Als ich kurz vor meinem 18. Geburtstag von der Gemeinde einer Freikirche angesprochen wurde, war es damals das Beste, was mir passieren konnte. Dachte ich. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen.
Ich war mal wieder von zu Hause weggelaufen und hatte die Zeit in der Stadt vertrödelt. Ich sah eine Straßenevangelisation, und ein Mann sprach mich an. Der lud mich auch zum Gottesdienst ein. Dort wurde ich sehr liebevoll und warmherzig aufgenommen. Es dauerte auch nicht lange, und ich war in vielen Gruppen, durfte mich austesten und lernte neue Freunde kennen. Es gab nicht einen Tag, an dem ich nicht in dieser Gemeinde war. Das ging auch eine Weile ganz gut so. Bis mir dann die Frage gestellt wurde, ob ich nicht ein Teil dieser Gemeinschaft sein möchte. Klar wollte ich dazugehören – weil ich Freunde hatte, die mich so nahmen, wie ich war. Die sehr um mich bemüht waren, und ich merkte, ich konnte mit ihnen auch reden. Sie nahmen mich ernst, gaben mir Halt. Und das Wichtigste war: Ich gehörte voll dazu und war kein Randmitglied. Klar wollte ich dabei sein. Ich ließ mich taufen. Die Taufe war der Eintritt in die Gemeinde. Und ich gehörte mit allem dazu, durfte in Gemeindeversammlungen mitwählen und meine Meinung sagen; durfte neue Ideen einbringen, die sogar übernommen wurden. Selbst im Gottesdienst spielte ich abends am Keyboard die Musik, während die Pastoren für alle die Hand auflegten und füreinander beteten. Jeder, der wollte, kam dran. Ich fühlte mich sehr wohl. Sie versuchten aus mir eine richtige Frau nach dem Bild Gottes zu machen. Denn ich war nie wirklich eine Frau. Ich wollte auch nie wirklich eine Frau sein. Aber ich wollte Gott und meinen Freunden gefallen. Aber das habe ich nie laut ausgesprochen. Irgendwann kam der Pastor auf mich zu und meinte, er würde gerne mit mir und ein paar Leuten aus der Gemeinde für mich beten. Damit alles Schlechte und das, was mich nicht zu einer richtigen Frau werden lasse, verschwindet. Dass ich die Frau werde, die Gott in seinen Augen sehen will: eine wunderschöne Perle. Es waren mehrere Stunden Gebet über mehrere Tage.
Jetzt wird sich jeder denken: Wenn es unangenehm war, warum bist du nicht weg? Es war nicht unangenehm. Anstrengend, ja, aber ich war nicht am Boden zerstört. Denn ich wollte ja ein richtiger Christ sein. Das machen, was ich in den ganzen Jahren gelernt hatte. Was ja aus der Bibel vorgelesen und gelehrt wurde, im Gottesdienst und in der Jugend und im Hauskreis, konnte ich nicht als falsch erkennen, sondern ich war falsch. Ich hatte ja dem Gebet zugestimmt, weil ich nicht richtig war.
Nach dem Gebet schauten alle, wie ich mich jetzt entwickeln würde. Ob ich die Frau wurde. Und der innere Kampf ging los. Ich vertraute mich keinem an. Dieser Kampf war nur meiner, selbst Gott wollte ich da nicht mit einbringen.
Ich zog weg, doch mein Kampf hörte nicht auf. Natürlich bin ich in der neuen Stadt auch in eine Gemeinde gekommen. Ich wurde in eine neue Gemeinde überwiesen. Ich überspringe ein paar Jahre, indem ich nur einen Satz dazu schreibe: Ich hatte lange Zeit Heimweh und fühlte mich in der neuen Gemeinde nicht wohl.
Zu der Zeit fingen meine psychische Probleme an. Ich hatte immer mehr mit Ängsten zu tun. In der Gemeinde wurden mir dann Sachen an den Kopf geworfen, wie zum Beispiel: „Wieso hast du kurze Haare, hast du gesündigt?“ Ich bin raus. War ein Jahr nicht mehr in einer Gemeinde. Aber mit dem Verlangen, irgendwo dazuzugehören, Halt und Geborgenheit zu finden, suchte ich eine neue Gemeinde, in der ich Mitglied werden konnte. Ich fand eine, die mich sehr schnell einband. Da habe ich in sehr vielen Gruppen mitgemacht. Hatte wieder Verantwortung, und mein Heimweh verschwand.
Immer, wenn die Gefühle hochkamen, dass ich keine Frau bin, dass ich Mann bin und der Wunsch, nach Mann auszusehen und als Mann wahrgenommen zu werden, versuchte ich schnell, diese Gedanken und Gefühle zu unterbinden. Ich verbot mir, das zu fühlen, zu wünschen und alles.
Ich war nach Gottes Bild eine Frau.
Ich war dann mit Vielem überfordert. Ich war immer am Tun, aber die psychischen Probleme wurden immer schlimmer.
Ich war oft in der Klinik. Das verstanden einige in der Gemeinde nicht, warum es mir immer wieder schlechtging. Oft versuchten sie, ihre Unsicherheit mir gegenüber zu verbergen. Manchmal hieß es in Gesprächen, ich müsste mehr beten. Dann kam, ich müsste glauben, und immer mal wieder wurde gesagt, man müsste sich nicht anstrengen, damit Gott einem hilft. Es gab vereinzelte Menschen, wie einen meiner heutigen besten Freunde, die mir wirklich helfen wollten, die mich dabei haben wollten, so dass ich mich wertvoll fühlte. Wegen meiner psychischen Erkrankung bekam ich keine Aufgaben mehr. Mein bester Freund war Leiter einer Kindergruppe. Er merkte, dass die Kinder mit mir viel Spaß hatten, und ich durfte mich wieder mehr einbringen. Wenn die Kinder zum Zelten fuhren, durfte ich mit. Und das gab mir wieder mehr Halt und Stabilität. Mein Freund ging aus dieser Gemeinde raus. Seine Gedanken waren dem Pastor und den Ältesten ein Dorn im Auge. Er wurde richtig rausgemobbt. Auch er wurde krank. Ich war in der Gemeinde alleine.
Klar, ich hatte meinen Hauskreis, und bei den Kindern war ich auch noch dabei. Aber richtige Freunde hatte ich in der Gemeinde nicht. Ich wollte nicht nur dabei sein. Ich wollte ein Teil sein.
Im letzten Jahr in der Gemeinde eskalierte es. Ich wurde richtig körperlich krank.
Ich hatte immer mal wieder gesundheitliche Probleme, aber diesmal verlor ich dazu meine Kraft.
Ich konnte nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Gemeinde fahren. Meine Panikattacken ließen das nicht zu.
Die Mitarbeiter der Kindergruppe schienen es nicht wahrzunehmen: „Na, du hast mal wieder eine schlechte Zeit“ gab es an den Kopf. An einem Wochenende, es sollte so ein Kindermitarbeiterseminar sein, wurde mir vorgeworfen, dass ich zu wenig bete. Es müsse doch langsam eine Verbesserung kommen. Ich solle für mich beten lassen. In den Gebetsräumen könnte mich Gott heilen. Weil man den Eindruck hätte, ich wolle gar nicht gesund werden.
Es arbeitete sehr stark in meinem Kopf. Kann das sein? Einerseits gibt es keinen Druck, anderseits wird dir Druck gemacht – wegen einer Situation, die du nicht ändern kannst. Klar, ich kann was für mich tun, damit es mir besser geht. Aber es gibt Dinge, die sind nicht gewollt und dennoch da.
Ich musste mich entscheiden. Ich wollte, dass es mir gutgeht. Also musste ich mich von dem trennen, was schlecht war. Ich gab meinen Schlüssel der Gemeinde ab und ging wortlos.
Es war wie ein Sack, der mir die Luft abschnürte. Ich hatte das irrwitzige Gefühl gehabt, dass ich frei bin. Eigentlich sollte Gott frei machen, Lasten von uns nehmen. Aber in dem Moment, als ich aus diesem Haus raus war, war ich erleichtert. 23 Jahre… sie sind ein Teil von mir und nicht alles war schlecht; ich hatte mich auch wohlgefühlt. Aber nicht so sein zu können, wie ich bin; mich verstecken, nicht mein wahres ICH zu zeigen; das, was mich ausmacht. Alle verbotenen Gefühle kamen an die Oberfläche. Es dauerte nicht mal eine Woche, und ich outete mich das erste Mal. Ich kann euch sagen, ich bin über 30 Meter größer geworden. Leute, die mich kennen, konnten nicht glauben, wie stark ich mich innerhalb eines halben Jahres verändert hatte. In meiner Familie ist meine Transsexualität kein Problem. Mein Großvater sagte dazu, dass mein Schweigen mich krank gemacht hat. Er hat nicht unrecht, und er ist 90 Jahre alt.
Heute kann ich das nicht mehr verbergen und will das auch nicht. Ich hab mich von vielen Menschen getrennt, ihnen den Rücken gekehrt. Und sie ignoriert – selbst als sie versuchten, mich zu kontaktieren. Ich habe nicht das Gefühl, ich bin falsch. Ich bin nicht richtig. Transgender zu sein ist keine Krankheit. Aber sie kann dich krankmachen, wenn du das ignorierst oder andere das0 nicht akzeptieren können.
Ich bin noch ganz am Anfang, aber ein Bärtchen wächst schon.