Jürgen Busch Crisendienst Campagne 24/7 im August 2020
Offener Brief an die Staatsrätin im Gesundheitsressort, Frau Silke Stroth (Dipl.-Psych.)
Sozialpsychiatrische Akutversorgung
Sehr geehrte Frau Staatsrätin,
vor einigen Wochen wurde ein seelisch erkrankter Mensch von der Polizei in Gröpelingen erschossen. Es gab erhebliche Kritik, daß der Sozialpsychiatrisehe Dienst dem nicht zuvor gekommen ist. Gründe dafür wurden bisher öffentlich nicht genannt. Damals hieß es umsichtig, bevor jemandem Vorwürfe gemacht würden, sollten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die beteiligten Polizisten abgewartet werden. Gibt es inzwischen Ermittlungsergebnisse? – Ich befürchte, die Sache verläuft gesundheitspolitisch im Sande und möchte mit diesem Offenen Brief für eine politische Entwicklung zum Guten werben.
Seit 2015 ist für die ambulante Versorgung schwer psychisch kranker Menschen nachts und am Wochenende alleine die Polizei zuständig. Diese Menschen erhalten also – systemisch – keine Behandlung in ihrer seelisch instabilen Lage vor Ort. Stattdessen bekommen sie nur die staatliche Gefahrenabwehr; das geschieht unterschiedslos, egal ob sie selbstgefährdend, fremdgefährdend oder sonst emotional instabil sind (wie bei Borderline oder Verwirrung). Nachtcafe, Telefonbereitschaft und aufsuchender Dienst im Rahmen der psychiatrischen Modellprojekte spielen hier keine Rolle, weil diese nur den leichter seelisch Kranken zugedacht sind.
Tagsüber ist die Präsenz des SPsD auch nicht sichergestellt, sei es, weil die Polizei ihn nicht ruft oder dieser Notdienst unterbesetzt ist. Statistisch sind von zehn von der Polizei erschossenen Menschen acht psychisch Kranke; in diesem Gegenüber ist unser Leben bedroht! Ein Teil dieser Tode könnte vermieden werden. Denn es gibt akute Interventionsformen für psychosoziale Fachleute, die damit zur Deeskalation fachlich berufen sind. Genau für solche Situationen sind diese Interventionsmethoden geschaffen worden. Mehrere Kollegen im Wohlfahrtsbereich haben mir berichtet, daß sie sich als sehr Erfahrene durchaus eine Schlichtung der zugespitzten Situation in Gröpelingen zugetraut hätten. Eine weitere Schulung der Polizisten allein ist nicht die richtige Antwort, sondern fachpsychiatrische Behandlung akut und vor Ort. Denn wird etwa vom Polizisten verlangt, daß er beim Schlaganfall helfen kann? Da kommt zu recht der Notarzt in die Wohnung des Kranken. Warum kommen schwer psychisch Instabile als erkrankte Menschen nicht in eine gleichwertige, fachlich angepaßte Vor-Ort-Behandlung wie schwer Körperkranke auch, zum Beispiel in der Form eines psychiatrischen Rettungsdienstes als Angebot des bestehenden Rettungsdienstes? Die heutige Ungleichbehandlung führt dazu, daß psychisch instabile Menschen mit Polizisten alleine sind und sie sich gegenseitg eskalieren. Polizisten sind Spezialisten für Gefahrenabwehr; psychisch Kranke aber brauchen Spezialisten für Krisenintervention als notwendige Lebensschützer und das ist originär keine polizeiliche Aufgabe. Deshalb sollte die Polizei immer automatisch den SPsD hinzubitten, wenn sie zu einem psychisch Kranken rausfährt.
Die Koalitionsvereinbarung sieht vor, daß der Sozialpsychiatrische Krisendienst wieder hergestellt und dann auch in die Bremer Stadtbezirke hinein regionalisiert wird. Ob die Regionalisierung nachts nötig ist, sei dahin gestellt. Jedenfalls braucht Bremen eine Umsetzung dieser Aussage der Koalitionsvereinbarung. Oder wollen sich die Koalitionäre unglaubwürdig machen? Artikel 25 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) sichert uns seelisch erkrankten Menschen eine gleichwertige gesundheitliche Behandlung wie bei anderen Behinderten und wie bei den nicht behinderten Menschen zu. Was gedenkt Ihre Verwaltung, der Sie als Staatsrätin vorstehen, in der nächsten Zeit zu tun, um UN-BRK und Koalitionsvereinbarung umzusetzen und Lagen wie in Gröpelingen zu verbessern?
Mit freundlichen Grüßen Jürgen Busch (Dipl.-Psych.) V.i.S.d.P. juergenbox@web.de