Autor:in: Alina M.

FREITAG

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Freitag gab es, wie jeden Freitag, Fisch mit Gemüsebeilage und selbstgemachtem Kartoffelpüree. Und da ich Fisch mit selbstgemachtem Kartoffelpüree wirklich schätze, war ich pünktlich zum Essen zur Stelle. Da Bettina heute beim Service im Café Werner aushalf, mussten wir uns selbst bedienen.

Mir gegenüber saß ein circa 70-jähriger Mann, der sofort mit der Unterhaltung begann. Wo ich denn herkomme? Ob ich öfter hier speise? Usw. usf., sein Redefluss war kaum zu stoppen und er fiel von einem Thema ins andere. Unter anderem erzählte er von einer guten Freundin in Berlin.

„Sie ist Sanyassin.“, verkündete er stolz.

„Wissen Sie, wer die Sanyassins sind?“

„Ja, diese Osho-Leute.“

„Genau. Osho.“ und seine Stimme wurde merklich tragender. „Osho war ein ganz Großer.“

Ich zog es vor, dem lieber nichts zu entgegnen, denn ich wollte ihn nicht beleidigen.

Und aß so schweigend weiter.

„Ich habe meine Freundin in Berlin oft besucht. Und wir waren auch in der dortigen Osho-Disco. Die ist ganz und gar weiß eingerichtet.“

„Ja, ich weiß.“ Denn das Farout in München und die große Disco in Köln, die die Sansyassins mit Erfolg betrieben haben, waren auch alle komplett weiß. „Die sind alle weiß.“

„Meine Freundin hat dort getanzt. Und dieses Weiß gab ihr so eine Energie … so eine ungeheure Energie – Sie hätten sie tanzen sehen müssen!“ schwärmte er.

„Mmh. Ich kenne die Osho-Disco in München, ein sehr guter Ort.“ Und nach einer Weile warf ich ein: „Ich habe Tarotkarten von Osho.“

„Ah, wie interessant.“

Er erzählte weiter von Berlin, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu, weil mich Berlin schon lange nicht mehr interessiert.

Beim Abschied fragte er mich nach meinem Namen und nannte mir auch den seinigen. „Dann bis Montag.“

„Ob ich es Montag schaffe, weiß ich nicht, aber Dienstag bin ich sicher wieder da.“

„Dann bis Dienstag“ meinte er fröhlich und setzte ein „Ich bin auch ein Sanyassin – aber nur ein ganz kleiner“ mit einem lauten Lachen hinterher.

 

Natürlich brauchte ich nach dem guten Essen eine Verdauungszigarette und begab mich so unverzüglich in den Garten.

Dort auf der Querbank blieb ich nicht lange alleine sitzen. Eine gut 60-jährige Frau, die in der Textilwerkstatt arbeitete, gesellte sich zu mir und drehte sich eine.

„An was arbeiten Sie denn im Moment?“

„Ich häkele. Aber heute habe ich einen schlechten Tag und es will mir nicht wirklich was gelingen“ informierte sie mich entnervt.

„Ja, das kenne ich. Ich hab im Nähwerk auch gehäkelt. Drei Jahre lang.“

und nach einer Weile: „Meine Anleiterin war eine Weißrussin und einmal hat sie mir eine Häkelanleitung aus dem russischen Internet heruntergeladen und musste mir den kyrillischen Text übersetzen.“ erinnerte ich mich amüsiert.

Dann fing die Frau an, zu politisieren. Über den Kalten Krieg, die Generation X-Y-Z, die ihrer Meinung nach so hießen, weil sie im Kalten Krieg geboren wurden und mit all den Atomwaffen zu befürchten stand, dass sie die letzten wären. Denn: Trotz Abrüstung gab es ja immer noch genug von diesen Waffen, um die Erde gleich mehrfach in die Luft zu jagen.

„Jetzt, wo der Kalte Krieg vorbei ist, zählen sie wieder von vorne.

Also Alpha-, Beta- usw.“

Interessante Theorie!

Ja, das hätte sie sich so überlegt und sie glaube, sie liege mit ihrem Schluss richtig.

„Ja, das kann sein. Aber ich dachte immer, man nennt sie so wegen der Umweltkatastrophe …?“

 

L., mein Lieblingsbeikoch, denn er ist ein feiner Mensch, setzte sich für eine Pausenzigarette neben mich und ich erkundigte mich, ob sie denn schon mit dem Reinigen der Küche fertig wären, was er verneinte.

„Nein, noch nicht. Noch lange nicht.“

„Ja, die Hygienevorschriften …“

„Eben, die müssen unbedingt eingehalten werden. Die Küche ist ein sehr sensibler Bereich. Insgesamt haben wir 18 Positionen, die wir abarbeiten müssen.“

„Ich hab auch mal in der Gastronomie gearbeitet und den Zapfhahn gehasst.“

Er nickte nur wissend, denn auch der Zapfhahn muss jeden Tag gereinigt werden.

 

Nachdem die beiden wieder zu ihren jeweiligen Arbeiten im Haus zurückgekehrt waren, tauchte ein älterer Mann auf, der mir gänzlich unbekannt war. Er ließ sich auf den Stuhl links neben mir nieder und wir kamen wie selbstverständlich ins Gespräch. Er erzählte von seiner Parzelle im Ellener Feld, auf der er in Hochbeeten Gemüse anbaut.

„Natürlich wecke ich die überschüssigen Mengen ein. In Gläsern, ganz klassisch mit Deckel und Gummi.“

„In einem großen Weckeintopf?“

„Ja, in einem Weckapparat. Mit dem stelle ich auch im Spätsommer Brombeersirup her. Ich kenne dort eine Stelle nahe der Autobahn, da wachsen ganz viele wilde Brombeeren.“

Dann kamen wir aufs Reisen zu sprechen. Und wie sich herausstellte, war der Mann ein wahrer Globetrotter! Er hatte u.a. Mikronesien, Neuseeland und die Fidschi-Inseln bereist – alle jeweils für mehrere Monate.

Toll!

„Ja, vor allem Mikronesien hat mir unheimlich gut gefallen. Man kann von den Hauptinseln aus die viel kleineren Nebeninseln sehen – sehen am Horizont mit ihren hochgeschossenen Palmen … wie im Traum!“

„Oh ja!“

„Und ich hab es mir nicht nehmen lassen, mich auf eine der winzigen unbewohnten Inseln bringen zu lassen. Ich konnte sie in einer Stunde umrunden. Ich hielt mich, natürlich ausgestattet mit Wasser und Proviant, sechs Tage auf meiner Insel auf.“

„Wie fühlt es sich an, so alleine auf einer einsamen Insel?“

„Gut. Aber sechs Tage reichen dann auch!“ Er lachte leise auf und es bildeten sich tiefe Lachfalten in seinen Augenwinkeln.

„Ja, ich würde auch gern die Südsee bereisen – mein Traumziel ist Samoa.“

„Mikronesien liegt im Pazifik“, klärte er mich auf. „Nicht in der Südsee. Man erreicht es über Honolulu.“

Nach einer Pause fuhr er fort:

„Ich bin LKW-Fahrer gewesen und konnte fast ausschließlich von meinen Spesen

leben. Den eigentlichen Lohn hab ich gespart. Und so, nach fünf, sechs Jahren, immer wenn ich genügend Geld zusammen hatte, hab ich mich auf den Weg gemacht.

Es war ein herrliches Leben und ich würde es schwer bereuen, wenn ich anders gelebt hätte … Heute kann ich zurückblicken und von mir sagen: Ja, Du hast wirklich gelebt!“

„Das ist schön“, freute ich mich mit ihm.

„Ja, man kann ja nichts mitnehmen. Und die Erfahrungen und Erinnerungen bleiben einem.“

 

Dann stießen Barbara und Malte zum Rauchertisch. Beiden ging es heute nicht allzu gut; doch sie ritten, nach einer kurzen Ansage, nicht länger auf ihren jeweiligen Zuständen herum.

Nicht lange, und der neue Sozialarbeiter tauchte mit den Schlüsseln in der Hand auf.

„Tut mir leid – aber ich bin am Zusperren.“

Wir folgten brav, denn alle Besucher der Villa wissen, dass diese freitags nur verkürzt (nämlich nur bis halb drei statt fünf Uhr nachmittags) offen hat, erhoben uns von unseren Plätzen und gingen langsam vor zum Gartentor.

 

Draußen davor blieben wir noch für einen Augenblick in der Runde stehen, verabschiedeten uns, bis schließlich nur noch Barbara, Malte und ich übrigblieben.

Irgendwie unentschieden standen wir herum, wollten eigentlich noch nicht wirklich nach Hause und steuerten auf Barbaras Vorschlag hin das Café Werner an.

„Das hat heut eh nur noch eine Stunde auf“, meinte sie.

Dort angekommen erstand ich im Kaufhaus Hemelingen (in dass das Café integriert ist) spontan zwei wunderschöne unifarbene Übertöpfe für meinen Balkon – wunderschön und haargenau zu meinen fliederfarbenen Blumen passend. An der Theke bestellte ich mir eine heiße Schokolade.

Malte nahm einen Kaffee und eine Frikadelle mit Senf.

Wir setzten uns an einen großen Tisch mit fünf Stühlen.

Barbara geisterte irgendwo im Kaufhaus herum und so bildete ich die einzige Tischdame für Malte und seine Frikadelle.

Wir fragten uns einander ein wenig aus, denn es war die erste Gelegenheit, zu der wir uns allein unterhalten konnten.

Er wollte wissen, wie lange ich schon in Bremen wohne und warum ich hierher gezogen sei.

„Wegen meiner Schwester.“

Er nickte verständig und ich brauchte nichts weiter zu erklären.

„Und Du wohnst auch alleine?“ wollte ich von ihm wissen.

„Ja. In Hastedt. Hat Deine Schwester Kinder?“

„Nein. Sie wünschte sich welche, aber es kamen keine.“

„Nun, vielleicht ist das gar nicht so schlecht“, meinte er dazu. „Schließlich sind wir eh viel zu viele. Ich meine, so tragisch das für den Einzelnen sein mag“, gestand er ein, „für die Menschheit ist es besser, keine Kinder zu haben.“

„Auf jeden Fall. Das stimmt.“

„Opa“, stieß er plötzlich aus. „Mein Opa hat mal zu mir gesagt: ‘Junge, mir ist das jetzt fortan alles egal. Denn: In 600 Jahren gibt es keine Menschen mehr.’

!

Und Wochen später, unten an der Weser, hab ich ihn darauf angesprochen ‘Opa, wie hast Du denn das gemeint mit ‘In 600 Jahren gibt es keine Menschen mehr?’

Und mein Opa antwortete: ‘Nun, Junge, da brauchen wir einfach nur so weiterzumachen wie bisher – und danach sieht es aus – und wir sterben aus. Garantiert.’

Was meinst du? Glaubst du, dass es in 600 Jahren mehr oder weniger Menschen gibt?“

Ich musste überlegen und sagte dann bestimmt: „Sicher weniger. Deutlich weniger.“

„Warum? Wegen der Kriegen und Atombomben und so …?“

„Vielleicht, ich mein, könnte auch sein. Aber ich denke, uns schafft die Umweltkatastrophe, die Biotechnologie und der Transhumanismus.“

„Was ist das? Transhumanismus – nie gehört.“

„Nun“, – wie erklärt man in wenigen Sätzen  den Transhumanismus? – „Sie wollen die Menschen abschaffen, indem sie sie mit gentechnischen Methoden und Implantaten „verbessern“ wollen, wie sie sagen. Sie schaffen damit die Menschheit und das Menschliche am Menschen ab.“

Malte begann, trotz der wenigen Worte zu verstehen.

„Musk, die anderen Milliardäre und das ganze Silicon Valley arbeiten fieberhaft daran. Elon Musk ist bekennender Transhumanist.“

„Das wundert mich nicht. Ich werde es googeln. Wie heißen die nochmal?“

„Transhumanisten. Also Trans-hu-man-ismus. Er wird kommen, davon bin ich überzeugt.“ (Und das ist im Übrigen meine Theorie, warum ich glaube, dass sie nun anfangen, die Menschen  Alpha, – Beta , Gamma- etc. zu nennen. Es sind die ersten Generationen des heraufziehenden Transhumanismus.)

 

Da kreuzte Barbara wieder auf und stellte, bevor sie sich zu uns setzte, eine Kasserolle mitten auf den Tisch.

„So – die wird morgen ordentlich geschruppt und desinfiziert und dann ist das ein Supertopf, für nur zwei Euro“, bemerkte sie zufrieden über ihren Fang.

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