Autor:in: Anonym

Recovery: Ein Genesungsmodell

Kurzgeschichte: Die Unzufriedenheit des Herrn F.

Schon seit längerem fühlt sich Herr F. sehr unwohl, wenn er unter vielen Menschen ist. Dann fühlt er sich unsicher, er fühlt sich beobachtet und eine solche Situation macht ihm Angst – bis zu Schweißausbrüchen, wenn Panik in ihm aufsteigt. Seinem ihm vertrauten Hausarzt hat er dieses Erleben geschildert und der hat ihn an einen Facharzt für Psychiatrie überwiesen. Den ersten Termin dort empfand Herr F. als sehr belastend. Er wollte eigentlich gründlich seine Probleme schildern und fragen, welche Möglichkeiten er hätte, mit diesen Problemen umzugehen. Kaum hatte er angefangen, unterbrach ihn der Psychiater. Er leide an einer paranoiden Agoraphobie, einer schweren Krankheit. Deswegen müsse er jetzt Pillen schlucken. Er bekam ein Rezept und außerdem eine Einweisung in eine Klinik. Nach dem Aufenthalt dort solle er einen neuen Termin vereinbaren. Herr F. fühlt sich nicht ernst genommen, unmündig. Niemand hatte ihm erklärt, was diese Pillen bewirken sollten, wie oder warum sie ihm helfen sollten, welche möglichen Nebenwirkungen es dabei gab. Herr F. wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Am Tag danach hatte Herr F. einen Termin beim Jobcenter. Schon frühzeitig ging er los zur Bushaltestelle, denn das Jobcenter war zu weit weg, um zu Fuß zu gehen. Auch durfte er den Termin nicht verpassen, sonst würde man ihm den ohnehin sehr knappen Hartz-IV-Satz weiter kürzen.
Jetzt wollte er in den Bus einsteigen – aber es ging nicht:
Seine Angst war zu groß… die Angst vor der Enge und den vielen fremden Menschen im Bus. Er konnte diesen Ort und die Panik, die er hier empfand, nicht mehr ertragen und für den Termin im Jobcenter war es mittlerweile zu spät.
Ohne darüber nachzudenken, ging er jetzt einfach weg – weg von diesem Ort, der ihm Angst machte. Immer weiter ging er, bis er sich plötzlich am Eingang eines wunderschönen Parks wiederfand, den er früher überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Fasziniert ging er hinein, freute sich über die blühenden Pflanzen und den Sonnenschein zwischen den Zweigen. Er setzte sich auf eine Bank und kam endlich zur Ruhe. Es musste doch etwas anderes geben als diese Welt, unter der er so litt – eingesperrt in seinen Ängsten und fremdbestimmt von Menschen, deren eigentliche Aufgabe es war, ihm zur Seite zu stehen und ihn zu unterstützen

 

Ich glaube, es gibt tatsächlich einen Weg zu einem selbstbestimmten Umgang mit seelischen Problemen. Ein mögliches Konzept dazu bietet die in England entstandene Recovery-Methode. Wesentliche Inhalte dazu sollen in dem nun folgenden theoretischen Text zusammengefasst werden.

In diesem Text möchte ich versuchen, grundlegende Ideen zu Recovery zusammenzufassen. Menschen, die selbst von dem Schicksal einer psychischen Erkrankung betroffen sind, haben versucht, Konzepte zu entwickeln, die ermöglichen, trotzdem selbst über das eigene Leben zu bestimmen. Ein Leben in Zufriedenheit, erfüllt mit einem Sinn und einer Bedeutung. Hierbei geht es darum, sich nicht mit den katastrophalen Auswirkungen abzufinden, die eine seelische Krankheit auf das Leben eines Menschen haben kann.
Die Ideen und Methoden von Recovery sind im Wesentlichen in den englischsprachigen Kulturen entstanden und dieser Begriff lässt sich nicht sinngemäß direkt in einem deutschen Begriff übertragen. Gesundung, Genesung, Erholung oder Wiederherstellung sind sinnvolle Umschreibungen. Gemeint ist der Prozess eines selbstbestimmten konstruktiven Umgangs mit den durch die Erkrankung bestehenden Problemen und Einschränkungen – ein Genesungsprozess. Entwickelt wurde die Methode nicht von „Professionellen“, also z.B. Ärzten oder Forschern, sondern von Menschen, die selbst vom Schicksal eines Lebens mit dieser Herausforderung betroffen sind.
Bei all dem geht es nicht darum, nur die Symptome der Krankheit zu minimieren, sondern die bestehenden Einschränkungen zu überwinden und Wege zu einem wertvollen und mit Sinn erfüllten Leben zu finden und zu gehen.
Recovery ist immer individuelle Arbeit an und mit sich selbst und es gibt keine vorgegebenen Regeln oder Erfolgskonzepte. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen, kein Außenstehender kann einem diese Arbeit abnehmen. Der / die Betroffene ist der beste Experte in eigener Sache – besser als jeder noch so fähige “Professionelle”. Auch gibt es kein Ergebnis, zu dem man kommt, kein zu erreichendes Ziel. Vielmehr ist Recovery eine lange Reise. Die Einschränkungen, denen man unterliegt, sollten anerkannt und akzeptiert werden – es gibt dann eben Dinge, die man nicht machen kann, Ziele, die unerreichbar bleiben.
Das soll aber nicht zum Aufgeben und zur Verzweiflung führen. Vielmehr gilt es, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu erkennen und diese umzusetzen. All dies geschieht in kleinen – oft sehr kleinen Schritten. Manchmal gibt es dabei auch Rückschritte oder man ist auf einem falschen Weg. Dann gilt es, wieder neuen Mut zu fassen und weiter an sich zu arbeiten, auch wenn all das manchmal schmerzhaft ist. Man entdeckt viel Neues an sich selbst und verändert sich. Schließlich gewinnt man immer mehr Kontrolle über das eigene Leben, ereicht ein höheres Maß an Selbstbestimmung.
Oft werden Probleme der seelischen Gesundheit als unkontrollierbar empfunden, oder nur durch das Eingreifen von außerhalb zu steuern. Das Prinzip Recovery setzt dem die Übernahme der Verantwortung und der Kontrolle des Betroffenen selbst entgegen. Wichtig hierbei ist es auch, herauszufinden, wie man sich selbst helfen kann, Dinge zu entdecken, die einem gut tun . Das können gute Gespräche mit Freunden sein, eine Begegnung mit der Natur, der Genuss von Musik oder einem wirklich guten Essen.
In der Gesellschaft werden Menschen leicht über ihre Erkrankung definiert – also die/der
Schizophrene oder die/der Manisch – Depressive. Es geht für Betroffene also nicht nur darum, mit den Herausforderungen durch das Schicksal der Erkrankung umzugehen sondern auch, sich der Diskriminierung und Vorverurteilung durch große Teile der Gesellschaft zu widersetzen. Auch das erfordert Kraft und Anstrengung.

Nach den Ideen der Recovery-Bewegung geht es für Betroffene im Wesentlichen darum, Kontrolle über das eigene Leben zu bewahren. Es gibt keine allgemeingültige oder allgemein anerkannte Definition für dieses Konzept. Psychische Probleme sind eben nicht “heilbar” wie der Bruch eines Arms oder Beins. So geht es darum, das Betroffene für sich einen Weg gehen, auf dem sie selbstbestimmt und geleitet vom Prinzip der Hoffnung zu einem lebenswerten Leben finden. Auch wenn die Menschen die Symptome ihres “Anders – Seins” (ihrer Erkrankung) nicht kontrollieren können, können sie doch Kontrolle über ihr Leben bewahren oder wiedergewinnen.
So gibt es eine Reihe von Faktoren, für das Gelingen eines Genesungsprozesses und deren Wichtigkeit, die auch durch Forschungs-Ergebnisse nachgewiesen sind.
Dazu gehören: Gute zwischenmenschliche Kontakte, finanzielle Sicherheit, eine sinnvolle und zufriedenstellende Arbeit, persönliche Weiterentwicklung und ein angenehmes Wohnumfeld. Persönliche, kulturelle oder spirituelle Interessen sollten wahrgenommen und fortentwickelt werden.
Viele Betroffene betonen auch, wie wichtig es ihnen ist, dass man ihnen vertraut, sie anhört und ernst nimmt. Teilhabe am sozialen Leben oder ehrenamtliche Aktivitäten können den Genesungsprozess unterstützen.

Wie schon erwähnt, gibt es keine allgemeingültige Definition für den Begriff Recovery. So ist auch dieser Text nicht eine objektive Gesamtdarstellung zum Thema, sondern der subjektive Versuch des Autors, die für ihn wesentlichen Fakten zu diesem ihm sehr wichtigen Thema zusammenzufassen.