Es war ein regnerischer Tag, an dem die Firma „Henning Bestattungen“ zur Lesung von Johanna Klug ins Künstlerhaus Bremen geladen hatte. Das Künstlerhaus, malerisch an der Weser gelegen und nur einen Katzensprung von der Schlachte entfernt, bietet ausreichend Platz für ungefähr 60 Interessierte, die an diesem Abend erschienen waren, um einer jungen Frau zuzuhören, die sich bereits in jungen Jahren für die Begleitung sterbender Menschen und ihrer Familien entschieden hat. Die Autorin Johanna Klug, heute 28 Jahre alt, wusste bereits mit 16 Jahren, dass sie sich mit den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinandersetzen möchte. Nach einer Tätigkeit in der Altenpflege und langjähriger Erfahrung im Hospiz- und Palliativbereich in Deutschland und Südafrika, hat sie sich auf die Begleitung Sterbender spezialisiert. Ihren Fokus habe sie bewusst auf die Begleitung von Kindern und Jugendlichen gelegt, da hier ja der Ursprung sei, so die Autorin.
Es sei ihr wichtig, in dieser Lesung eine lockere Atmosphäre zu schaffen, in der nicht ausschließlich sie erzähle, sondern auch das Publikum seine Erfahrungen teilen könne. Johanna wollte vom Publikum geduzt werden. Nachdem sie ein paar Zeilen aus ihrem Buch gelesen hatte, erzählte sie von einem kleinen Mädchen Namens Sarah. Sie hatte Sarah während ihrer Studienzeit in Hamburg kennengelernt. Die Verbindung zu ihr besteht bis heute. Sarah leidet an Kinderdemenz. Bei jedem Treffen befürchtet Johanna, dass Sarah sie schon nicht mehr wiedererkennen wird.
Sarah selbst weiß nichts von ihrer tödlichen Diagnose. Ihre Eltern lehnen dies ab und ihr seien als Sterbe- und Trauerbegleitung klare Grenzen gesetzt. Und wieder einmal wird deutlich, wie wichtig es ist, Kindern- und Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen und in einer kindgerechten Form und angemessenen Dosierung mit ihnen zu kommunizieren. Kinder vertragen die Wahrheit und wollen sie sogar wissen, so die Autorin. Wenn zu viel Raum für Spekulationen bleibt, führt dies eher zu Ängsten. Aussagen wie „Der Opa schläft“ schüren Ängste und können dazu führen, dass Kinder Angst vor dem Schlafengehen haben.
Kinder, die an Kinderdemenz leiden, können an die 30 Jahre alt werden, auch wenn sie nach und nach ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten verlieren und es wahrscheinlich ist, dass sie irgendwann künstlich ernährt werden müssen. Doch neben all diesen schweren Themen berichtet sie auch von Leichtigkeit. Davon, dass Sarah ihr Zugang zu ihrem eigenen inneren Kind verschafft hat und sie viel zusammen lachen. Sarah, deren Krankheit ihr das Augenlicht genommen hatte und die sich seitdem mehr auf ihre anderen Sinne verlassen muss, nennt Johanna liebevoll „Radieschenkopf“ und bezieht sich damit auf ihren kahlgeschorenen Kopf. Wie viel Zeit ihr mit Sarah noch verbleibt, bevor das Vergessen über sie weht, das weiß sie nicht. Umso mehr erinnert Johanna das Publikum daran, dass es am Lebensende nicht auf den Konsum und Besitz ankommt, den wir im Leben anstreben, sondern auf die Begegnungen, die wir hatten. Denn das ist es, was wirklich zählt.
So erzählte sie mit ihrer ruhigen Stimme an diesem Abend von mehreren Menschen, die sie am Lebensende begleiten durfte. Den Impuls, ein eigenes Buch zu schreiben, habe sie von ihrer Lektorin erhalten, die sie durch Zufall kennengelernt habe. Schnell war die Idee geboren, einen Text über die Ernährung am Lebensende zu schreiben. Besonders irritierend findet Johanna, dass Essen eine so große Rolle in unserer Gesellschaft spielt, sich jedoch niemand mit der Ernährung Sterbender auseinandersetzt. Ihrer Lektorin war dieses Thema allerdings zu dünn für ein komplettes Buch. Und so fiel die Entscheidung, ein Kapitel in ihrem Buch „Mehr vom Leben“ dem Thema „Ernährung am Lebensende“ zu widmen. Zum Ende der Lesung berichtet Johanna noch von Anna, einer jungen Frau, die sie in den letzten Wochen ihres Lebens begleiten durfte. Anna war unheilbar an Krebs erkrankt und wurde nur 31 Jahre alt. Durch sie habe Johanna so viel gelernt und vielleicht hätte sie, ohne die Begegnung mit Anna, auch niemals diesen Weg eingeschlagen. „Und manchmal, wenn der Wind weht, die Sonne scheint oder es regnet, schaue ich in den Himmel und denke an Anna.“ (Johanna Klug: „Mehr vom Leben“)
Im Raum herrscht Stille. Und wieder einmal wird – wie so oft an diesem Abend – deutlich, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Am 4. Oktober 2022 ist ihr neues Buch mit dem Titel „Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens“ erschienen.
Wer mehr von Johanna lesen möchte, kann auf ihrem Blog „endlichendlos“ oder auf ihrem Instagram Kanal „Die Hanns“ vorbeischauen.
Wenn Johanna Klug am Freitagnachmittag auf die ‘Palli’ geht, hat sie meistens irgendwas dabei: Schokoküsse, auf die sie Gesichter malt, oder einen Strauß Blumen. Kleine Dinge, über die sich die Sterbenden, die die 28-Jährige besucht, freuen.