Die Kulturtafel aus Bremen vermittelt kostenlose Tickets zu Veranstaltungen, um Menschen in wirtschaftlich schwierigen Situationen die Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen.
Arbeiten allein und vom heimischen Schreibtisch aus, kein Schulunterricht in Anwesenheit, kein gemeinsames Spielen in der Kita. Keine Pausengespräche mit Freund:innen, kein gemeinsames Feierabendgetränk mit Kolleg:innen in der Stammlokalität. Kein Training im Sportverein, keine Kinobesuche, keine Konzerte. Über die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen sahen sich viele Menschen im Jahr 2020 mit einem verstärkten Gefühl von Einsamkeit konfrontiert. Dieser Umstand hat dazu beigetragen, dass das gesamtgesellschaftliche Problem der Vereinsamung, von dem auch im Vorfeld der Pandemie bereits viele Menschen betroffen waren, noch mehr in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit gerückt ist.
Einsamkeit hat negative Auswirkungen, sowohl auf die psychische als auch auf die körperliche Gesundheit und sie betrifft in Deutschland Menschen aller Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. So kann man es dem Einsamkeitsbarometer entnehmen, das Ende Mai 2024 von der Bundesfamilienministerin im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wurde.
Die 2022 gegründete Kulturtafel hat der Vereinsamung den Kampf angesagt und setzt dort an, wo vorrangig geringe finanzielle Mittel der Grund für eine eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe sind, indem sie kostenlose Tickets für Theaterbesuche, Konzerte und andere Events vermittelt. Neben dem Zugang zu Veranstaltungen vermittelt der Verein auch sogenannte Kulturbegleiter:innen. „Diese wollen wir zukünftig aus dem Kreis der Kulturgäste rekrutieren. Ihnen wird die Chance geboten, über die Freiwilligenarbeit einen Ehrenamtsvertrag zu erhalten, Kontakte zu Veranstaltern und sozialen Trägern zu knüpfen, die ihnen möglicherweise eine Beschäftigungsperspektive bieten können“, erläutert Projektleiter Carsten Dohme die Zielsetzung.
Wer sich auf Grund einer wirtschaftlich angespannten Lage von kulturellen Events ausgeschlossen sieht, kann sich mit einem Nachweis, beispielsweise einem Bürgergeldbescheid, bei der Kulturtafel als „Kulturgast“ anmelden. Für alle anderen besteht die Option, sich direkt als „Kulturbegleitung“ registrieren zu lassen.
Alle 14 Tage sendet der Verein einen Newsletter an alle registrierten Kulturbegleitende und -gäste, woraufhin diese Interesse an den angebotenen Veranstaltungen anmelden können. Die finale Vergabe der Freikarten und Gästelistenplätze, sowie das „Matchmaking“ übernimmt im Anschluss Susanne Schönholz, die den Verein an Dohmes Seite mit leitet. Wer es sich; aus welchen Gründen auch immer; nicht zutraut, eine Veranstaltung allein zu besuchen, bekommt von ihr jemanden an die Seite gestellt und der soziale Aspekt von Veranstaltungsbesuchen wird zusätzlich gestärkt. Kulturgäste brauchen jedoch nicht zwingend eine Kulturbegleitung, um eine Veranstaltung besuchen zu können. Da es im Augenblick ohnehin mehr Kulturgäste als -begleitende gibt, können auch zwei Kulturgäste gemeinsam eine Veranstaltung besuchen. Auch besteht die Option, sich bereits als Zweiergespann für eine Veranstaltung anzumelden.
Auch jene, die Bedenken haben, ihre finanzielle Situation öffentlich bekannt werden zu lassen, kann Dohme beruhigen: „Man muss beim Einlass keinen Ausweis vorzeigen, „Bin arm!“ , sondern steht ganz einfach auf der Gästeliste.“
Die Tickets von verschiedenen Kulturbetrieben in Bremen zu bekommen, funktioniere gut, erzählt Dohme. Unter anderem die Shakespeare Company in der Neustadt, das Museum in der Böttcherstraße und auch die Weserburg stellen der Tafel regelmäßig Karten zur Verfügung. Inzwischen umfasst das Angebot Veranstaltungen und kulturelle Einrichtungen auch zusätzlich aus dem Umland, so zum Beispiel den Freizeitpark Ost-Rittrum. Insgesamt ist das Angebot der Kulturtafel über die Zeit immer größer und vielfältiger geworden, davon ist auch Beate Griesmeyer begeistert. Sie hat sich bereits 2022 als Kulturbegleiterin angemeldet und ihren besten Freund und Kulturgast Volker Althoff – ebenfalls seit 2022 dabei – seitdem zu vielen Events begleitet. „Grob geschätzt haben wir im Durchschnitt in diesen zwei Jahren jeden Monat eine Veranstaltung besucht.“ Von Workshops beim NABU über Veranstaltungen im Olbers Planetarium bis hin zu großen Konzerten, wie das von Johannes Oerding in der ÖVB Arena, war schon alles dabei. Besonders der Besuch bei Holiday on Ice ist den beiden in Erinnerung geblieben. „Das waren richtig gute Plätze“, schwärmt Griesmeyer. Zuletzt waren die beiden gemeinsam im Rahmen von ‚Shakespeare im Park‘ bei einer modernen Inszenierung des Stückes „Viel Lärm um Nichts“ und sind auch von diesem Erlebnis nach wie vor sehr begeistert.
Über so positiven Rückmeldungen freut Dohme sich sehr und hofft, dass sie mit dazu beitragen können, eine der größten Herausforderungen für die Kulturtafel zu bewältigen: Die Menschen ihrer Zielgruppen zu erreichen und sie davon zu überzeugen, das Angebot anzunehmen. Dafür arbeitet die Kulturtafel auch mit anderen Initiativen und sozialen Trägern zusammen, wie der ‚Hoppenbank‘, die sich um Obdachlose, Alkoholiker und ehemalige Inhaftierte kümmert.
Seit kurzem ist nun auch die Soziallotterie aidFIVE mit involviert. „Diese Kooperation ermöglicht uns nun die Erweiterung unseres bisherigen Engagements um die Möglichkeiten, allen Menschen in sozialer Isolation eine Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen“, erläutert Dohme. Dies müsse auch möglich sein, wenn jemand über ausreichend finanzielle Mittel verfügt und sich die Eintrittskarte für Veranstaltungen eigentlich leisten könnte. „Das übergreifende Ziel dieses Projektes ist ein Abbau von Hemmnissen, die eine Teilnahme am öffentlichen Leben erschweren. Dazu gehört die Schaffung eines niedrigschwelligen Zugangs zu Veranstaltungen und Freizeitangeboten. In diesem Rahmen möchten wir Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, kultureller und sozialer Herkunft zusammenbringen.“ Es gehe darum, Kultur für alle zugänglich zu machen, so Dohme.
Bei diesem ehrgeizigen Ziel unterstützt aidFIVE die Kulturtafel insbesondere im Stadtteil Kattenturm. Jan Spekker von der Soziallotterie begründet diesen Schritt wie folgt: „Das Quartier Kattenturm durch eine überwiegend viergeschossige Bebauung mit mehreren bis zu dreizehnstöckigen Hochhäusern. Überdurchschnittlich viele Bürger:innen sind von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Der Anteil Alleinerziehender ist im Ortsteil deutlich höher als im städtischen Durchschnitt.“ Die häufigsten Problemlagen seien, dass Menschen mit Beeinträchtigungen keine Informationen zur Barrierefreiheit finden oder ihnen eine Begleitung/Unterstützung fehle. Ältere Menschen hätten Angst, ihre Wohnung allein zu verlassen oder fühlen sich überfordert, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, so Spekker. „Darüber hinaus fühlen sich Menschen mit Migrationshintergrund oft aufgrund von Sprachbarrieren unsicher. Und Bewohner:innen mit geringen finanziellen Mitteln sind nicht über die Möglichkeiten kostenloser Zugänge zu kostenpflichtigen Veranstaltungen informiert.“
Spekker zeigt damit auf, dass der finanzielle Aspekt nur eine von vielen Hemmschwellen ist, die es im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich abzubauen gilt.
Auch Beate Griesmeyer spricht Hemmschwellen an, unter anderem eine, derer sich viele Menschen vermutlich gar nicht bewusst sind. „Kultur“, erklärt sie, „Das war für mich lange etwas für die Anderen, nicht für mich.“ Das Wort selbst habe in ihr eine gewisse Ablehnungshaltung ausgelöst. Inzwischen hat sich ihre Einstellung jedoch geändert. „Vor allem Konzerte habe ich durch das Angebot der Kulturtafel wieder für mich entdeckt.“ Auch habe sie inzwischen mit Volker Althoff Veranstaltungen besucht, die sie früher nie in Erwägung gezogen hätte. So zum Beispiel das Bremer Filmfest. Zwei Filme pro Tag über zwei Tage und dazu Podiumsdiskussionen mit Autor:innen, Darsteller:innen und Regisseur:innen. Bereichernd sei es gewesen, aber auch anstrengend, sagt Beate. Besonders nach Filmen mit ernsteren Themen hätten sie und Volker viel Gesprächsbedarf gehabt. Insgesamt freut sie sich jedoch darüber, ihren Horizont auf diese Art erweitert, etwas Neues ausprobiert zu haben und auch das ist am Ende eines der Ziele der Kulturtafel.
Interesse am Angebot der Kulturtafel? Weitere Informationen gibt es unter kulturtafel-bremen. de, telefonisch unter 0174/171 33 45 oder per Mail an info@kulturtafel-bremen.de