Autor:in: Volker Althoff

„Ich möchte den Transformationsprozess weiterhin begleiten und fortsetzen“

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Deniz Karagülle spricht im Interview über Projekte für die Psychiatrie / Neuer Chefarzt stellt sich vor

 

Frage V.Althoff: Herr Dr. Karagülle, Sie sind seit dem 1. April Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie der Gesundheit Nord – kurz GeNo. Haben Sie sich inzwischen gut eingelebt?

 

Antwort Dr. Karagülle: Ja, ich habe mich sehr gut eingelebt. Es wird mir dadurch leicht gemacht, dass ich in der Übergangszeit von Herrn Dr. Bührig unterstützt werde. Das Team ist sehr entgegenkommend. Die motivierten Mitarbeiter haben dafür gesorgt, dass mir mein Ankommen erleichtert wurde. Nur meine Familie ist noch nicht in Bremen. Der Umzug ist erst Ende des Monats geplant. Erst dann fühle ich mich richtig Zuhause. So pendel ich noch hin und her.

 

Frage: Haben Sie schon etwas gesehen hier in der Stadt Bremen? Was gefällt Ihnen am Besten in Bremen?

 

Ja, sehr viel sogar. Ich bin in unterschiedlichen Stadtteilen unterwegs, jede Woche fast woanders. Und bis jetzt erlebe ich Bremen als sehr lebendige Stadt, als sehr warm und offen. Ich wundere mich oft, wenn ich abends unterwegs bin, wie viele Menschen so auf der Straße sind. So etwas ist ja nicht selbstverständlich für alle Regionen. Es gibt Städte, in denen schon um 19 oder 20 Uhr der Asphalt geräumt wird. Hier in Bremen ist es wirklich sehr lebendig. Die Innenstadt mit den sehr vielen historischen Gebäuden finde ich sehr schön und die Atmosphäre finde ich auch sehr gut. Hafenstädte sind ja insgesamt etwas weltoffener. Deswegen ist es hier so angenehm.

 

Frage: Haben Sie einen Lieblingsplatz in Bremen?

 

Ich fühle mich in der Innenstadt sehr wohl. Und in den Cafés, in denen es etwas ruhiger ist, bin ich auch gerne.

 

Frage: Sie waren zuletzt an der psychiatrischen Klinik in Lütgendortmund. Warum sind Sie nach Bremen gewechselt und haben die Stelle von Herrn Dr. Zinkler übernommen?

 

Ich bin auf die offene Stelle hingewiesen worden, habe mich mit dieser auseinandergesetzt und Informationen dazu eingeholt. Wir sind dann sehr schnell ins Gespräch gekommen. Insgesamt hat mich das Stellenprofil sehr gereizt. Ich bin überzeugt von einer Sozialpsychiatrie mit personenzentrierten Therapien und Behandlungen. Dieses Konzept habe ich in dem Umfang wie in Bremen bundesweit noch nicht gesehen. Dazu gehört auch die hier schon sehr weit fortgeschrittene Ambulantisierung. Auch das hat mich gereizt.

 

Frage: Nun haben Sie in Lütgendortmund die StäB (Stationäquivalente Behandlung) eingeführt. Das entspricht dem Ansatz der Behandlung im Wohnumfeld. Hier in Bremen gibt es seit 2019 BravO (Bremen ambulant vor Ort). Wie bewerten Sie diesen bremischen Ansatz und werden Sie diesen fortführen?

 

In Dortmund wollte ich die StäB einführen. In Baden-Würtemberg, in Winnenden, habe ich diese Behandlungsform eingeführt. Ich finde es super, wie es hier in Bremen mit BravO praktiziert wird. Dadurch, dass es hier ein Regionalbudget gibt, setzt man das Konzept hier sehr viel moderner und fortschrittlicher um. So ist es möglich, die Ambulantisierung  und das  Home-Treatment viel besser zu gestalten. Das BravO-Konzept erlebe ich nur in Bremen und finde es beeindruckend, wie es hier vorangetrieben worden ist. Ich will die Behandlungsform weiterführen und wenn möglich ausbauen. Vorrangig müssen wir aber erstmal das Bestehende konsolidieren und stabilisieren.

 

Frage: Herr Dr. Zinkler hat im Rahmen der Psychiatriereform dafür gesorgt, dass die Zahl der Fixierungen und der Zwangsbehandlungen zurückgegangen ist. Stehen Sie auch für eine gewaltfreie Psychiatrie?

 

Jeder Arzt, Chefarzt oder Psychiater, der nach humanistischen Grundsätzen handelt, wird sich nicht für eine Zwangsbehandlung oder Gewalt in der Psychiatrie aussprechen – das wollen wir definitiv nicht! Es gibt aber leider manchmal Situationen oder Konstellationen, in denen wir die Anwendung von Zwang nicht ganz verhindern können. Unser Ziel ist aber, die Behandlung immer so zwangs- oder gewaltarm wie möglich gestalten. Das möchte ich in dieser Klinik weiterhin auch fortführen.

 

Frage: Welche Ansätze wollen Sie als neuer Chefarzt in der Bremer Psychiatrie umsetzen?

 

Ich möchte auf jeden Fall den Transformationsprozess weiterhin begleiten und fortsetzen.  Wir sind mit der Ambulantisierung sehr weit fortgeschritten. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Angebote weiter ausbauen und differenzieren können.  Für mich ist auch das Thema Prävention sehr wichtig, denn wir behandeln ja psychisch erkrankte Menschen. In diesem Kontext müssen wir darauf schauen, welche Präventionsmaßnahmen es außerhalb der Klinik gibt. Gerade in diesem Bereich müssen wir noch enger mit anderen ‚Playern‘ zusammenarbeiten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

 

Frage: Was werden Sie anders machen als Herr Dr. Zinkler?

 

Ich werde diese Frage für mich ausklammern. Denn ich war ja nicht hier, als Herr Zinkler Chefarzt war. Somit kann ich nicht sagen, was er falsch oder richtig gemacht hat. Ich spreche lieber  darüber, was ich umsetzen und bewirken möchte.

 

Frage: Haben Sie sich schon bei der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard vorgestellt und mit ihr gesprochen?

 

Ja, natürlich wir haben uns schon persönlich kennengelernt. Wir haben im Rahmen der einen oder anderen Sitzung die Gelegenheit gehabt, einige Themen aufzugreifen.

Mein Eindruck war, dass die Senatorin sehr daran interessiert ist, dass die Psychiatrie hier einen guten Standpunkt bekommt und der Transformationsprozess vorangetrieben wird.

 

Frage: Und von Seiten des Senats?

 

Ich bin davon überzeugt, dass es parteiübergreifend Konsens ist, dass die Psychiatrie hier in Bremen gut funktioniert und aufgestellt ist, um allen betroffenen Menschen Bremens eine optimale Versorgung zu bieten.

 

Frage: Wie wollen Sie bei Ihrer Arbeit die Pflegekräfte und Patienten mitnehmen?

 

In der modernen Psychiatrie ist es so, dass die alten Hierarchien nicht mehr funktionieren. Das bedeutet, man sagt nicht mehr: „Hier steht der Chefarzt, dort die Pflegedienstleitung und irgendwo anders die Pflegekräfte.“ Die Psychiatrie funktioniert wirklich gut, wenn wir als Team gut aufgestellt sind. Wir arbeiten sehr eng mit dem Pflegeteam und anderen Berufsgruppen wie Psychologen, Sozialtherapeuten, Kunsttherapeuten, Arbeitstherapeuten sowie Ergotherapeuten zusammen. Nur so können wir wirklich für die Patienten das Optimale herausholen. Ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass wir hier gegeneinander arbeiten. Wir ziehen wirklich alle an einem Strang. Und wenn wir diese Arbeit so weiterführen, werden wir das Optimale für die Patienten bieten.

 

Ich glaube auch, wenn das Team gut zusammenarbeitet, merken das die Patienten. Ich sage es immer wieder, meine Daseinsberechtigung in beruflicher Hinsicht geschieht über die Patienten. Sonst müsste ich ja gar nicht hier in der Klinik sein. Natürlich gibt es die eine oder andere Beschwerde, das ist auch in Ordnung und legitim. Jede Beschwerde wird ernst genommen und besprochen und wir schauen dabei, was wir verbessern können. Beschwerdemanagement ist für mich ein ganz wichtiger Bereich.

 

Frage: Welche Projekte wollen Sie als nächstes angehen?

 

Für mich ist es aktuell wichtig, dass wir das Erreichte stabilisieren. Der Fachkräftemangel ist zum Beispiel ein großes Problem, nicht nur in Bremen. Wir müssen darauf achten, dass unsere Teams stabil bleiben und gut arbeiten können, ist vorrangig. Und dann können wir die nächsten Projekte angehen.

Für mich ist es zum Beispiel ganz wichtig, dass wir das Thema Sucht aufgreifen. Wir wollen unser Therapieangebot für Menschen mit einer Alkohol-Abhängigkeitserkrankung ausbauen. Und dann möchten wir das ambulante Programm für Erkrankungen wie Depression oder Persönlichkeitsstörung noch weiter spezialisieren.

 

Frage: Wie soll die Erweiterung des Therapieangebotes für Alkohol-Erkrankte genau aussehen?

 

Wir wollen unser Angebot im stationären Bereich für Suchtpatienten um weitere 10 Plätze erweitern. Dazu gehört auch die Erweiterung der qualifizierten Entgiftung- oder Entzugsbehandlung.

 

Frage: Wo sehen Sie die Psychiatrie in 10 Jahren?

 

Das ist eine gute Frage. Ich würde mich freuen, wenn wir BravO in ganz Bremen fest etabliert bekommen, die Vernetzung ambulant-stationär nicht nur in der Klinik, sondern auch bei niedergelassenen Ärzten noch besser funktioniert. Es sollen nur noch diejenigen Menschen in die Klinik kommen müssen, bei denen eine ambulante Behandlung nicht möglich ist.

Ich möchte, dass alles organisatorisch noch einfacher wird, das bedeutet, dass ein niedergelassener Arzt Patienten sofort an BravO oder in die Tagesklinik überweisen kann. Im Optimalfall müssen Patienten gar nicht mehr in die Klinik. Deswegen werden wir BravO ausbauen – das ist ein Projekt für die nächsten zehn Jahre.

 

Frage: Haben Sie schon Kontakt mit psychiatrischen Trägern in Bremen aufgenommen?

 

Ich bin noch dabei. Die Einrichtungen werde ich alle noch kennenlernen. Auch unsere Ansprechpartner bei Gericht, Polizei und Politik und die Betreuer. Wenn alles gut funktionieren soll, dann müssen wir alle gut zusammenarbeiten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir als Team müssen unseren Beitrag leisten und mit allen Beteiligten eng kooperieren.

 

Frage: Gibt es Wünsche für die Zukunft?

 

Mein Wunsch wäre, dass wir immer im Gespräch bleiben. Wenn wir alle unseren Beitrag leisten, dann bin ich sehr zuversichtlich für die Zukunft. Wir sind als Gesellschaft oft defizitorientiert, das heißt, wir sehen sehr stark die Sachen, die noch nicht optimal sind. Wir sollten aber auch hervorheben, was bereits gut funktioniert.

Und ich sehe es läuft einiges schon sehr gut hier in Bremen.

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