Autor:in: Volker Althoff

„Das ist ein echter Paukenschlag“

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Bremer Werkgemeinschaft (BWG) stellt zum Ende des Jahres die Psychiatrische Häusliche Krankenpflege ein


„Das ist ein echter Paukenschlag“, meint Karsten Post. Der Geschäftsführer der Pflegedienstleitung APP/IVP des ASB Seelische Gesundheit ist sehr betroffen über die Entscheidung der Bremer Werkgemeinschaft (BWG). Der psychiatrische Träger beendet zum Jahresende 2024 sein Leistungsangebot der psychiatrisch Häuslichen Krankenpflege (pHKP), die vielen als Ambulant Psychiatrische Pflege (APP) bekannt ist. Diese Entscheidung bedeutet das Aus einer zentralen, krankenkassenfinanzierten Leistung nach dem Sozialgesetzbuch V, die seit Jahrzehnten eine wichtige Unterstützung für Menschen in seelischen Krisen darstellt. Denn die pHKP dient in einem mittelfristigen Behandlungszeitraum in kurzen, regelmäßigen Intervallen zur Aktivierung und Krisenbewältigung. „Die APP ist ein elementarer Bestandteil der psychiatrischen Versorgung. Gerade für Menschen mit schweren und chronischen psychischen Erkrankungen spielt sie eine wichtige Rolle“, meint Kirsten Kappert-Gonther. Sie ist Psychiaterin und Abgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und befasst sich hauptsächlich mit den Themen der seelischen Gesundheit. Das Ziel ist, eine stationäre Behandlung zu vermeiden oder verkürzen. Zudem soll eine ärztliche Behandlung sichergestellt werden. Die ambulante Leistung ist für Menschen mit einer psychischen Erkrankung gedacht, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zu versorgen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und wichtige Kontakte aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich haben alle Versicherten Anspruch auf diese Kassenleistung.

„Das ist eine traurig machende Neuigkeit“, sagt Karsten Post. Die Patienten, die das ambulante Versorgungsangebot nutzen, seien mit Beendigung dieser Leistung sich selbst überlassen. Neben der BWG gibt es zwei weitere Anbieter: den ASB Seelische Gesundheit und die Ambulanten Dienste Perspektive. Aktuell versorgt das Angebot der BWG über 100 Menschen, während über 200 auf der Warteliste stehen. „Wir sind bestrebt, Menschen, die bei der BWG auf der Warteliste stehen zu übernehmen“, verspricht Post. „Wir wollen keine lange Wartezeiten, sondern sofort versorgen. Aber zurzeit ist unsere Vorstellung nicht umsetzbar.“ Die jetzige Situation verschärfe sich, wenn ein großer Anbieter wie die BWG wegbricht. „Unser Ziel ist, mehr ambulante Angebote zu schaffen.“

Auch Jürgen Stening, Geschäftsführer der Ambulanten Dienste Perspektive, versichert, langfristig das Angebot der pHKP aufrechtzuerhalten. „Denn wir betrachten das Angebot als einen äußerst wichtigen Baustein in der ambulanten psychiatrischen Versorgung, gerade im Hinblick auf Menschen, die sich in akuten psychischen Krisen befinden.“ Auch er bedauert sehr, dass die BWG ihr Angebot einstellt. Das werde weiteren Druck auf die verbleibende ambulante Versorgungsstruktur ausüben.

Kerstin Möller-Burkhard, Mitarbeiterin der BWG, beobachtet, dass die Kollegen für die pHKP-Leistung brennen. „Zum Teil arbeiten sie seit 20 Jahren in dem Bereich. Und sie arbeiten mit Herzblut.“ Es gehe auch um ihre Zukunft. Ähnlich sieht es Arnolde Trei-Benker, ebenfalls Mitarbeiterin der BWG: „Andere Leistungserbringer haben lange Wartelisten. Und die psychiatrischen Kliniken und das ambulante Versorgungsangebot BravO – Bremen ambulant vor Ort – sind überlastet.“

Eine Verschlechterung der psychiatrischen Versorgung sieht der Bremer Psychiater Sebastian von Berg: „Die Tageskliniken haben kaum Aufnahmekapazitäten. Zudem befürchte ich, dass es schwer ist, einen Klinikplatz zu bekommen.“

„Die Entscheidung zur Kündigung des Versorgungsvertrages wurde von der BWG getroffen, nachdem es zunehmend unmöglich wurde, die notwendigen fachlichen Standards in der ambulanten Versorgung psychisch erkrankter Menschen sicherzustellen“, heißt es in einer Pressemitteilung der BWG. Das bedeutet: „Das Arbeiten im Stundentakt, gerade bei einer Klientel, die eine psychische Belastung mit sich bringt, hat nicht gut funktioniert“, sagt Karsten Armgardt, Geschäftsführer der BWG. So sei die pHKP ein „starres Gerüst“. „Das ermöglicht kein flexibles Arbeiten mit Menschen, die eine psychische Belastung haben“, so Armgardt. Hinzu kämen noch niedrige Vergütungssätze.

„Mit Bedauern und Verwunderung haben die Bremer Krankenkassenverbände die Kündigung des Vertrages der pHKP durch die BWG zur Kenntnis genommen“, lautet es in einer Pressemitteilung des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Weiter heißt es: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kündigung des Vertrages durch die BWG weder sachgerecht noch zielführend ist. Fachliche Standards entsprechen den gesetzlichen Vorgaben und müssen bei Bedarf auf Bundesebene angepasst werden, in Bremen kann hierüber nicht verhandelt werden“. Der Verband verspricht, dass die jeweilige Krankenkasse bei Versorgungsengpässen bei der Suche nach Versorgungsalternativen unterstützend zur Seite steht.

Die Gesundheitsbehörde ist überrascht über die Entscheidung der BWG. „In Gesprächen mit anderen Trägern, die ebenfalls eine Ambulante Psychiatrische Pflege anbieten, wurde uns berichtet, dass es Fortschritte in den Verhandlungen mit den Krankenkassen gegeben habe. Die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz sitzt bei den Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern nicht mit am Tisch“, teilt Diana Schlee, Pressesprecherin der Behörde mit. „Dennoch sind wir davon überzeugt, dass es für die Bremer das Angebot der APP geben sollte. Wir werden dazu mit den anderen Trägern ins Gespräch gehen und hoffen, dass die Kapazitäten an anderer Stelle ausgebaut werden können.“

Beate Griesmeyer ist entsetzt über den Schritt der BWG. Sie ist wütend und zornig. Die Klientin nimmt seit Mai die pHKP der BWG in Anspruch. „Es wird am falschen Ende gespart. Das macht mir total Angst. Jeder hat ein Anspruch auf ein gesundes Leben.“ Ihr hilft es, dass zwei Fachkräfte zu ihr im Wechsel nach Hause kommen. „Sie ergänzen sich wunderbar. Sie sehen, wie es mir geht, was sich bei mir verändert hat oder nicht. Sie helfen mir beispielsweise bei der Bearbeitung meiner Unterlagen sowie meinen Alltag zu strukturieren. Das ist eine große Erleichterung für mich.“

Annabell Schilling arbeitet seit 10 Jahren als Fachkraft in der APP der BWG. Sie bedauert den Wegfall dieser besonderen Versorgungsleistung zutiefst: „Das Ende der ambulanten psychiatrischen Pflege innerhalb des Versorgungsangebotes der Bremer Werkgemeinschaft reißt ein großes Loch in die sozialpsychiatrische Landschaft Bremens und erschwert aufsuchende Notfallversorgung in emotionalen Krisen massiv.” Sie hat im Laufe der letzten Jahre ein immer weiter fortschreitende Verschlechterung der vertraglichen Konditionen mit den Krankenkassen beobachtet. „Diese Entwicklung betrachte ich stets mit großer Sorge”, sagt Schilling.

Stefanie Beckröge, Pressesprecherin der GeNo, befürchtet, dass jetzt mehr Patienten in die psychiatrische Klinik gehen, um entweder stationär oder innerhalb des ambulanten Angebotes BravO (Bremen ambulant vor Ort) behandelt zu werden. „Das sind aber Hilfsangebote, die sehr viel umfangreicher und daher auch kostenintensiver sind“, sagt sie.

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