Autor:in: Althoff Volker

Psychiatriereform: Interview mit Claudia Bernhard

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1) Was meint eine Verbesserung der psychiatrischen Versorgung?

Antwort Claudia Bernhard: Bei der Verbesserung der psychiatrischen Versorgung steht vor allem eine bessere ambulante und aufsuchende Begleitung und Behandlung von psychisch kranken Menschen an ihrem Lebensort im Mittelpunkt. Damit werden auch Angehörige und das soziale Umfeld erreicht. 
Die Krankheit wird nicht mehr isoliert im Krankenhaus behandelt. Stattdessen können die Kontextbedingungen und sozialen Ressourcen einbezogen werden. Damit wird auch eine bessere Inklusion von Menschen mit langfristigen Erkrankungen erreicht und Klinikaufnahmen verhindert. 

Dabei haben wir in den vergangenen Jahren bereits große Fortschritte gemacht. In drei von fünf Stadtteilen sind bereits Hometreatment-Teams aktiv. Das haben wir vorangetrieben und das ist ein echtes Pfund. Wir sind aber noch nicht am Ende angelangt. Die Psychiatriereform ist als ein Prozess zu begreifen. Trotz der schwierigen Haushaltslage, die uns Grenzen setzt, steht die Fortsetzung der Psychiatriereform auf unserer Prioritätenliste, weshalb wir auch vieles bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Die ambulante Versorgung wird konsequent ausgebaut. Wir wollen zeitnah auch in den letzten beiden Stadtbezirken Hometreatment umsetzen und das Tagesklinikangebot ausbauen.

Ein ganz zentraler und gut funktionierender Baustein der Psychiatriereform ist die Einbeziehung von Betroffenen. Die realisieren wir zum Beispiel dadurch, dass wir in immer mehr Gremien Beteiligung umsetzen, den Einsatz von Genesungsbegleitenden in der psychiatrischen Versorgung unterstützen, aber auch Fortbildungen fördern, um interessierte Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige bei der Beteiligung zu stärken.


2) Was ist mit moderner stationärer Versorgung gemeint?

Wie schon angesprochen, steht der Aufbau der ambulanten und aufsuchenden Versorgung im Mittelpunkt der Reform. Um dies umfangreich und flexibel umzusetzen, brauchen wir Budgets, sowohl für die Behandlung von Patient:innen, als auch bei der Begleitung, wie sie durch die Eingliederungshilfe erbracht wird.

Budgets ermöglichen einen flexibleren Einsatz von Ressourcen und sind verbunden mit einer Versorgungsverpflichtung. Die ermöglicht Sicherheit und passgenauere Hilfen für die Betroffenen.

Dabei spielt die stationäre Versorgung weiter eine Rolle. Hier brauchen wir gut qualifiziertes Personal. Die psycho- und ergotherapeutischen Angebote müssen dabei noch weiter ausgebaut werden. Das ist dringend notwendig. Jedoch leiden wir auf allen Ebenen unter einem eklatanten Fachkräftemangel.

3) Wie wollen Sie „Drehtüreffekte“ vermeiden?

Das ist schwer zu sagen, weil es nicht ganz einfach ist.

Wir haben eine wohnortnahe Begleitung ausgebaut. Davon versprechen wir uns, dass diese nachhaltigen Hilfen Krankenhausaufenthalte und Wiederaufnahmen verhindern. Eine effektive Behandlung funktioniert nur in dem Kontext, in dem die Menschen leben. Wir müssen Auffangmöglichkeiten anbieten, wie tagesklinische Angebote. Und das klappt nur, wenn man solche Orte in greifbarer Nähe hat. Das ist ein langwieriger Prozess und braucht natürlich entsprechende Ressourcen.

4) Wie soll der Krisendienst denn aussehen?

Der Krisendienst muss so aufgestellt werden, dass ein kontinuierlicher Personalstamm vorhanden ist, der sich als Team versteht. Wir brauchen einen Krisendienst, der 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung steht und verlässlich und vertrauensbildend tätig ist. Das halte ich für absolut notwendig.

5) Welche Angebote gibt es für Kinder und Jugendliche, die gerade jetzt nach der Corona-Pandemie psychisch erkrankt sind und mit den Folgen zu kämpfen haben?

Die Coronapandemie war insbesondere für Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung. Das hat für viele zu psychischen Belastungen und bei manchen auch zu psychischen Störungen geführt. Deshalb war es uns ein wichtiges Anliegen, durch regionale Angebote die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

Es gibt mittlerweile die ReFaps – Regionale Fachkräfte für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Bremer Quartieren. Das sind niedrigschwellige regionale Anlaufstellen für andere Fachkräfte und Familien bei psychosozialen Fragen. Der Fokus liegt auf den strukturell benachteiligten Stadtgebieten. Die ReFaps arbeiten dabei eng mit den Gesundheitsfachkräften in den Quartieren und auch mit den Gesundheitsfachkräften an den Schulen zusammen. Durch eine enge Verzahnung können die Fachkräfte für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bedarfsbezogen in den Quartieren und Regionen wirken. Die ReFaps sind in fünf regionalen Tandems im Land Bremen tätig und verbinden kinderpsychiatrische Expertise mit einer regionalen Quartiersperspektive und bieten niedrigschwellige Beratungs- und Informationsangebote unmittelbar vor Ort an.

Die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. und die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bremen-Ost übernehmen die Koordinierung des Vorhabens.

Senatorin Claudia Bernhard

Claudia Bernhard wurde 1961 in Gütersloh geboren und ist in Bayern aufgewachsen. Sie machte Abitur in Prien am Chiemsee und studierte in Augsburg und München Geschichte und Politikwissenschaften, mit Abschluss Magister 1989. Sie hat zwei Kinder und wohnt seit 1991 in Bremen.

  • Angestellt beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen (2004-2019)
  • Eintritt in die Partei DIE LINKE (2007)
  • Schulausschuss im Beirat Horn-Lehe (2007-2011)
  • Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE Bremen, arbeitsmarkt- und frauenpolitische Sprecherin (2007-2011)
  • Mitglied im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Krankenhauskeime“ (2011-2012)
  • Mitglied in der Deputation für Gesundheit (2011-2015)
  • Mitglied der Besuchskommission auf Grundlage des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (2011-2015)
  • Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, Sprecherin für Arbeit, Bau, Wohnen, Frauen und Landwirtschaft (2011-2019)
  • Vorsitzende des Ausschusses für die Gleichberechtigung der Frau (2011-2019)
  • Mitglied der Deputation für Bau, Umwelt, Verkehr, Energie und Landwirtschaft (2015-2019)

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