Wir wandern schon drei Tage lang. Freiwillig. Aus Spaß, der sich gerade nicht einstellt, da wir einen Weg über eine Wiese gewählt haben, die übergangslos in ein hüfthohes Distelfeld mündet. Umkehren?
Nein, Johannes, geht voran, mutig, ohne Zögern, er ist es ja auch, der Mann, der diese Tour geplant hat. Also muss er da jetzt durch. ER spurt den Weg für die siebenköpfige Gruppe – und das mit kurzen Hosen, lässt sich nicht anmerken, ob ihn der Distelkontakt, dem er zwangsläufig ausgesetzt sein muss, schmerzt. Für uns Folgende ist es mit dem etwas freigetretenen Pfad ein wenig leichter.
Wir gehen lange hintereinander in der gleißenden Mittagssonne. Laut Karte hätte schon längst eine Brücke über den Fluss kommen müssen, der sich irgendwo links von uns hinter dichten Büschen verbirgt. Vielleicht gibt es die Brücke aber nicht mehr, vermuten wir.
Es ist ein mühseliges Gehen, ständig muss man aufpassen, nicht doch von den Disteln gebissen zu werden, was nicht immer gelingt (sie scheinen heute besonders hungrig zu sein).
Aber – dieser heiße beschwerliche Gänsemarschgang hat etwas Erhabenes. Anders als in der vorletzten Nacht, als mich die kleinen Kriebelmücken wahnsinnig machten und den Schlaf oft verhinderten, ist diese Herausforderung eine, die mich beglückt. Wir trotzen den Widrigkeiten, in der Gruppe geht das auch leichter. Wir lockern die Stimmung mit Sprüchen, reichen uns die Hände, wenn es notwendig ist und weisen uns auf gefährliche Stellen hin. Kurzum – dieser Distelgang ist klasse.
Mit einem Mal ist die Pieksigkeit vorbei, eine freie Wiese vor uns und der Fluss zur linken Seite. Wir entdecken eine sandige, nicht so steile Uferstelle und spähen nach links und rechts. Keine Brücke weit und breit. Wir haben uns wohl ein wenig verlaufen, studieren die Karte und rätseln, wo wir wohl genau sind. Anscheinend fünf Kilometer von der nächsten Brücke entfernt. Das wären zehn Kilometer Umweg, die keiner mehr bereit ist zu gehen. Also? Bleibt nur noch der Weg durch den Fluss. Wir schauen uns an, erst etwas ungläubig, dann setzt sich Stück für Stück in der Gruppe der Gedanke durch: „Wir machen das!“
Der Fluss ist an dieser Stelle ca. fünfzehn Meter breit. Aber wie tief? Geht wohl bis zum Bauch, in der Mitte bestimmt noch weiter.
Das heißt – wenn wir mit trockener Kleidung auf der anderen Seite ankommen wollen, sollten wir diese ausziehen. Leicht verschämt registrieren wir diese Tatsache, hier und da ein Blick in die Ferne. Aber letztlich sind wir uns in den letzen Tagen schon ein wenig vertraut geworden, haben auch schon mehrfach halb- oder unbekleidet im Fluss gebadet. Aber das ist jetzt schon ein wenig anders. Egal. Ich entledige mich meiner Sachen, stopfe sie in den Rucksack und verknote die Wanderschuhe an einem Riemen des selbigen. Dann nehme ich das schwere Teil, lege es auf meinen Kopf und halte es an den Rändern mit beiden Händen fest, ähnlich einer afrikanischen Frau mit ihrem Wasserkrug auf dem Weg zum Brunnen. Dabei muss ich aufpassen, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Es wäre schade, wenn der Rucksack samt Inhalt (besonders der Daunenschlafsack) durchnässt werden würde.
So gehe ich mit meinem afrikanischen Gefühl quer zur Strömung des Flusses, der mir tatsächlich an manchen Stellen bis zur Brust geht. Trotz des Julis ist das Wasser nicht heiß, aber die Kühle tut gut, und vor allem fühle ich mich gut, nein, ich fühle mich wunderbar bei dieser ungewöhnlichen Flussquerung. Leider ist es nur eine so kurze Zeit bis zum gegenüberliegenden Ufer, wo gleich Konzentration gefragt ist. Eine steile Böschung, die alleine kaum zu bewältigen ist. Helfende Hände nehmen den Rucksack ab, ziehen mich das Ufer hinauf. Geschafft. Oben gleich wieder Disteln, es ist schwer einen Platz zum Abtrocknen und Anziehen zu finden. Ein wenig Scham ist auch gleich wieder dabei. Verschwindet aber schnell. Bald sind alle auf dieser Seite angekommen, alle heil (bei früheren Gruppenaktionen in demselben Fluss, hatte sich auch mal jemand einen blutigen Fuß geholt), die Rucksäcke trocken geblieben. Auf allen Gesichtern ist ein Strahlen zu sehen.