Autor:in: Benjamin Runge

Was glaubst Du?

Dinge, an die man glaubt

Glaube ist laut Duden einerseits eine „gefühlsmäßige, nicht von Beweisen, Fakten o.ä. bestimmte unbedingte Gewissheit, Überzeugung“, andererseits eine „religiöse Überzeugung“. Jeder glaubt an irgendwas, kleine und große Dinge, religiöse, metaphysische oder ganz gewöhnliche Annahmen im Alltag. Woran glaubst du? Für viele Menschen ist eine Religion immer noch ein zentraler Bestandteil ihres Lebens, wobei das Gottesbild natürlich nicht nur zwischen den vielen verschiedenen Religionen stark variiert, sondern auch innerhalb einer Religion. Ist es ein liebender, gnädiger Gott oder vielleicht eher ein strafender Gott, der mich beobachtet? Vielleicht auch ein unberechenbarer, den man bei Laune halten muss? Sind es mehrere Götter? Oder ist es vielleicht eher ein übergeordnetes Prinzip wie das Karma, das dafür sorgt, dass jeder erntet, was er sät? Ist die Welt bzw. unser Planet ein einziger großer Organismus? Glauben wir an eine Wiedergeburt oder an ein Leben nach dem Tod? Ist unser Handeln vorherbestimmt oder haben wir einen freien Willen?

Wer Religion für sich ablehnt, glaubt dafür vielleicht an das Gute im Menschen oder hat ein grundsätzliches Vertrauen, dass irgendwann mal alles gut wird. Was haben wir für ein Bild davon, wie der Mensch eigentlich ist? Ist er im Grunde seines Wesens gut, schlecht oder weder noch? Ist er in der Lage, sich auf eine Weise zu organisieren, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht oder gewinnt am Ende die Gier einiger Weniger, zusammen mit der Ignoranz und Resignation Vieler? Glauben wir, dass die Menschheit es noch schafft, die Klimakrise in den Griff zu kriegen oder werden wir innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben, da der Planet dann nicht mehr bewohnbar sein wird?

Wie sehr glauben wir der Wissenschaft? Für manche stellt sie die verlässlichste Wissensquelle dar, die es gibt. Andere sehen sie nur als eine Wissensquelle von vielen oder vermuten, dass die Geldgeber, Wirtschaft und Politik bereits einen so großen Einfluss ausüben, dass man den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien kaum mehr vertrauen kann. Herablassend spricht man von Wissenschaftsgläubigkeit, wenn man darauf hinauswill, dass die Wissenschaft auch nicht alles erklären kann, was wir in einer komplexen Welt erleben. Stattdessen wendet man sich vielleicht der Esoterik oder alternativen Medizin zu.

Auswirkungen auf unser Leben

Woran wir glauben, beeinflusst unser Leben. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch eine potentielle Gefahrenquelle ist, werden wir anders durchs Leben gehen, als wenn wir in jedem Menschen ein komplexes, liebenswertes Wesen sehen. Wenn wir nicht an die Wirksamkeit von Impfstoffen glauben, werden wir uns nicht impfen lassen. Wenn wir unserem Psychiater vertrauen, werden wir eher die Medikamente nehmen, die er uns verschreibt. Wenn wir davon ausgehen, dass Microsoft eng mit der NSA zusammenarbeitet, wird das Auswirkungen darauf haben, welche Software wir benutzen usw.

Warum Glaube?

Woher kommt es, dass wir an Dinge glauben, die sich vielleicht nicht beweisen lassen oder die wir selbst nicht im Einzelnen nachvollziehen können? Können wir uns nicht einfach ausschließlich an Fakten entlanghangeln, die stichhaltig bewiesen sind? Nein, da die Welt dafür viel zu komplex ist. Selbst wenn man sich vor allem an der Wissenschaft orientiert und versucht, ausschließlich auf deren Erkenntnisse zu setzen, muss man darauf vertrauen, dass Studien ordentlich durchgeführt wurden, die Wissenschaftler dahinter keine Schwindler sind; die Fachleute, die die Arbeit überprüft haben, unbestechlich waren etc. Etablierte Strukturen und Standards sollen dabei für Glaubwürdigkeit sorgen, doch muss man selbst schon fast studiert haben, um diese zu verstehen. Und auch wenn das alles gesichert ist, stehen wir vor dem Problem, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien nicht immer eindeutig sind und übereinstimmen. Letztendlich müssen wir uns Dinge suchen, von denen wir erst mal ausgehen, um überhaupt im Alltag klarzukommen. Sonst kann man keine Entscheidung treffen, jedenfalls nicht in einem angemessenen Zeitraum. Wenn man am Gemüseregal steht und sich zwischen der Bio-Gurke und der Nicht-Bio-Gurke entscheiden muss, hat man nicht die Zeit und Energie, die genaue Bedeutung genau dieses Bio-Siegels zu recherchieren. Stattdessen geht man einem Gefühl nach, dass ein Bio-Siegel, auch wenn die Kriterien nicht perfekt sind, doch irgendwie etwas Gutes sein muss. Oder man denkt sich, dass ein Nahrungsmittel, das in einem Discounter verkauft wird, sowieso nicht wirklich ökologisch nachhaltig produziert sein kann.

Woher glauben?

Auch wenn ein Glaube nicht direkt aus Fakten kommt, haben wir Gründe dafür. Wir haben z.B. Erfahrungen gemacht. Wir haben Gründe dafür, Personen oder Institutionen als glaubwürdig oder unglaubwürdig einzustufen. „Alle Leute, die ich bisher gefragt habe, haben gute Erfahrungen in dieser Klinik gemacht.“ – „Dieser Therapeut hat auf jameda.de so eine gute Gesamtbewertung, da wird er mir vielleicht helfen können.“ – „Ich hab das bei Galileo gesehen, dann muss es doch stimmen!“ – „Mai hat das auf YouTube erklärt, die weiß Bescheid.“ Logische Gründe kann man auch mit einbringen: Was sollte es z.B. der Bundesregierung bringen, ein Virus zu erfinden? Ist die Gewöhnung an mehr staatliche Kontrolle tatsächlich ein lohnendes Ziel, um dafür eine nie dagewesene Wirtschaftskrise in Kauf zu nehmen? Oft sind die Gründe aber auch eher emotional oder sozial. Man will vielleicht einer Gruppe angehören, und die geht eben von gewissen Dingen aus. Das kann religiös sein, muss aber nicht. Es können auch Glaubenssätze bestehen wie „Polizisten sind doch sowieso alle Nazis.“ – „Christen sind alle homophob.“ – „Jeder kann Arbeit finden, wenn er nur will.“ oder „Das Boot ist voll, wir können keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.“

Kritisch bleiben

Es ist, wie bereits dargestellt, nichts Falsches oder Verwerfliches, an etwas zu glauben. Es ist zutiefst menschlich. Es ist aber zu empfehlen, in seinem Denken offen zu bleiben und sich gelegentlich zu hinterfragen bzw. hinterfragen zu lassen. Durch Offenen Dialog, auch mal mit Menschen außerhalb seiner Blase. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse, die es sich lohnt in Betracht zu ziehen. Vor ein paar hundert Jahren dachten alle, die Erde sei eine Scheibe und der Mittelpunkt des Universums. Gut, dass wir an dem Punkt nicht stehengeblieben sind.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“ Francis Picabia