Vorwort
In dieser Geschichte geht es um einen beispielhaften Tag einer Frau mit ADHS. Frauen (und weiblich sozialisierte Personen) zeigen ihr ADHS häufig anders, weil sie es oft mehr verstecken und sich besser anpassen können. Da sie sich nicht verhalten wie der kleine, weiße cis Junge, der im Unterricht nicht stillsitzen kann, wird ihnen ihr ADHS oft erst, wenn überhaupt, im Erwachsenenalter diagnostiziert, wenn sie selbst mehr über ADHS lernen und sich darin wiederfinden.
Diese Geschichte gibt nur einen winzigen Einblick in ein riesiges, vielfältiges Thema. Auch, wenn einige Sachen generalisiert formuliert sind, gibt es mit Sicherheit auch da Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Alle genannten Verhaltensweisen sind menschliche Verhaltensweisen, die vermutlich fast jede:r in der einen oder anderen Form kennt. Ob man tatsächlich ADHS hat, erkennt man dann u.a. daran, wie viele der dafür typischen Verhaltensweisen man zeigt, wie häufig diese auftreten und wie sehr sie einen einschränken oder behindern.
Jede Person sieht die Welt auf ihre eigene Art und Weise, und wenn einige sagen „Dieses Verhalten zeige ich, weil ich ADHS habe“, kann das durchaus sein. Es heißt dann aber nicht, dass es ein generelles Kriterium für ADHS ist und auch nicht, dass alle ADHSler:innen oder nur ADHSler:innen das tun.
Disclaimer: Ich bin kein Experte, ich habe weder Psychologie noch Medizin studiert. Alles, was ich geschrieben habe, habe ich aus Literatur, Erfahrungsberichten und meiner eigenen Wahrnehmung. Diese Geschichte soll deshalb nicht als diagnostisches Material oder als Generalisierung für alle gesehen werden.
Begriffserklärung
ADHS: ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Es gibt drei verschiedene Erscheinungsbilder, die sich im Laufe des Lebens auch ändern können: unaufmerksam, körperlich hyperaktiv und kombiniert.
Weiblich sozialisiert: Menschen, die als Mädchen erzogen werden und aufwachsen, z.B. cis Frauen oder Trans Männer.
Cis: Die Abkürzung für cisgender. Cis ist man, wenn man nicht Trans ist; wenn man sich also mit dem Geschlecht identifiziert, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde.
Laura liegt auf dem Sofa und kann sich nicht bewegen. Also, theoretisch kann sie es schon, ihre Finger wischen auf dem Handy hin und her, als ihr Charakter entgegenkommenden Zügen ausweicht. Aber eigentlich würde Laura lieber etwas ganz anderes machen: Aufstehen. In nicht mal einer Stunde kommen ihre Freundinnen zu Besuch und in der Wohnung müsste vorher noch einiges gemacht werden. Trotzdem liegt sie seit zwei Stunden hier rum und schafft es einfach nicht, aufzustehen.
Laura kennt das. Sie hat ADHS, und dieses Phänomen nennt sich exekutive Dysfunktion. Von außen betrachtet sieht es aus, als würde sie faul auf dem Sofa entspannen und an ihrem Handy herumdaddeln. In Wirklichkeit versucht Laura, sich seit knapp zwei Stunden in Gedanken in den Arsch zu treten und endlich einfach aufzustehen. Dabei wird die Angst, die Dinge nicht rechtzeitig zu schaffen, immer größer und größer. Aber es geht nicht. Ihr Körper bewegt sich einfach nicht.
Mit einem Seufzer schließt sie ihr Spiel und öffnet eine andere App: TikTok. ADHSler:innen haben einen chronischen Dopamin-Mangel, durch den Dinge der exekutiven Funktion, also z.B. das Anfangen von Aufgaben, extrem erschwert sind. Und welche App ist besser geeignet, Dopamin zu produzieren, als eine voller kurzer Videos? Bei ADHS ist oft das Belohnungssystem des Gehirns gestört. Belohnungen in der Zukunft interessieren es kaum bis gar nicht, deshalb zieht Laura die Belohnung oft vor, um genug Dopamin zu sammeln, um die Aufgabe dann erledigen zu können. So wie jetzt.
Laura merkt, wie es wirkt. 20 Minuten später richtet sich ihr Körper endlich auf und sie schwingt die Beine vom Sofa. Sie hat Glück, denn es funktioniert nicht immer. Manchmal versackt sie für Stunden in der App und kommt einfach nicht davon los, und ihre Aufgaben schafft sie dann schon gar nicht. Es betrifft auch nicht nur nervige Dinge wie aufräumen, die sie eigentlich nicht machen will, sondern genauso Hobbies oder andere Sachen, die sie gern tun würde. Es ist anstrengend.
Vermutlich ist jetzt gerade auch ein großer Faktor, dass die Zeit drängt. Ein ADHS-Gehirn lässt sich in der Regel nämlich nur durch vier Dinge zum Tun anregen: durch Neues, Interessantes, durch Herausforderungen und durch Zeitdruck.
Sie hat letztens ein Video gesehen, in dem ein Professor, der sich sehr viel mit ADHS beschäftigt, gesagt hat, dass ADHSler:innen kurzsichtig seien, was die Zukunft anginge. Sie sehen sie einfach nicht oder nur unscharf, bis sie sich direkt vor ihrer Nase befindet. Vorrausschauend oder längerfristig planen ist deshalb gar nicht so einfach; es interessiert ihr Gehirn schlicht nicht.
Aber jetzt ist der Zeitdruck da, deshalb macht Laura ihre Musik lauter und beginnt, ihre Wohnung aufzuräumen. Bevor sie jedoch einen Schritt machen kann, hält sie wie erstarrt inne. Wo soll sie anfangen bei diesem ganzen Chaos? Laura ist kurz vorm Verzweifeln. Ihrem ADHS-Gehirn fällt es sehr schwer, herauszufinden, welche der anstehenden Aufgaben am wichtigsten ist und deshalb zuerst erledigt werden sollte. Gefühlt ist alles gleich wichtig, womit also anfangen? Ihr Körper bewegt sich erst in die eine Richtung, hält dann inne, möchte eine andere einschlagen. Laura stöhnt frustriert auf. Dann zwingt sie sich, ruhig stehenzubleiben, und schließt die Augen. Atmet. „Müll“, entscheidet sie dann, wendet sich dem Kaffeetisch zu und beginnt, den herumliegenden Plastikmüll einzusammeln. Als sie die Hände damit voll hat, geht sie in Richtung Mülleimer in der Küche. Auf dem Weg dorthin sieht sie jedoch ihre kleine Musikbox, die sie letztens mitgenommen hatte und die seitdem im Flur steht. Sie klemmt sie sich unter den Arm und bringt sie ins Schlafzimmer, wo sie hingehört. Dort sieht sie ihre Nintendo Switch auf dem Boden liegen, die ins Wohnzimmer gehört. Sie nimmt sie sich und trägt sie dorthin. Eine Weile beschäftigt sie sich damit, die Switch wieder anzuschließen, dann ist es erledigt. Laura sieht sich kurz um und macht sich dann daran, die Teller einzusammeln und in die Küche zu bringen. Auf dem Weg dorthin rennt sie gegen den Türrahmen. Sie nimmt es allerdings kaum wahr, sondern sieht stattdessen das ganze dreckige Geschirr, das sich in der Spüle stapelt. Stimmt, das hatte sie eigentlich auch noch vorgehabt. Sie stellt die Teller ab und öffnet die Spülmaschine. Verdammt, die ist noch sauber! Eilig macht Laura sich daran, das Geschirr in die Schränke zu räumen. Als sie einen davon aufmacht, findet sie überraschenderweise ihren Zollstock. „Da bist du!“, sagt sie und nimmt ihn aus dem Schrank. „Ich hab‘ dich schon gesucht!“ Laura geht zur Abstellkammer, um den Zollstock in den Werkzeugkasten zu legen. Sie stellt fest, dass die Abstellkammer ziemlich unordentlich ist, und beginnt, die Sachen wieder einzuräumen und ordentlich ins Regal zu stellen. Nach einer Weile ist sie fertig und verlässt die Abstellkammer zufrieden. Dann hält sie inne. Was hatte sie denn eigentlich tun wollen? Ach ja, das Wohnzimmer aufräumen. Sie geht dorthin, sieht, dass sie den Tisch abwischen müsste, und begibt sich in die Küche, um einen Lappen zu holen. Auf dem Weg dahin fällt ihr Blick auf die Uhr und sie bekommt leichte Panik. Wo ist die Zeit geblieben? Hatte sie nicht eben noch doppelt so viel?! Das muss wieder ihre Zeitblindheit sein. Die sorgt nämlich dafür, dass Laura Zeit nur schlecht wahrnehmen oder einschätzen kann. Wenn sie eine Sache macht, dauert diese zwei Minuten und das nächste Mal plötzlich 20. Auch im Vorhinein kann Laura überhaupt nicht abschätzen, wie lange eine bestimmte Aufgabe ungefähr dauern wird. Das ist auch ein Grund, warum sie immer so viel Puffer einplant, bevor sie irgendwo sein muss – und weshalb sie meist deutlich zu früh ankommt. Sie hat so eine Angst vor ihrer Unstrukturiertheit und dem Zuspätkommen, dass sie überkompensiert.
Auf dem Weg in die Küche sieht sie Plastikmüll auf dem Boden im Schlafzimmer liegen. „Stimmt, da war ja was“, murmelt sie, hebt ihn auf und bringt ihn zum Mülleimer in der Küche. Dort sieht sie, dass die Spülmaschine sowie diverse Küchenschränke sperrangelweit offenstehen. „Ach ja“, sagt sie und macht sich erneut daran, die Spülmaschine auszuräumen. Laura hat oft das Gefühl, ihr ganzes Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von „Ach ja“s.
Sie hat mal ein Video gesehen, in dem ein Tipp vorgestellt wurde: Wenn man sich ein paar Körbe kauft, kann man diese beim Aufräumen neben sich stellen. Jeder Korb steht für ein Zimmer, und alle Sachen, die in dieses Zimmer müssen, kommen in den entsprechenden Korb. Das Ursprungszimmer wird dabei nicht verlassen, wodurch man nicht ständig hin und her rennt, vom Kram in anderen Zimmern abgelenkt wird und dabei das, was man eigentlich machen wollte, vergisst. Erst, wenn das eine Zimmer aufgeräumt ist, nimmt man den entsprechenden Korb mit in das nächste Zimmer und geht da genauso vor.
Laura hat fest vor, das einmal auszuprobieren, weil sie weiß, wie unkoordiniert sie vorgeht. Einerseits stört sie das nicht wirklich, weil das eben ist, wie ihr Gehirn funktioniert. Und sie schafft die Sachen ja auch so. Andererseits ist es auch sehr anstrengend, ständig hin und her zu rennen, zwischendrin alles zu vergessen und immer wieder neu überlegen zu müssen, was sie eigentlich tun wollte.
Leider vergisst Laura auch ständig, dass sie sich Körbe kaufen wollte.
Als sie eine Weile später ins Wohnzimmer zurückkehrt, um zu schauen, ob noch irgendwo Geschirr herumsteht, kommt sie in den Raum und hält dann verwirrt inne. Was zum Teufel wollte sie hier?! Sie sieht sich im Raum um. Ach ja, den Tisch wollte sie ja abwischen! Sie macht sich wieder auf den Weg in die Küche. „Tisch abwischen, Tisch abwischen, Tisch abwischen“, murmelt sie vor sich hin. Das funktioniert, aber leider nur zeitlich begrenzt. Nach einer Weile spult ihr Gehirn den Satz automatisch ab, doch sie hört dann gar nicht mehr zu, sondern ist in Gedanken schon wieder ganz woanders. Deshalb muss sie sich beeilen. Aber sie schafft es.
Danach sieht sie sich seufzend im Wohnzimmer um. Der Tisch ist aufgeräumt und sauber, sodass man sich wenigstens daransetzen kann. Aber der Boden ist ein ganz anderes Thema.
Laura vermutet, dass sie immer alle ihre Sachen überall verteilt, weil sie ADHS hat. ADHSler:innen vergessen nämlich schnell, und Dinge, die in Schränken sind, existieren für Laura nicht mehr, weil sie sie nicht mehr sieht. Also, sie weiß theoretisch, dass die Dinge noch existieren, und ab und zu erinnert sie sich auch an etwas und denkt sich „Das hab‘ ich ja Ewigkeiten nicht gesehen, wo ist das eigentlich?“ Aber wenn sie die Dinge nicht vergessen möchte, dann müssen sie eben offen sichtbar sein. Und sie vermutet, dass deshalb in ihrer Wohnung (und damals auch in ihrem Kinderzimmer) so eine Unordnung herrscht(e).
Laura beherrscht das Chaos. Zumindest fühlt es sich so an, weil sie bei den Dingen, die seit Wochen oder Monaten an derselben Stelle liegen, aus dem Gedächtnis heraus haargenau beschreiben kann, wo diese sich befinden. Ihren Schlüssel oder ihr Handy jedoch, also Gegenstände, die öfter bewegt werden, verliert Laura ständig aus dem Sichtfeld und muss sie immer wieder neu suchen. Deshalb findet sie, wenn sie aufgeräumt hat, eine Weile lang gar nichts mehr wieder, was super frustrierend ist und nicht gerade dazu beiträgt, dass sie gerne aufräumt.
Ihr Magen knurrt. Laura wirft erneut einen Blick auf die Uhr, überlegt und stellt dann fest, dass sie heute noch nichts gegessen hat. Oder getrunken. Sie hat es einfach vergessen. Aber ihre Freundinnen kommen gleich, sie hat jetzt auch keine Zeit dazu. Muss gleich eben der Kuchen reichen. Erstmal zu Ende aufräumen.
Eine Weile später sitzen sie dann zu dritt um den aufgeräumten Kaffeetisch herum, trinken Tee und essen Kuchen. Ihre zwei Freundinnen, Merle und Josie, kennt Laura schon seit Ewigkeiten. Sie sind zusammen in die Grundschule gegangen und auch heute, 20 Jahre später, haben sie noch guten Kontakt.
Laura merkt irgendwann, dass Josie schon seit einer Weile redet und dass sie überhaupt nicht zugehört hat. Mit einem Ruck ist sie wieder in der Realität und hört, wie Josie gerade sagt: „…und dann wurde ich schon wieder geweckt, weil irgendein Idiot über meine Zeltleine gestolpert und fast auf mich draufgefallen ist!“ Sie verdreht die Augen. Lauras Gehirn erschließt sich blitzschnell, dass es um das Festival gehen muss, bei dem Josie letztens war, und sie lacht zusammen mit Merle über die Geschichte. Von der sie eigentlich nichts mitbekommen hat. Dabei würde sie gerne zuhören, sie mag ihre Freundinnen und Josies Geschichten sind meistens ziemlich witzig. Aber Laura kann nicht steuern, wann sie innerlich wegdriftet. Wenn es ein Thema ist, das sie nicht total fasziniert oder interessiert, ist das konstante Zuhören fast unmöglich.
Sie greift nach ihrer Therapieknete und nimmt sie aus der Verpackung. Meistens hilft es ihr beim Zuhören, wenn sie ihre Finger beschäftigt.
„Und, was ist bei dir so los, Laura?“, fragt Merle, während Laura zum zehnten Mal ihre Position auf dem Sofa verändert. Jetzt richtet sie sich auf. Über ihre momentane Hyperfokussierung, E-Gitarren, könnte sie stundenlang ununterbrochen reden. Begeistert stürzt sie sich in eine Erklärung, welche Gitarre welche Vor- und Nachteile hat und welche sie sich kaufen möchte, aber was dagegenspricht. Und welches Zubehör sie dafür braucht. Und, übrigens, wusstet ihr, dass Leo Fender, der Erfinder der berühmten Fender-E-Gitarre, und Jim Marshall, der Erfinder der Marshall-Gitarrenverstärker, beide nicht Gitarre gespielt haben?!
Das ist eine große Stärke von ADHSler:innen: Wenn sie etwas interessiert, dann häufen sie in Rekordzeit unglaubliches Wissen darüber an und können in kürzester Zeit wahnsinnig viel erledigen.
Weitere Stärken sind übrigens: eine hohe Kreativität und Phantasie, schnelle, häufig ungewöhnliche Lösungsansätze, eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit, Flexibilität, Spontaneität und Schlagfertigkeit. ADHSler:innen sind außerdem oft energiegeladen, risikofreudig, neugierig und vieles mehr.
Hyperfokussierungen sind ebenfalls ADHS-typisch. Meistens kommt von jetzt auf gleich ein Thema, und das kann wirklich x-beliebig sein, das das Gehirn plötzlich extrem spannend findet. So spannend, dass es nichts anderes machen möchte, außer sich mit diesem Thema zu beschäftigen. So spannend, dass man alles, was es gibt, darüber lernen möchte, dass man sich stundenlang mit ausschließlich diesem Thema befassen kann, und zwar so intensiv, dass körperliche Bedürfnisse wie essen, trinken oder pinkeln entweder gar nicht wahrgenommen werden oder nur kurzzeitig aufploppen, um dann direkt wieder unter dem Fokus zu verschwinden. Es kann sehr anstrengend sein, wenn jemand anders gerade im Hyperfokus steckt und nur über dieses eine Thema reden möchte oder kann, aber für die Person selbst ist es Dopamin pur. Man hat ein richtiges High. Wenn der Hyperfokus nachlässt, entweder nach ein paar Stunden oder sogar nach Wochen, fühlt man sich leer. Man hat keinen richtigen (psychischen) Antrieb mehr, alles fühlt sich stumpf an. Nicht, weil die anderen Sachen weniger spannend sind als sonst oder einem weniger geben, sondern weil die Begeisterung für das eine Thema fehlt.
Laura fällt auf, dass Merles Blick durch ihre Wohnung huscht und dabei die Überreste der ganzen Hyperfokussierungen wahrnimmt: Bücher über Psychologie, übers Nähen und Stricken, über Python, die Programmiersprache, über Dinosaurier, übers Schlagzeug spielen, übers Surfen… die meisten davon kaum oder gar nicht gelesen. Außerdem streift Merles Blick die Vitrine, in der Fossilien und Steine gesammelt werden, das Schlagzeug in der Ecke, das Longboard an der Wand, die PlayStation-Spiele, die aufgebauten Lego-Figuren, die Yu-Gi-Oh!-Karten im Regal. Laura seufzt. Die sogenannte ADHS-Steuer: weil man sich so sehr mit der Hyperfokussierung befasst; weil man denkt, dass das jetzt das Hobby des Lebens werden wird, weil man sich so sicher ist, das ganze Zeug tatsächlich zu brauchen, kauft man sich alles, was man für den Hyperfokus eben braucht. Wie jetzt eine Gitarre, einen Verstärker, entsprechende Kabel, vielleicht ein Übungsbuch… und wenn der Hyperfokus vorbei ist, dann liegt das Zeug in der Ecke und wird nicht mehr angeguckt. Dabei findet Laura das schade, die meisten Sachen haben ihr wirklich Spaß gemacht und sie würde sich gern weiter damit beschäftigen. Aber ihr Gehirn hat beschlossen, dass diese Dinge jetzt uninteressant sind, und Laura kann das nicht ändern. Sie hat es versucht, schon allein, um das Dopamin davon wiederzukriegen.
Interessanterweise hat sie auch mal versucht, einen beginnenden Hyperfokus zu ignorieren. Weil sie sich schon gedacht hat, dass der eh nur wenige Wochen anhält und sie nicht schon wieder so viel Geld ausgeben möchte, wenn die Sachen im Endeffekt dann nur in der Ecke einstauben. Tagelang hat sie sich dagegen gewehrt, sich mit dem Thema – damals war es das Long Boarden – zu beschäftigen. Longboards sind teuer, und würde sie wirklich immer rausgehen, um damit zu fahren? Also hat sie es abgeblockt. Und selten war es ihr psychisch so schlecht gegangen wie in der Zeit. Sie war ständig auf der Suche nach irgendwas, irgendwas fehlte, aber nichts, wirklich nichts schaffte Befriedigung. Und sie wusste nicht, warum. Bis sie ihren Freundinnen davon erzählte. Denen hatte Laura nämlich davor geschrieben, dass sie das Gefühl hat, eine Hyperfokussierung bahne sich an. Und nach der fragten die beiden dann. Und Laura ging ein Licht auf.
Danach gab sie ihrem Gehirn nach und informierte sich über Longboards, schaute sich haufenweise Videos dazu an, las sogar über die Geschichte des Long Boardens – und natürlich kaufte sie sich eins. Und sobald sie begonnen hatte, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ging es ihr sofort richtig, richtig gut.
Das Leben mit ADHS ist nicht einfach. Aber es ist möglich, Strategien für sich zu finden, die es einem ein bisschen leichter machen können.