Hier stehe ich – ich kann nicht anders. In einem unterkühlten Treppenhaus.
Denn die Haustür ist soeben mit einem leisen Klick ins Schloss gefallen. Hinter mir, und heimtückisch.
Und auf diese Türe glotzend werde ich gewahr, an einem mir befremdlichen Ort zu stehen. Noch dazu im Bademantel, für Treppenhäuser ungeeignet.
Zum Glück ist die Dame, deren Schritte nun deutlich näher kommen, mir bereits bekannt – man begegnet sich nun mal gelegentlich.
Aber was mag sie diesmal denken? Sie denkt wohl, dass sich der seltsame Freund der Nachbarin wiedermal seltsam verhält.
Na gut, das ließe sich verkraften – nun aber ab in den Keller – ebenfalls kühl!
Denn wohin sonst sollte ich auch gehen?
Es ist entschieden, ich habe dieses Problem alleine zu lösen oder durchzustehen.
Oder kommt die Wohnungsinhaberin, meine Freundin, schon bald mit dem Schlüssel? Das wäre natürlich zu einfach!
Wie oft habe ich schon umsonst gewartet?
Wie oft mich zwangsbeschäftigt? (Ausflippen bringt normalerweise nix.)
Ich ahne, es droht ein mehrstündiges Auf-sich-alleine-gestellt-sein. Ich verfalle in ein dumpfes Brüten.
Ich füge mich äußerlich in das Unvermeidbare, weiche ich dabei innerlich aus oder halte ich noch stand?
Das pseudophilosophische Gedankenkarussel dreht sich und Pseudooptimismus kommt auf (es hätte alles viel schlimmer kommen können).
Und woran erinnert mich dieser Zustand, dieser Modus?
Wie oft musste ich mich in jungen Jahren über peinliche Pannen hinwegretten: Mangels Sprit mitten im Stadtverkehr zum Erliegen gekommen.
Mangels Geld des Nachts nach Hause gelaufen. Mangels Fahrradbeleuchtung im Dunkeln auf die Schnauze gefallen. Wiederentdecken der eigenen Körperkraft und dem Spaß an Luft und Liebe.
Der von Muttern beargwohnte jugendliche Leichtsinn wird trotzig ausgelebt und führt zu Lebenspraxis.
Der eigenen Beschränktheit stellt man sich erst im reifen Alter, angesichts geschlossener Mauern, verschlossener Vorgesetzter oder abwesender Partner.
Man erlebt neue Zustände und erleidet neue Pannen.
Alles in allem gewöhnt man sich an ein Leben im Provisorium. Daraus gewonnene Gelassenheit wird zum eigentlichen Luxus.
Anstelle des eigenen Autos verfüge ich über sehr viel Zeit, ich darf in mich gehen, seltsame Gefühle zulassen, mich in tieferen Schichten meines Seins wiederfinden.
Und ich gönne mir die Illusion von Bewegungsfreiheit und Handlungsspielräumen.
Und um diese nun konkret zu ermessen, habe ich mich im kühlen Keller in einen Liegestuhl zurückgezogen.
(Eigentlich ist der ganze Tag eh blöd gelaufen und du wolltest in Ruhe sitzen und wolltest diesen Liegestuhl ja sowieso für den Balkon testen.)
Zufällig habe ich hier am Vortage beim Aufräumen Platz geschaffen. Und ebenfalls zufällig fallen mir die gestern hier deponierten Klamotten ein, welche mir halbwegs passen – doch zumindest warm halten, draußen dämmert es. Vorher jedoch noch einen kleinen Abendspaziergang,
barfuß wäre möglich auf dem Wärme speichernden Asphaltboden des Fahrradweges. Dafür kann ich die Waschraumtüre mal kurz offenlassen.
Wohl an, ich bin dem Knast entronnen.
Es kommen mir nur wenig Leute entgegen und man wandelt unter grünen Bäumen. Feierabendstimmung. Alle Hunde sind schon ausgeführt.
Reiner Müßiggang. Nur noch vermeintliche Narren spazieren hier. Passt zu meinen Klamotten, da wäre auch der Morgenmantel, der ja auch ein Abendmantel ist, noch akzeptiert worden.
Nun aber genug der Offenbarung meines Innenlebens! Es wird dunkel und der Keller droht erneut.
Nur die Parkbank erwirkt einen letzten Aufschub, die Stunden verstreichen.
Endstation Keller, nun stürzt die Stimmung und damit auch meine Körpertemperatur.
Mit schnellen Temperaturstürzen verbindet man ja traumatische Ereignisse.
Damals kam ich zurück aus Südfrankreich und arbeitete am nächsten Tag in einer eisgekühlten Halle, einer provisorischen Sortierhalle in Bremen.
Keiner traute sich zu mucken (oder waren die andern solche Arbeitsbedingungen gewohnt?) – ich glotzte jedenfalls ungläubig aus meinen geschwollenen Augenhöhlen – ich hielt den Abend durch; ein Job mehr, dessen ich mich würde entledigen müssen, um das Trauma integrieren zu können.
Nun sitze ich – oder vielmehr liege ich – im Keller meiner Freundin – auch hier müsste noch vieles sortiert werden – in Gedanken verweile ich noch bei meinem mittlerweile 2000 km entfernten Bruder in Südfrankreich.
Bald werde ich erlöst.