Sie schneidet das Obst für das morgendliche Müsli und fühlt sich plötzlich in die Klinik zurückversetzt:
Auf dem Servierwagen liegen Brettchen und Messer; daneben ein Apfel.
Es kostet Überwindung, aber sie fragt laut: „Gehört jemandem der Apfel?“
„Nein, den kannst du nehmen.“
Man weiß ja nie, wer in welcher Stimmung ist und welche Katastrophen man heraufbeschwören kann.
Jemand tritt zu nah an sie heran, aber sie weicht nicht zurück; man weiß nicht, was ein Zurückweichen auslösen könnte.
Einige sagen „Guten Morgen!“ beim Eintreten. Keine Antwort – dann weißt du, das war störend.
Du kommst in den Speisesaal und grüßt nicht, und jemand sagt erzieherisch-gereizt:
„Guten Morgen!“ Dann weißt du, dass du einen Regelverstoß begangen hast.
Es können aber auch andere oder keine Reaktionen erfolgen.
Aufstehen und den Raum verlassen, demonstrativ oder weinend oder schreiend.
„Das ist ja wie früher, da durfte ich auch nichts sagen.“
„Psst, wir haben Schweigezeit!“
„Wieso, wer hat das denn angeordnet?“
„Ja genau, das muss auf die nächste Sitzung.“
Sie würgt ihr Müsli herunter, holt sich noch einen Kaffee, obwohl sie doch wieder auf Tee umsteigen wollte, bringt ihr schmutziges Geschirr weg und geht mit dem Becher auf ihr Zimmer. Soll sie zwar nicht, aber sie muss allein sein.
Kostbare Minuten vor der ersten Veranstaltung.
Ein Blick auf den Tagesplan: Gruppentherapie.
Ein Blick aus dem Fenster: Die Bäume sind verschneit und still.
Sie setzt sich auf den Sessel, umfasst den wärmenden Becher mit beiden Händen.
Schnell, Zähne putzen und aufs Klo. Nur noch fünf Minuten. Noch ein Blick auf den Plan: Welcher Raum ist es denn nun heute? Wollsocken schnappen und los. Bestimmt sind die besten Plätze schon besetzt.
„Komm hierher, Barbara, ich hab‘ hier für dich freigehalten.“ Sie wirft ihm einen dankbaren Blick zu; Peter weiß, dass sie am liebsten mit dem Rücken zur Wand gegenüber dem großen Fenster sitzt.
Wie es ihm jetzt wohl geht? Sie wird ihn auch heute nicht anrufen. Seine Frau ist krankhaft eifersüchtig.