In diesem Buch werden von Bremerhavener Bürger*innen trialogisch ihre Lebenswelten beschrieben, in denen ihre Sozialräume, ihre Gruppen und örtlichen Initiativen vorkommen. Der sogenannte Trialog, d.h. das Gespräch zwischen drei Gesprächspartnern findet zwischen Betroffenen, Angehörigen und Profis statt. Achtsam kommuniziert wird auch in Bremerhaven. Acht für ‘Aufmerksamkeit, Beachtung’ geht auf die germanische Wurzel *ah- ‘denken, meinen’ zurück. Das Adjektiv achtsam ‘aufmerksam, wachsam, behutsam’ entstand nach 15001.
Ich durfte als Bremerin einen Beitrag dazutun. Das Buch zeigt erfolgreich auf, dass in Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen mehr steckt, als viele vorurteilsbehaftete „normale“ Menschen häufig erst einmal annehmen, nämlich: „Kreativität und Engagement, Feinfühligkeit und Empathie, soziale Kompetenz und Verbundenheit“ (S. 3)2 . Andrea Toense, Stadträtin für Gesundheit, Umwelt und Klima, sieht in dem Buch einen gelungenen Schritt hin zu notwendigen Diskussionen über „psychische Gesundheit“ (S. 2). Schön, dass gleich am Anfang des Buches die Rede von psychischer Gesundheit ist, also das psychiatrische Problemfeld positiv eingeleitet wird.
Den Weg in das 70 Seiten starke Buch haben 18 Bilder, 13 Prosatexte, zehn Gedichte, drei Interviews und zwei Briefe gefunden. Manche der beschriebenen Lebenswelten wirken alles andere als einfach. Ein schwieriger, kaum realisierbarer Umzug wird beschrieben. Am Ende ist er doch geschafft. Es wird den vielen Helfenden gedankt. Man kann sich in vielen Situationen selbst gut helfen, indem man herausfindet, was heilsam für einen ist. Da werden „Beten Meditieren Segnen“ (S. 4), „Der Schlaf“, die „Ruhige Mitte“ sowie die „in ihrem eigenen Rhythmus Arbeitenden“ (alle S. 16/7) genannt. Eine Eltern-Selbsthilfegruppe (S. 26-8), ein Jazz-Chor (S. 42), ein Hund als einfühlsamer Alltagsbegleiter (S. 30) und 50 km Laufen (S. 45) werden als Mittel aufgeführt, dank derer wir unser Wohlfühlen besser fördern können. Achtsamkeit ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Baustein psychotherapeutischer Verfahren zur Selbstheilung geworden. Einige Beiträge nehmen Bezug auf achtsames Erleben. Das Wort „Achtsamkeit“ selbst kommt einmal vor (S. 52). Im längeren Text „Kommunikation mit der Natur“ formuliert die Autorin Ulrike: „Auf die Hilfe, die mir zufließt,/Auf die Entfaltung meines Seins/Achte ich aufmerksam.“ (S. 33), später: „Ich möchte den Weg, den jeder einzelne geht, achten.“ (S. 34, beide kursiv im Orig.) Es mag nicht jeder den spirituellen Hintergrund der Autorin teilen. Die zitierten Textstellen finde ich jedoch allgemeingültig. Auch Ursula meditiert. Sie bewältigte eine Kindheit, in der sie als „‘unwerte‘“ „Skandaltochter“ (S. 33) angesehen wurde. Bis zu einer Aussage wie „Ich bewege mich als Liebhaber des Lebens“ war es sicherlich ein steiniger Weg. „… und das Leben antwortet mit Liebe.“ (beide S. 36) ist jedenfalls schön zu lesen. Die eingefügten Fotos mit feinen Detailaufnahmen der Natur sind ebenfalls aufbauend zu betrachten.
Der Aufruf für das Buchprojekt des Zentrums seelische Gesundheit in Bremerhaven unter der Leitung von Michael Tietje des ARCHE Zentrums der Diakonie – Sozialpsychiatrische Hilfen, erfolgte im Frühjahr 2023. Das Buchprojekt wurde mit Mitteln aus dem WiN-Programm (Wohnen in Nachbarschaften) durch die Stadt Bremerhaven gefördert.
Wie erhält man das Buch?
Das Buch „Einfach leben…” ist kein klassisches Buch und daher nicht im Handel erhältlich. Stattdessen wird es an ausgewählten Orten ausgelegt.
Es dient als Teil einer Anti-Stigma-Aktion und wird gezielt an Interessierte weitergegeben, um das Bewusstsein zu fördern.
Gelegentlich wurde es auch „einfach so“ an Interessierte überreicht.
Bei Interesse können Sie sich gern an arche@zsg-bremerhaven.de wenden.
1 Aus: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache,
04 Aug 2024
2 Alle Zitate aus dem besprochenen Buch