Autor:in: Terpentine

Tritt aus dem Schatten ins Licht

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Ich bin suchtkrank. Ich bin abhängig von Benzodiazepinen. Das sind Psychopharmaka die zunächst vorzüglich wirken, doch auch sehr schnell sehr stark abhängig machen. Körperlich und psychisch.

Nun, ich hatte einen Rückfall nachdem ich zuletzt wieder einmal eineinhalb Jahre abstinent von diesen Stoffen lebte. Und, ich möchte gleich zu Beginn sagen, ich hatte diesen Rückfall, obwohl es mir in dem Moment wirklich, äußerlich betrachtet, sehr sehr gut ging. Selbst für mich, gemessen an dem, was ich schon alles durchmachen musste. (Ich muss damit rechnen und damit umgehen können, dass Menschen meines unmittelbaren sozialen Umfelds so langsam kein Verständnis mehr dafür haben.)

Ich muss außerdem vorausschicken, dass ich, neben einer Depression, eine Sozialphobie habe. Das heißt, dass ich Angst in der Begegnung und im Umgang mit Menschen habe. Deshalb sagte ich, dass diese Substanzen zunächst vortrefflich wirken, weil sie das tatsächlich sehr gut tun. Sie sind in der Lage nicht nur deine Angst vollkommen zu nehmen, sondern, dir sogar Mut zu geben, dir „einzureden“, du seist in der Lage die ganze Welt zu verändern. Du kannst alles! Du bist der große Zauberer! Du verstehst alles. Du guckst hinter die Geheimnisse von allem. Du fühlst dich allmächtig! Sie setzen dein Potenzial frei. Das was du sonst in dir hast, aber nicht in der Lage bist es zu leben. Und das wiederum ist genau der Punkt warum sie so gefährlich sind. Warum sie Gift sind. Es ist zwar richtig, dass du dieses Potenzial besitzt, aber es ist eine Lüge, dass du es unter Einfluss dieser Substanzen ausleben kannst. Das Gegenteil ist der Fall!

Mittlerweile habe ich jahrzehntelange Erfahrung mit diesen Stoffen. Sie haben mein Gehirn wahrscheinlich für immer verändert. Unzählige Male hatte ich Zeiten des Konsums abwechselnd mit Zeiten der Abstinenz. Letzteres ausschließlich gezwungenermaßen, weil es entweder finanziell oder psychosozial oder physisch nicht mehr ging. Meistens waren es alle drei Faktoren die sich einander bedingen. Da es sehr sehr schnell geht bei Benzodiazepinen, dass sie zunächst eine psychische und sofort darauf eine körperliche Abhängigkeit erschaffen, war ich der perfekte Kandidat darauf anzuspringen. Das mit der körperlichen Abhängigkeit geht sehr viel schneller als beispielsweise bei Alkohol. Süchtig war ich gleich nach Einnahme der ersten Pille. Es kommt noch hinzu, dass man sehr schnell die Dosis steigern muss, um den anfänglichen Wirkeffekt aufrecht erhalten zu können. Immer wieder auf der Suche nach dem Kick vom Anfang nahm ich letztlich Dosen, die jenseits von Gut und Böse waren. Dabei ist mir deutlich bewusst, wie gefährlich das war. Gerade in Verbindung mit Alkohol kann es zu Atemstillstand kommen. Ich möchte überhaupt nicht darüber nachdenken wie oft ich dem Tod von der Schippe gesprungen sein mag. Möchte es aber hier nicht unerwähnt lassen!

Ich habe eineinhalb Jahre hier im Zwielicht mitgearbeitet während dieser abstinenten Zeit. Hier ging es tatsächlich ohne diese Mittel. Einerseits arbeitete ich hier sehr stark von der Stundenzahl her reduziert, zum anderen traf ich hier ein Kollektiv von Mitarbeitern an, die Verständnis für alle möglichen Unmöglichkeiten hatten. Hier brauchte man keine Scham. Das war mir zwar sehr schnell klar, doch konnte ich es leider lange Zeit für mich persönlich nicht so einfach umsetzen. Das kann ich auch jetzt noch nicht vollkommen. Und das bringt mich dazu, was ich eigentlich erzählen möchte. Eines noch vorweg: Selbst wenn es jetzt für viele Leute so aussehen mag, als wenn ich erneut versagt hätte, weiß ich in meinem Inneren, dass es nicht so ist, da ich weiter kämpfen kann. Und dies ist möglich, weil sich in dieser Redaktion Menschen befinden, die selbst von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Ich bin für dieses große Geschenk sehr dankbar. Auch wenn ich es nicht immer zeigen kann. Und möglich ist es vor allem deswegen, weil ich verstanden habe, dass es nicht wichtig ist wie oft man fällt, sondern wie oft man wieder aufsteht.

Während meines letzten Aufenthaltes auf der Entzugsstation, und nachher in der Tagesklinik, (da eine dreiwöchige stationäre Entzugsbehandlung, dank sogenannter Gesundheitsreform, nicht mehr möglich ist; ich möchte auch darauf hinweisen, dass ein Medikamentenentzug selbst in drei Wochen noch lange nicht überstanden ist) wurde mir sehr viel bewusst. Unter anderem wurde ich zum Nachdenken über meine Kindheit angeregt. Die Gespräche mit einer Psychologin und einem langjährigen und sehr erfahrenen Mitarbeiter im Suchtbereich, führten mich unweigerlich zu diesem Thema, da es tatsächlich mein Thema ist, obwohl ich dachte, diese Vergangenheit längst hinter mir gelassen zu haben. Bis jetzt verfolgen mich aber diese Kindheitserfahrungen, und ich trage in mir immer noch meinen vor Jahren verstorbenen Vater (seines Zeichens Alkoholiker), der für mich nur lediglich mein Erzeuger war. Ich trage ihn insofern in mir, in dem er mich lehrte, dass ich nichts kann, dass ich nichts tauge, nichts wert bin! Meine Mutter konnte schließlich nicht mehr tun als Wogen zu glätten, Wunden zu verarzten.

Niemand auf der Welt braucht mehr Halt und Sicherheit als ein Kind. Und normalerweise geben Eltern ihren Kindern genau das. Wenn ein Mensch im Werden begriffen ist, dann braucht diese Person ganz ganz dringend jemanden zum Festhalten, zum Vertrauen. Ich hatte dies nie. Bis heute habe ich Probleme Menschen zu vertrauen. Bis heute habe ich Probleme mit anderen Männern umzugehen. Da ich selbst nie einen vernünftigen Begriff davon vermittelt bekam, was ein Mann ist, oder sein soll, oder was auch immer. Wenn ich auf mein Leben zurück blicke, waren es immer Frauen die mich auffangen konnten, irgendwo. Mir irgendwo so etwas wie einen Halt und ein bisschen Verständnis geben konnten. Meine Mutter eingeschlossen. Das soll kein Loblied auf die Frauen dieser Welt werden. Vielmehr macht es mir persönlich deutlich, dass der Begriff davon, was ein Mann ist, in unserer Gesellschaft sehr stark von Bildern geprägt ist. Ich komme bei der Begegnung mit anderen Männern nicht über die Oberflächlichkeiten hinaus. Mein verkorkstes Weltbild sagt mir: “Ich muss stark sein, ich muss mich beweisen. Jede Schwäche, die ich gegenüber einem anderen Mann zugebe, kommt einem Verlieren des Bodens unter den Füßen gleich. Wenn er eine meiner Schwächen erkennt, wird er mich bei der nächsten Gelegenheit in die Pfanne hauen. Ein Mann hat hart zu sein, er weint nicht, er unterhält sich über Fußball und Autos. Mit einem Mann kann man sich nur oberflächlich unterhalten, da für ihn alles andere Quatsch und Gefühlsduselei ist.” Freundschaft mit Menschen meines Geschlechts kenne ich nur aus Kindheitstagen. Ich bin hilflos. Ich wüsste nicht, über was ich mich mit ihnen unterhalten sollte. Außerdem fühle ich mich andern Männern gegenüber stets unterlegen. Ich möchte diese Idee endlich mal aus mir hinauspeitschen, da sie sicherlich nicht der Wahrheit entspricht. Mein Verstand weiß das, mein Herz noch nicht.

Wenn als Kind kein Verlass auf die Eltern ist, man sich immer danach ausrichten muss welcher Wind gerade bläst, um zu überleben, wie kann man dann als “Erwachsener” authentisch sein? Woher soll ich wissen, wer ich heute bin? In dem einen Moment weint er und liebkost dich, um im nächsten Moment zuzuschlagen? Ich trage die Dämonen aus der Vergangenheit noch immer mit mir. Warum?! Weil ich mit ihnen leben musste, ob ich wollte oder nicht, für so lange Zeit. Und es wird eben so lange dauern, bis ich sie loswerden kann!

Deshalb sag ich noch einmal mehr: Lass uns drüber reden! Es ist wichtig! Ich habe in meinem Leben gelernt, wenn man die Details aus der Vergangenheit, sprich, die Dämonen, aufdröselt, wenn man versucht Knoten zu lösen, dann kommt es an die Tagesoberfläche. Und es wird sonnenklar. Dann kann man die bösen Geister benennen, und sobald man dies tut, scheinen sie machtlos zu werden. So einfach und so schwierig ist das. Aber eins ist klar: Kein Weg führt am Reden vorbei.

Die starke Sehnsucht danach, alle Gefühle komplett auszuschalten, sie ist immer da. Wird immer da sein! Zu flüchten aus dieser so unerträglichen Realität. Vor dem Schmerz zu fliehen. Das ist nur natürlich und menschlich. Kein anderer wird für dich dein Leben leben und deine Qual erleiden. Deshalb ist es mehr als verständlich, warum du das tust. Aber alle Gefühle auszuschalten bedeutet auch, aufzuhören zu leben. Es ist das Gegenteil von leben. Du nimmst dir auch die unbezahlbaren, einmaligen und unwiederbringbaren Momente. Du nimmst dir die Chance Leben zu empfinden. Du bestrafst dich abermals und wieder und wieder für etwas, dass du nicht getan hast. Du flüchtest dich in deine Rolle als Opfer, weil du immer Opfer warst. Manchmal ist es einfacher den Weg zu gehen der einem so vertraut erscheint, selbst wenn man sich damit selbst wehtut.

Manchmal müssen mehrere negative Faktoren zusammenkommen, um einem die Fähigkeit zu verleihen darüber zu reden. Weil einem dann nichts mehr auf der Seele brennt als dieses. Weil es einfach raus muss! Es drängt sich aus dem Herzen und dem Magen nach oben und kann nur wie eine Fontäne heraussprudeln. Man muss es auskotzen. Weil man sich in nichts anderes mehr flüchten kann ohne dabei zu verbrennen. Es gibt keine Substitution mehr, die einen vor dem Leben schützt. Während einer meiner unzähligen Entzugs- und Therapiebehandlungen sagte irgendjemand mal zu mir: “ Bevor eine Person nicht an ihrem persönlichen Tiefpunkt angekommen ist, kann man ihr nicht helfen.“ Aus meiner bisherigen Erfahrung stimme ich dem zu.

Ich habe begriffen, dass das gesprochene Wort Macht hat. Das unausgesprochene Wort jedoch auch. Denn es wächst weiter und weiter und es frisst dich irgendwann auf. Deshalb sprich! Rede! Du musst den Teufel benennen! Du musst ihn benennen und ihm mitteilen, dass er keine Macht mehr über dich hat! Du musst dem Kind in dir endlich geben was es verdient und so dringend braucht: Liebe! Du musst nichts weiter tun, als dir das zu nehmen was dir gehört! Tu es! Endlich! Jeden Tag! Du musst es nicht – du darfst es!

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