Autor:in: Jacqueline Lamut, Ingo Bathmann, Volker Brinkmann, Irmgard Gummig

Corona

Breakdown

Dezember 2019 – erster Fall des Coronavirus in der Millionenstadt Wuhan der chinesischen Provinz Hubai. März 2020 – Das Coronavirus ist inzwischen auch bei uns angekommen und legt nicht nur mich sondern auch ganz Deutschland lahm. Und versetzt die Welt wie wir sie kannten ins Chaos.

17.03.2020 – Ich schlage die Augen auf, es ist der erste Tag an dem ich notgedrungen zu Hause bleiben muss und nicht mehr zur Arbeit gehen darf. Mein Chef hat recht mit dem was er sagt – die Situation muss ernst genommen werden. Aber in meinem Kopf ist diese Tatsache noch nicht ganz angekommen und so fällt es mir schwer den Ist-Zustand zu akzeptieren. Dann folgt der Lockdown. Eine nie da gewesene Stille erfüllt die Straßen und man sieht die Unsicherheit in den Augen seiner Mitmenschen. MITmenschen – ein Wort der Solidarität, die in diesen Zeiten so dringend benötigt wird wie nie zuvor.

22.04.2020 – ich sitze endlich wieder hinter meinem Schreibtisch und es tut gut, ein winziges Stück Normalität wiedererlangt zu haben. Die letzten Wochen waren hart… Obwohl ich versuchte meinen Tag zu strukturieren, legte sich die Depression wie eine bleierne Decke über mich. Und so kam es vor, dass ich viele Tage am Stück weder das Haus verließ, noch soziale Kontakte wahrnahm und nur zwischen dem Bett und der Couch hin und her pendelte. Ich fühlte mich nutzlos, alleine und meinen Gedanken und Gefühlen ausgeliefert. Meine Oma sprach mir gut zu, sagte mir, dass auch wieder andere Zeiten kämen und so versuchte auch ich mir gut zuzureden. Es gelang mir nur selten. Die Tage und Nächte zogen sich. Das Haus für einen Spaziergang zu verlassen, fiel mir aufgrund einer Angststörung, die erneut Wurzeln geschlagen hatte, schwer und so saß ich in meinem eigens auferlegten Gefängnis.

Als dann die ersehnte Nachricht kam, war ich unsagbar erleichtert, weil ich es wohl nicht von alleine geschafft hätte mich zu befreien. Ich hoffe, dass ich dieses Gefühl nicht mehr so schnell hergeben muss.

von Jacqueline Lamut

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Isolation

Corona – ein Wort, das uns innerhalb kürzester Zeit von morgens bis abends begleitet. Keine Nachrichten ohne Corona, kaum ein Gespräch auf der Straße oder unter Freunden ohne Corona. Vielerlei Einschränkungen für uns alle in allen Lebensbereichen. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Viele Beschäftigungen und Kontakte außerhalb unserer vier Wände sind kaum oder gar nicht mehr möglich. Eine Prüfung für Familien und Alleinstehende. Doch wo Familien eher zu viel Action haben, kehren bei vielen Alleinstehenden die Stille und Kontaktlosigkeit ein. Selbst der Plausch auf der Straße, im Bus oder beim Bäcker, überhaupt unter Menschen sein, findet kaum noch statt.

Für viele psychisch Erkrankte finden Nähe und sozialer Austausch in Einrichtungen wie Tagesstätten und deren Veranstaltungen statt. Mal jemand der einfach nur zuhört oder jemandem zuhören, abgelenkt sein, in Gesellschaft sein oder über Corana reden – Stopp – Dank Corona sind eben diese Tagesstätten geschlossen, einige im Notbetrieb für kleine telefonische Anliegen. Zusammen mit den anderen geschlossenen Angeboten in Kultur, Freizeit und Sport ist jetzt umso mehr Einfallsreichtum und Durchhaltevermögen gefragt, um über den Tag zu kommen.

Aber wir sollten den Kopf nicht hängen lassen. Corona hat den ganzen Erdball mittlerweile umklammert. Was aber auch heißt, dass viele Länder und unzählige schlaue Köpfe an Medikamenten und Impfstoffen arbeiten. Regierungen weltweit signalisieren verkürzte Testverfahren- und zeiten in dieser Ausnahmesituation zuzulassen. Mit jeder Woche lernen Ärzte und Wissenschaftler mehr über Corona und das ist gut so. Denn je besser man seinen Feind kennt (wenn ich das so sagen darf) desto besser kann man ihn bekämpfen. Aktuell findet nach und nach wieder mehr öffentliches Leben statt. Wünschen wir, dass es so bleibt und weitergeht. Lassen wir den Kopf nicht hängen, schon gar nicht zu sehr hängen. Kommt gut über die nächste Zeit und freut euch auf bessere Zeiten mit Freunden und Familie oder Bekannten.

von Ingo Bathmann

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Reduktion

Eine Krise kann immer Erkenntnisse mit sich bringen, die einen stärken können. Man kann jedoch auch an ihr zugrunde gehen. Jedes Individuum hat seine persönliche Corona-Geschichte – und jede darf gerne erzählt werden. Der Blickwinkel auf viele Dinge des alltäglichen Lebens kann sich verändern. Aus philosophischer Sicht gibt diese Zeit sicherlich viel her – sie darf aber auch gerne irgendwann vorbei  sein…

Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder darüber aufgeregt, dass in einer Kultur der totalen Kommerzialisierung Werte wie Solidarität nicht mehr gefragt sind. Mir schien, als hätte die Gesellschaft diese so wichtige Kompetenz verlernt. Manche Beobachtungen im Alltag stimmen mich diesbezüglich jetzt wieder etwas hoffnungsfroh.

Zudem ist spürbar, dass die Besinnung auf die kleinen, feinen Dinge des Lebens in der Krise eine andere Gewichtung bekommen: Liebe, Natur, Freunde, Musik, sportliche Betätigung oder die simple Freude an einer schönen Mahlzeit oder Kaffeetafel.

Zurück zum Wesentlichen, zurück zur Einfachheit.

Vielleicht ist die Welt in den letzten Jahrzehnten auch schlichtweg zu komplex für unsere zarten Seelen geworden. Vielleicht hat uns der Konsum innerlich entleert.

Corona nervt tierisch, hat uns aber auch was zu erzählen. Beispielsweise, wie egal die Fußball-Bundesliga sein kann.

von Volker Brinkmann

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Meine Freundin Linda

„Wie geht es dir?“

„Ich bin nur noch in Panik“, antwortet sie. Nach längerem Gespräch, in dem ich nochmals nachfrage, versucht sie Genaueres zu sagen.

Tränenüberströmt auf einmal das Gesicht mir gegenüber, der Körper meiner Freundin sackt in sich zusammen, ein Zittern nur noch und sie rutscht fast vom Stuhl. Was mache ich nun? Coronakrise, Verbote, Auflagen… Nein das lasse ich nicht zu, gehe rüber und versuche zu stützen, nehme sie in den Arm. Anderes hilft nicht, um sie wenigstens ein wenig zu beruhigen.

Was eigentlich los ist, berichtet sie dann in abgehackten Sätzen.

Seit Tagen (oder Wochen?) sitzt sie zu Hause und befindet sich in einem schlimmen Angstzustand. Sie lebt schon länger in ziemlich ausgeprägter sozialer Isolation. Die Ursachen dafür sind Traumatisierungen durch Missbrauch, den sie in der Kindheit erlebte. Bisher hatte sie wenigstens persönliche Kontakte, manchmal zu ihren Kindern, gelegentlich bei Einkäufen oder Arztbesuchen.

Nun schafft sie es nicht mehr vor die Tür. Schreien könnte sie die ganze Zeit vor Angst. Sie erklärt mir, dass Bilder sie ständig überrollen, sog. Flashbacks, von den Tätern, diese trugen Masken bei ihren Gewalttaten. Es gab schon leichtere Zeiten in denen sie viel für Verarbeitung und Verbesserung ihres Lebens getan hat, Hilfe und Unterstützung von einigen Seiten annehmen konnte. Jetzt kommt niemand zu ihr und stützt, keine Psychotherapie findet statt. Der Pflegedienst macht auch nur Online-Dienst. Und draußen laufen Menschen mit Masken umher.

Vorsichtig geht ihr Blick in Richtung Balkon. Auf dem stehen Gurkenpflanzen, ein paar Stiefmütterchen und ein gemütlicher Stuhl. Die Vögel sind zu hören. Alles kleine Freuden des Lebens. Sie schafft es nicht, dort zu sitzen, die Pflanzen zu gießen. Doch, nachts einmal.

Liebe Freundin, bitte ruf‘ mich jederzeit an und ich rufe dich jederzeit an, immer wenn wir es schaffen. Bitte liebe Freundin überlebe weiterhin.

von Irmgard Gummig