich; wie viele andere damals auch; irgendeinen Beruf, nur damit man einen Beruf lernt. Für mich war es weiterhin ein unlebenswertes Leben. Hatte mich aber schon damit abgefunden damals. Mit meiner Zukunft genauso abgeschlossen, wie mit irgendwelchen traumhaften Wünschen. Es wurde einem eingetrichtert, dass Wünsche im Keim zu ersticken genau diejenige Realität sei, durch die alle Menschen nun mal gehen mussten. Dass also das Leben genau daraus bestand. Alles andere? Kindische naive Träumerei. Selbst von ausgebildeten Pädagogen wurden meine unaushaltbaren Ängste, die ich besonders vor gleichaltrigen Menschen hatte, nicht mal ansatzweise versucht zu verstehen, sondern für nichtig erklärt und förmlich wegdiskutiert mit Sätzen wie: „der braucht lediglich mal einen Tritt in den Arsch! Sowas hat uns früher auch gut getan.“ Auch wollte man mir eintrichtern, dass ich wohl zu einer besonders faulen Generation gehörte. Gerade mir, der ich überhaupt keiner Generation angehörte. Wer gehört schon wirklich einer Generation an?

Als ich eines Morgens wieder eine solch große Angst davor hatte, in die Ausbildung zu gehen; wo sie sich nur darüber freuen würden, wenn ich erschien, damit sie das allerschwächste Glied in einer Kette, die noch niemals aus meiner Sicht als solche bestand, drangsalieren, schlagen, bespucken und tyrannisieren konnten; ging ich zum Arzt. Ich wollte um jeden Preis einen Krankenschein! Einen Krankenschein als Rettungsring für ein paar Stunden! Den bekam ich auch umgehend. Und nicht nur den: Mein damaliger Hausarzt hörte mich ab, und „stellte fest“, dass mein Herz viel zu schnell schlug. Deshalb verschrieb er mir; wie er es mir gegenüber damals ausdrückte; ein „Herzmittel“! Gleichzeitig versuchte er mich zu beruhigen, dass ich kein ernsthaftes Problem mit meinem Herzen hatte, es wäre eine vorübergehende Angelegenheit. (welch Ironie)

Da ich damals aber schon ziemlich bewandert war, was Suchtmittel angeht, durch den Alkoholismus meines älteren Bruders und meines Vaters, schaute ich auf dem Weg zur Apotheke das Rezept mehrmals genauer an. Und darauf stand doch tatsächlich: Diazepam! „Diazepam? Moment, das kennste doch!“, sprach ich selbst wie von Ferne zu mir. Irgendetwas wie Hoffnung oder Licht kam nach langer, langer Zeit in meinem Leben auf! In mir fing etwas an zu jubeln, die Sonne fing auf einmal an zu scheinen!

Oh man! Das musste ein verdammt guter Arzt sein, so sehr zu erkennen, was mir eigentlich fehlt!
Dass ich abhängig wurde, körperlich und psychisch, ging sehr schnell. Innerhalb eines Jahres litt ich an Entzugserscheinungen, wenn ich sie abrupt absetzte, einfach, weil so schnell wie ich sie konsumierte, ich nicht an neue Packungen Tabletten rankam. Selbst bei allem Erfindungsreichtum, den ich mir normalerweise zu Nutze machte, um an den Stoff zu kommen. So hatte sich das innerhalb eines Jahres entwickelt.
Anfangs wusste ich nicht mal, dass ich im Entzug war. Keiner sagt einem das, wie sich das anfühlt. Ich fragte mich einfach, warum in aller Welt es mir so unheimlich und unbeschreiblich dreckig ging. Gemein war ja auch, gerade bei Diazepam, dass der Entzug so verspätet eintritt. Man stellt die Verbindung zum Wirkstoff gedanklich nicht mehr her, da Diazepam eine unheimlich lange Halbwertszeit aufweist. Dafür der Entzug aber unendlich lange dauert! Mir ging es so dreckig, dass ich kaum Worte dafür finde. Es ist wie als würde dein allerletzter einziger Nerv an einem ganz dünnen Faden hängen, der jederzeit reißen kann, und wenn das passiert, dann ist es aus! Es gibt keine Sekunde, die du imstande wärst zu überleben! Und niemand versteht das! Du verbrennst! Es ist wie als wärst du in einem Kessel unter dem eine heiße Flamme brennt. Als würdest du geschmort. Alles tut weh! Du weißt genau, dass es noch niemals jemandem auf der Welt so schrecklich ging. Du kannst nicht denken, du kannst deine Gliedmaßen nicht mehr kontrollieren, wenn dir Menschen begegnen! Noch über eine Straße gehen! Du spürst deine Arme und Beine nicht mehr, während du abwechselnd in Schweißausbrüche und Frostanfälle fällst. Du kannst deinen Namen nicht mehr schreiben. Deine Hände versagen, weil die Nerven nicht funktionieren, wie sie sollen. Du kannst nicht mehr reden, weil die Zunge zu weit entfernt ist vom Gehirn und die Verbindung fehlt. Nächte sind der Tod! Tage noch viel mehr! Wenn dich jetzt jemand böse angucken würde oder anschreien, damit könnte sie/er dich umbringen. Der Druck auf der Brust ist fast nicht mehr auszuhalten! Jedes Wort, das jemand plötzlich an dich richtet, ist schmerzvoll. Du kannst dir nicht vorstellen, weiter zu leben. Ich weiß nicht, warum ein Mensch durch so viel Leid und Schmerz gehen muss. Ich weiß nicht, warum ein Mensch in der Lage ist, sich selbst so viel Leid zuzufügen! Ich wünsche das niemandem!

Eines Tages beging ich einen Bruch! Das Verlangen war nicht mehr bändigbar! Das Verlangen, sich zu fühlen wie ein in meiner damaligen Vorstellung „normaler Mensch“! Ich brach in eine Apotheke ein! Mit nem schönen Beutel voll Distraneurin, Diazepam (Valium), Lorazepam (Tavor), Flunitrazepam (Rohypnol), wollte ich schon fröhlich meiner Wege gehen, als die Polizei mich gerade auf frischer Tat ertappte, und mir das alles wieder wegnahm! Mir war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, was ich da getan hatte. Mir tat nur der Verlust des Beutels voller Glück und Frieden leid! Unheimlich leid!
Seit meinem ersten Kontakt mit Diazepam hatte ich mir natürlich in der Zwischenzeit mehrere Bezugsquellen für verschiedenste Benzodiazepine erschlossen. Ich dachte mir gewisse Maschen aus, was ich zu den Ärzten sagte, um relativ einfach zur damaligen Zeit daran zu kommen.
Innerhalb des Jahres, das es dauerte bis zum Gerichtsurteil für meine Tat (die ich auch hier nicht schön reden möchte), war ich soweit, dass ich, wenn ich an einem wunderschönen Morgen losging, um durch meine Geburtsstadt zu gehen; einer Kleinstadt, die ich nicht als meine Heimatstadt bezeichnen möchte; meine Kreise drehte, dass ich dann am Nachmittag mit einem vollen Beutel verschiedenster Benzodiazepine plus Distraneurin wieder nach Hause kehrte. Dann pfiff ich mir; zufrieden mit mir und glücklich, – die besagte Sonne schien- ; erstmal was ein. Mit schwarzem, sehr starken Kaffee, mit viel, viel Zucker! Darauf achtend, dass der Magen ja möglichst leer war (weshalb ich vorm Losgehen gar nicht erst was aß), weil dann das Gift am schnellsten und auch am heftigsten wirkt. Es war wie im Zuckerladen, wie im Bonbongeschäft: Man ging zum Arzt, teilte der Sprechstundenhilfe mit, was man wollte, sie stellte ein Rezept aus, und zwischen zwei Behandlungen unterschrieb der Arzt das Rezept. So war das damals!

Heute frage ich mich, wie ein Arzt auf einem einzigen Rezept ein Röhrchen Distraneurin, eine 50er Packung Tavor 2mg, und eine 50er Packung Diazepam 10er aufschreiben konnte? Auf einem einzigen Rezept!

Heute ist alles anders. Besonders in meinem persönlichen Leben und Umfeld. So hab ich mittlerweile eine ziemlich gute Einsicht in meine Suchterkrankung. Diese kommt vermutlich hauptsächlich aus meinen sehr schlechten Erfahrungen mit solchen Stoffen, was die Folgen des Konsums betrifft. Mittlerweile; obwohl ich immer noch nicht, und wahrscheinlich niemals ganz, vor einem Rückfall gefeit sein werde; habe ich solchen Respekt und eine abschreckende Art Angst davor, dass dies schon oft, besonders in der Anfangszeit der Abstinenz, mich vor einem erneuten Konsum bewahrte. Doch auf Dauer kann das nicht ausreichen. Die Sucht ist so stark, dass selbst die deutlichsten Bilder von zum Beispiel Obdachlosigkeit (von der ich kurzzeitig betroffen war, also meine Wohnung hatte ich verloren, und war etwa 2 Wochen tatsächlich auf der Straße), bis hin zu Persönlichkeitsveränderung (man klaut, und schlägt sich mit Leuten, man kauft Sachen, die man sich nicht leisten kann…, obwohl dies das direkte Gegenteil von dem ist, wie man sonst ist) über Verwahrlosung und tiefste Depressionen, Abspalten und Isolierung von jeglicher Art Menschen, – einen nicht auf Dauer abhalten können, wieder rückfällig zu werden! Das verblüfft mich aufs gefühlt tausendste Mal immer wieder zutiefst!

Doch es gehört zu einer dauerhaften Abstinenz mehr als die Angst vor den schlimmen Folgen! Vor allem, wenn man so konstituiert ist, dass man eher dazu neigt, sich selbst zu schaden, als anderen. Ganz im Ernst: ich leide jeden Tag vierundzwanzig Stunden, was macht es da? Was stört es mich, ob ich auf diese oder jene Art leide? Das Leben besteht nur aus Leid! Kurz, wenn man eine Persönlichkeitsstruktur aufweist, die dergestalt ist, dass man sich eher selbst schadet, bevor man irgendjemandem auf irgendeine Art und Weise weh tun würde, dann besteht die Gefahr, das Risiko abermals einzugehen, nur für den kurzen Moment, in dem die Droge einen von all den Qualen für ein paar Minuten befreit. Die Sehnsucht danach ist äußerst schwer zu stillen! Dass man dann dadurch anderen Menschen gerade weh tut, geht einem in diesem Moment nicht auf!

Es bedarf sehr viel Liebe! Verständnis! Während alle ihre hübschen Köpfe in die andere Richtung drehen, und du lernst, dass du dich auf niemanden verlassen kannst! Vor allem aber bedarf es einem Gegengewicht! Es müsste etwas geben auf der Welt, was einem mehr bedeutet, als das was einem der Stoff geben kann! Es müsste außerdem etwas sein, das man unter Konsum niemals erleben könnte! Danach zu suchen, das wäre der Weg. Dabei niemals zu vergessen, dass sogenannte schlechte Tage auch zum Leben gehören. Und wenn sie einem widerfahren, sich die Fähigkeit bewahren, sehen zu können, wie Kleinigkeiten, die viele Menschen gar nicht wahrnehmen, einen glücklich machen. Meistens sind es Dinge, die niemand bezahlen kann. Du musst ein bisschen stärker sein als andere, um durchzuhalten. Und wenn du es schaffst, dann darfst du dir was darauf einbilden! Auf jeden einzelnen Tag!

Ich wünsche jeder Person, die bis hierhin gelesen hat, einen Menschen an der Seite der zu ihr hält. Selbst wenn du gerade keinen Menschen gebrauchen kannst, und dich nach der Einsamkeit sehnst wie nie zuvor, so wünsche ich dir trotz allem einen Menschen, der dir deine Zeit nicht raubt, sondern dir welche schenkt. Möge diejenige Person einfach da sein! Wortlos, Vorwurfslos! Bedingungslos! Einfach da! So eine Person wünsche ich dir!

Ich wünsche dir, dass du so bleibst wie du bist! Fähig, das Schöne zu sehen! Fähig, das Schöne zu leben! Und ich wünsche dir ganz viel Frieden und Ruhe! Mögest du sehen, wer du wirklich bist! Du wirst einen solchen Menschen finden, dieser Mensch wird dich finden, sobald du einfach nur du bist, und authentisch. Du musst nichts tun. Du musst nur du sein, mit allem was dich ausmacht! Du musst dem Kind in dir die Liebe geben, die ihm gehört!

Wärme dieses Kind! Stille es! Halt es fest und schütze es vor allen Gefahren! Das was die Menschen nicht bringen konnten! Du bist jetzt dafür verantwortlich! Gib diesem Kind all deine Liebe, die du hast! Du bist jetzt erwachsen, und verdammt nochmal dafür verantwortlich, für jeden Schritt, den du tust! Es geht dabei nicht so sehr um den Schritt. Vielmehr geht es um den Grund, warum du diesen Schritt gegangen bist.

Ich hoffe, aus Liebe!

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