Heute ist wie immer ein spannungsgeladener Tag, ich muss den Tatsachen ins Gesicht schauen.
Habe ich vergessen… oder werde ich vergessen? Im Laufe der letzten Jahre habe ich mir Vieles erarbeitet, was mein Leben trotz Handicaps bereichert. Was hat sich in den letzten Wochen verändert? Es schlich sich ein Virus in unser Leben. Von überall wird man durch Ansagen dazu aufgefordert, zuhause zu bleiben. Es herrschen Einschränkungen und Behinderungen im Alltag, zum ersten Mal für ausnahmslos alle Menschen.
Und ich?… Die Coronakrise sorgt im Moment dafür, dass ich es mir in der sozialen Isolation ein wenig „nett einrichte“. Es ist ja sooo viel zu tun. Ich bin erstmal erfreut, dass wir eine lange geplante Renovierung geschafft haben. Auch mit anderen Arbeiten kann ich mir Zeit lassen, muss nicht so oft einkaufen, Arzt, Zahnarzt usw. – „Das muss jetzt alles nicht sein“ erlaube ich mir zu sagen.
Meine Realität ist aber das beunruhigende Gefühl, etwas übersehen zu haben, und es fordert extrem Kraft, rauszugehen und mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Sogar mit persönlichen Angehörigen wird es immer schwieriger. Mit dem Gedanken an Konzentration und sich zum Ruhig-bleiben zwingen versuche ich meine Tage zu organisieren. Ich kann trotz allem etwas machen, mich an vielen Dingen erfreuen. Musik in verschiedenster Form und anderes Schönes umgeben mich. Klänge haben schon lange heilsame Wirkung für mich und geben freudige Augenblicke. Gerade macht mich der Gedanke an unsere verlorenen Stunden beim Singen traurig, doch mir fallen in dem Zusammenhang andere Situationen der letzten Jahre ein und wie wir gemeinsam damit umgegangen sind. Schon mehrmals sind wir in Handlung gegangen und haben uns neu organisiert.
In der momentanen gesellschaftlichen Realität muss auch Vieles neu erdacht werden. Vielleicht kommt daher dieses beunruhigende Gefühl, irgendetwas Wesentliches vergessen zu haben. Kranke, Schwache und Alte werden vom Rest der Gesellschaft isoliert; Sterbende und Hinterbliebene können sich teilweise nicht von ihren Liebsten verabschieden.
Beim notwendigen Umorganisieren sollte kein Tag vergehen, an dem der gesellschaftliche Betreuungsauftrag vergessen wird und die Schutz-, Hilfe- und Fürsorgebedürftigen Unterstützung bekommen.
Wird die Gesellschaft nach überstandener Pandemie im Umgang mit Menschen mit Handicap noch mehr umdenken? Wer wird die Krise unbeschadet überstehen? Und wer wird dadurch sogar profitieren?
Ich sehe in der Zukunft, dass Menschen, für die Einschränkungen ganz normal sind, besonders wertvoll sein werden – als Ratgeber und Sachverständige im Umgang mit Einschränkungen und Krisen.