Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens die eigene Identität. Vielen ist schon früh klar, wer sie sind und wie sie sich definieren. Andere hingegen brauchen etwas länger, um das herauszufinden. Aber wie ist es, wenn man sich gar nicht so sicher ist, was die eigene Identität angeht, und das Selbstbild ins Wanken gerät? In diesem Fall spricht man von einer Identitätskrise.
Identität verstehen
Was versteht man eigentlich unter Identität?
Der Begriff Identität beschreibt, wie Menschen sich selbst aus ihrer sozialen Entwicklung und Umwelt wahrnehmen. Ebenso die Qualitäten einer einzelnen Person, was sie von anderen unterscheidet und was sie einzigartig macht.
Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson beschrieb die psychosoziale Entwicklung der Identität mit Hilfe eines Acht-Stufen-Modells, welches vom Kleinkind bis zum späten Erwachsenenalter geht. In diesem Modell stellt jedes Stadium eine Krise dar und beschreibt, wie sich das Individuum im Laufe seines Lebens entwickelt. Jede Entwicklungsstufe kann erfolgreich bewältigt werden, wenn der Konflikt aus der vorherigen Stufe gelöst wird. Diese Lösungen und Erfahrungen bilden das das Fundament, um Krisen im Laufe des Lebens zu meistern.
Die Zweifel an der eigenen Identität
Ab dem frühen Erwachsenenalter ist im Normalfall die Identität bereits entwickelt und gefestigt.
Trotzdem gibt es viele Menschen und auch Menschengruppen, die im Laufe ihres Lebens an einer Identitätskrise leiden.
Eine Identitätskrise ist eine Krise, die durch ein zu unsicheres Selbstbild zustande kommt und dazu führt, dass man die eigene Wahrnehmung der Identität hinterfragt. Betroffene fangen an, die eigene Identität und die Identifikation mit dieser zu hinterfragen. Vor allem die eigenen Handlungen, Charaktereigenschaften, Meinungen und das soziale Umfeld sind von diesen Hinterfragungen stark betroffen.
Gründe dafür gibt es einige. Das kann zum Beispiel der Verlust eines geliebten Menschen sein, aber auch das Beenden oder neu Anfangen eines Jobs. Auch Trennungen, Diagnosen von Krankheiten und Traumata können dazu führen, dass man die eigene Identität in Frage stellt. Man sieht das auch öfter bei Migrant:innen, die nach dem Verlassen des eigenen Landes in Selbstzweifel geraten. Auch Menschen, die sich im falschen Geschlecht fühlen oder sich ihrer Sexualität unsicher sind, durchleben Identitätskrisen. Oft sind auch Jugendliche von Identitätskrisen betroffen, da sie sich noch in der Entwicklung befinden. Neben den Jugendlichen gibt es aber auch ein Risiko für Menschen ab 40 Jahren. Diese stehen oftmals vor einer so genannten Midlifecrisis, die durch Stress und Gesundheitsprobleme hervorgerufen werden kann. Auch wenn die Kinder das Haus verlassen, kann das ein Anstoß für eine Krise sein.
Vor allem psychische Erkrankungen wie eine Bipolare Störung, Borderline und Depressionen können die Entwicklung einer Identitätskrise begünstigen. Aber auch einfache Beleidigungen, oder der Druck anderen Menschen gefallen zu müssen, können dazu führen, dass man an sich selbst zweifelt.
Die Symptome und Folgen der Identitätskrise
Aber die Krise findet nicht einfach unbemerkt im Hintergrund, oder nur im Kopf, statt sondern bringt auch einige unspezifische Symptome mit sich. Diese können sich körperlich bemerkbar machen und sogar einschränken. Dazu gehören nicht nur psychische, sondern in einigen Fällen auch körperliche Folgen.
Zu den psychischen Folgen zählen vor allem zunehmende Schlafstörungen, vermehrter Stress, Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und Lustlosigkeit; auch die Entstehung oder Verschlimmerung von Depressionen.
Bei körperlichen Folgesymptomen kommt es hingegen zu Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Magenschmerzen und Gewichtsschwankungen und Wirbelsäulenbeschwerden.
Wenn die Symptome so heftige Ausmaße annehmen, dass man im Leben nicht mehr klar kommt und die Gesundheit drunter leidet, sollte man auf jeden Fall medizinische und psychologische Hilfe suchen, damit man sich selbst nicht in Gefahr bringt!
Aus der Krise wieder herauskommen
Psychologische Hilfe kann in diesem Fall sehr unterschiedlich aussehen und ist immer nach persönlichem Ermessen zu gestalten.
Es kann eine einfache Gesprächstherapie reichen oder in einem anderen Fall sogar eine Verhaltens- oder Soziotherapie. Natürlich gibt es auch andere Therapieformen,die helfen können; wichtig dabei ist, was einem selbst gut tut und in der aktiven Krise am besten hilft.
Selbsthilfegruppen sind eine weitere Möglichkeit. Oftmals hilft es schon enorm, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und seine Probleme offen auszusprechen. Auch durch begleitende Rollenspiele lässt sich herausfinden, wie man zu sich selbst steht und was genau man erreichen oder verändern möchte.
Doch man kann auch selbst tätig werden, um sein Befinden in Hinsicht einer bestehenden Identitätskrise zu verbessern.
Meistens hilft es schon, sich mancher Dinge bewusst zu werden und Veränderungen auch als Chance zu sehen. Natürlich bedeutet Veränderung immer, dass man auch etwas und vielleicht auch ein Stück von sich selbst gehen lassen muss, aber man kann auch Sachen überdenken und herausfinden, ob die Werte, die man z. B. vor 10 Jahren hatte, immer noch gelten.
Vielen Leuten hilft es, sich ihr zukünftiges Ich vorzustellen und sich dann in zukünftigen Krisen darauf zu beziehen, was nötig ist, um die Wünsche und Ziele zu erreichen.
Auch eine neue Leidenschaft zu entdecken hilft ungemein bei der Selbstfindung. Zum Beispiel ein neues Hobby oder eine Fähigkeit zu erlernen. Das kann ein neues Instrument lernen sein oder einfach in einen Hobbyladen gehen und sich ein Projekt suchen.
Wichtig ist auch der Sinn im eigenen Leben. Wenn die Wertvorstellung besteht, immer freundlich zu sein, kann man das in täglichen Situationen umsetzen. Falls der Umgang mit anderen Leuten dazu gehört, kann man seine Nachbarn kennen lernen oder sich einfach mal wieder mit Freunden oder Familie treffen. Für einige Menschen ist auch Religion der Sinn des Lebens und sie sind erfüllt, wenn sie diese Religion ausüben können.
Natürlich tragen auch körperliche Betätigungen ihren Teil zur Krisenbewältigung bei. Wandern oder Spazierengehen hilft den meisten Menschen ungemein dabei, einen Sinn zu finden und eine Erfüllung zu erlangen. Viele Leute verbringen Zeit in der Natur, um mit ihren psychologischen Problemen, aber auch mit Abhängigkeiten, klar zu kommen.
In Fällen, in denen Menschen mit ihrer sexuellen Identität oder dem eigenen Geschlecht zu kämpfen haben, kann es auch helfen sich dessen bewusst zu werden. Oftmals nimmt ein Outing, oder einfach mit jemandem darüber zu reden, schon eine große Last von den Schultern. Natürlich ist auch das eine große Veränderung, aber auch etwas, das die eigene Wahrnehmung und die der Persönlichkeit, die man sein möchte, festigt.
Man kann also sehr wohl sagen, dass man eine Identitätskrise auch als neue Chance und einen Segen ansehen kann, denn mit der richtigen Hilfe und Einstellung lässt sich die Krise durchaus überwinden.