Nach dem vielen Regen reizen mich die ersten Sonnenstrahlen mit einer Fahrradtour. Auf dem Fahrrad, durch die Wallanlagen radelnd, hänge ich meinen Gedanken nach. lch bin immer versucht, schöne Erlebnisse, Augenblicke festzuhalten. Doch es ist nicht möglich, die Zeit rennt dahin, das Schöne, Junge und Neue vergeht. Gerade in glücklichen Stunden scheint die Zeit zu rennen.
Traurige, leidvolle Stunden ziehen sich schwerfällig und träge. Die traurigen Stunden scheinen einem
ewiger als die Zeit des Glücks.
lch bin sehr dankbar. lch habe ein Leben im Wohlstand, einen netten Mann und bin recht gesund.
lch habe Fehler gemacht. lch habe sie zugelassen, diese Fehler und viel daraus gelernt.
Ich bin mutig auf den Weg des Neuen gegangen, habe es gewagt, doch musste ich nach kurzer Zeit umkehren, denn es war eine Sackgasse.
lch werde in Zukunft die schlechten Launen der anderen nicht mehr persönlich nehmen.
lch habe mich immer an kleinen einfachen Dingen erfreut, wie dem Wassertropfen auf einem Frauenmantelblatt, das mir eben begegnet ist.
Wichtig im Leben ist Essen und Trinken, Ruhen, Schlafen und Entspannen, um aufzutanken. Leider regnet es wieder und die verschlungenen Wege der Wallanlagen haben mich zur Wallmühle geführt.
lch kehre auf einen Kaffee und Cola ein. Sitze geschützt draußen unter dem großen gelben Sonnenschirm, der nun zum Regenschirm wird. lch genieße den Blick auf das gelb-blaue Blumenbeet.
lch möchte alles aufsaugen, die Natur, die frische Luft, selbst den Regen, meine Gefühle, Wissbegierde in mir aufnehmen, festhalten, mitnehmen, um irgendwann zu wissen, dass ich gelebt, geliebt habe oder in schweren Stunden darin Halt zu finden.
Einige Jahre dachte ich, das Leben hätte keine Windungen, Kreuzungen, Sackgassen, Kehrtwendungen des so geraden langweiligen Lebensweges für mich. Doch in den letzten Jahren raste ich wie in einer Achterbahn, es ging so schnell in die Kurven oder es wurden blitzschnelle Entscheidungen an Kreuzungen getroffen.
lch weiß, dass ich eine schöne, begehrenswerte Frau bin. Viele Männer lieben mich, besonders mein Mann hat mich in sein Herz geschlossen. lch habe viele Verehrer, das tut mir gut.
Die Käfigtür des goldenen Käfigs war offen. lch bin hinausgeflogen, aber wieder zurückgekehrt in die Sicherheit und Geborgenheit des Käfigs. Nur bin ich immer noch nicht in der Lage, den Käfig selbst für immer zu schließen. Da ist immer noch der Drang nach Freiheit, Abenteuer und Lebenshunger. Versunken in meinen Gedanken sitze ich hier mittlerweile im treppenförmigen Theatergarten der Wallanlagen. Es ist ein verregneter Spätsommer, alles ist kräftig grün, beginnt Früchte zu tragen und lässt den Herbst erahnen. Eine einzige pinkfarbene Rose leuchtet in der Ferne am Rosenbusch. Vereinzelt lugen orange Lilien aus ihrem Versteck hervor. Zwei Häschen hoppeln dicht an mir vorbei, wechseln das Gebüsch.
Wenn ich an die über vierzig vergangenen Jahre meines Lebens zurückblicke, war ich ständig unterwegs, auf der Suche nach meinem Ich. Nie war ich zufrieden oder fühlte mich vollkommen. Menschen begegnen sich in der Welt, in der Stadt, auf der Straße, kennen sich, grüßen sich oder lernen sich näher kennen. Gehen gemeinsam weiter, bleiben kurz beieinander oder verlieren sich wieder.
Wieso lastet die Pflicht des Lebens so schwer auf mir ? Weil ich diese Pflichten nicht gerne habe. Im Augenblick macht mir alles Mühe. Der Haushalt, die Dinge täglichen Lebens, wie Essen, Duschen oder einfach nur auf dem Sofa liegen sind zu schwer.
Wieso fühle ich mich immer so einsam? ln meiner kleinen Wohnung, die Opfer der Fluten geworden
ist, fühlte ich nie Einsamkeit. lch fühlte mich dort geborgen oder war die Zeit zu kurz in der Wohnung, um Einsamkeit zu bemerken?
Allein, einsam, umgeben von Liebespaaren bin ich nun. Die Paare halten und küssen sich. lch habe einen Ehemann, der mich liebt, doch fühle ich mich nicht umarmt oder geküsst. Viele junge Leute tummeln sich hier im Park. Lachen und sind fröhlich beieinander. lch sitze hier nun unter dem grau verhangenen Bremer Himmel, oben auf dem Theaterberg am Ende der Wallanlagen und schaue auf die Weser, die ruhig dahin fließt. Mein Blickfeld ist eingerahmt von meinem roten Hollandrad, links der Lenker, rechts der Ledersattel und hinter dem Sattel der Korb mit meiner bunten Tasche. lch sehe vor mir gänseblümchengeschmücktes Gras, eine bunte Perlenkette aus Autos, die auf dem Osterdeich fahren. Ein grünes Kanu auf der Weser streift das Wasser. Der Blick endet auf der ,,umgedrehten Kommode”, die von satten grünen Bäumen eingefasst wird. Rechts vom Wasserturm, wie Zahnstocher, zerbrechlich wirkende Kräne.
Der nächste Regenguss droht und ich fahre durch die Wallanlagen, die die Bremer Altstadt einfassen,
nach Hause. Die Domglocken läuten. Plötzlich scheint die Zeit still zu stehen, nur ich auf meinem
Fahrrad bewege mich vorwärts. Sollte es doch möglich sein Augenblicke einzufangen?