Herr Thomas Hempel war ein Referent der Veranstaltung Psychiatrie 2.0 in Bremen, die am 07.11.18 stattfand.
„Warum ist unser System so segmentiert?“ – mit dieser Frage legt Herr Thomas Hempel, Geschäftsführer der Therapiehilfe Bremen gGmbH, den Grundstein für die nächsten 30 Minuten.
In seinem Vortrag stellt er nicht nur das Bedarfsgruppenmodell vor, welches er selber mit entwickelt hat, sondern beschreibt auch überzeugend die Probleme mit dem bisherigen Zuweisungssystem.
Suchtbehandlungsangebote werden im klassischem Ansatz fast ausschließlich auf Suchtstoffbasis eingeteilt, unterteilt zwischen legalen (Alkohol und Medikamente) und illegalen (Drogen) Stoffen. Es gibt also unterschiedliche Beratungsstellen und Therapien für die beiden Bereiche, welche strikt voneinander getrennt sind.
„Monosüchtige“ sind allerdings in der heutigen Zeit eher eine Rarität. Das heißt, dass die meisten mit Suchtproblemen mehr als nur eine Sucht vorweisen, wodurch sich eine eindeutige Zuweisung auf Substanzbasis als nicht möglich erweist.
Das Bedarfsgruppenmodell jedoch orientiert sich nicht nach Suchtmittel, sondern nach dem Beeinträchtigungsgrad des Betroffenen. Durch eine ausführliche Anamnese, welche bis zu 2 Wochen dauern kann, wird dieser bestimmt. Behandlungsschwerpunkte und -dauer werden abhängig der Schwere der Sucht bzw. der Lebensrealität des Patienten gesetzt.
Derzeit wird zwischen 3 „Härtegraden“ unterschieden:
Bedarfsgruppe 1 weist lediglich leichte Einschränkungen auf; soziales und berufliches Umfeld ist noch weitestgehend stabil, die Sucht besteht noch nicht allzu lange oder es liegt eine Monosucht vor
Bedarfsgruppe 2 sieht sich mit bereits fortgeschrittenen Problemen konfrontiert; Arbeitslosigkeit, begleitende psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen) und zerfallende zwischenmenschliche Beziehungen
Bedarfsgruppe 3 mag dem Stereotyp des „Junkies“ am ehesten entsprechen; soziale Isolation, Arbeitsunfähigkeit, langzeitabhängig, multiple und schwere psychische Probleme plagen diese Menschen
Während sich das Bedarfsgruppenmodell nicht leicht in das bisherige Kassensystem einschmiegt, so unterstützt die Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen doch dieses einmalige Konzept.
Daten über den Behandlungserfolg des Bedarfsgruppenmodells liegen zurzeit noch nicht vor – es wird erst seit 2014 angewandt. Die Haltequote (der Anteil der Patienten, welche die Behandlung regulär abschließen – im Gegensatz zu Abbrüchen) jedoch ist mindestens genauso hoch wie bei herkömmlichen Modellen; im Falle der Schwerstbetroffenen sogar mit 65 % bedeutend höher, welche sonst in eine Drogenentwöhnungseinrichtung überwiesen würden – wo eine Haltequote von 40 – 45 % als sehr gut gilt.
Meiner persönlichen Ansicht nach macht das Bedarfsgruppenmodell um einiges mehr Sinn als eine Einteilung nach Suchtmittel. Der Grad der Beeinträchtigung beim Konsum einer Droge ist eher selten allein an der Droge festzumachen (Meth wäre vielleicht ein Beispiel), vielmehr ist Frequenz und „Härte“ aussagend. Alkoholismus kann bereits beim gewöhnungsmäßigen, wöchentlichen Trinken auf der Piste anfangen und nicht erst mit 3.0 Promille im Rinnstein. Während in beiden Fällen eine Sucht vorliegt, so ist der Behandlungsbedarf und Ansatz doch ein anderer. Zu sagen „Alkohol ist Alkohol und daher gibt es dafür lediglich einen bestimmten Behandlungsplan“ macht für mich nicht viel Sinn.