Autor:in: Irmgard Gummig

Notfall in der Nacht – Krisendienst

Es ist nachts, 2.26 Uhr. Ich sitze Zuhause, Angst überrennt mich, ich weiß nicht mehr ein noch aus. Zuerst überfluten einen die schlimmen Bilder von früher, lösen aus, dass man nicht mehr unterscheiden kann zwischen früher und realem Jetzt. Realität ist nicht mehr zu schaffen, alles zuviel. Kaum noch ein winziger Tunnelblick, so verengt, dass ich kaum mehr sehen kann, geschweige denn denken. Es wird so schlimm, dass nur noch Angst und Verzweiflung da ist. Die Not ist so groß, dass als Lösung übermächtig nur der Gedanke an Leben beenden da ist, egal wie. Nichts anderes hat mehr Platz. Handlungsunfähig. Nicht einmal Familie oder andere vertraute Menschen schafft man zu kontaktieren. Schwarz sieht alles aus, das ist nicht Leben.

Schon oft habe ich es so erlebt. In den vergangenen Jahren habe ich ein wenig gelernt, damit umgehen, und nun bin ich wieder in dieser schlimmen Notlage. Ich weiß, dass ich diesen Gedankenkreis durchbrechen muss, mir Hilfe holen, aber ich weiß nicht mehr, wie und wo.

Die Nummer des Krisendienstes, die in meiner Telefonliste ganz oben gespeichert war, kann ich nachts nicht mehr anrufen.

Es war so hartes Training, in den depressiven Phasen, in denen die Nächte am schlimmsten erlebt werden, die Angst zu überwinden und die Notrufnummer anzurufen. Tatsächlich funktionierte es irgendwann. Damit war der Strudel, in dem ich mich befand, erst einmal durchbrochen. Ich erlebte es dann so, dass ich durch die Gespräche mit den Fachleuten am Krisentelefon aus der dunklen Tiefe, in die ich gefühlsmäßig fiel, herauskam. Ich musste nicht als Notfall in die Klinik eingeliefert werden, sondern habe es Zuhause weiter geschafft. Manchmal musste ich mehrmals beim Notruf anrufen, und die Leute am Krisentelefon haben mir jedes Mal geduldig und unterstützend herausgeholfen, erstmal bis zum nächsten Tag durchzuhalten. Dann konnte ich weitermachen, es war eine verlässliche Institution, auf die ich vertrauen konnte. Wenn ich jetzt in der Krise anrufe, weiß ich inzwischen, es kommt die Polizei. Der nächtliche Notruf ist abgeschafft. Also hangele ich mich irgendwie von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde, und weiß nicht ein noch aus.

Ich bin ein ganz normaler Mensch in einer akuten Krankheitsphase, leide an einem Trauma, ausgelöst durch Gewalttaten. Die Gedanken werden mich bis an mein Lebensende begleiten, die Angst ist immer im Hinterkopf. Dazu kommt zusätzlich die Angst vor der Handlungsunfähigkeit in den depressiven Phasen.

Was soll ich jetzt machen? Ich kann nichts dafür, dass es so ist, sondern will nur Hilfe. Rufe ich in meiner Verzweiflung irgendwo an, wird man die Polizei schicken.

So ist das im Moment geregelt.

Polizei! Einsperren! Diese alte Angst kommt jetzt dazu, denn in meiner Kindheit wurde mir so etwas angedroht, wenn ich mich anfing gegen meine Peiniger zu wehren und reden wollte.

Ich will nicht ins Krankenhaus! Ich will nicht von der Polizei weggebracht werden! Ich bin kein Verbrecher, kein Täter, im Gegenteil, ich bin schon wieder Opfer.

 


Notstand beim psychiatrischen Krisendienst
Mein Kommentar:

 

Ab 1. April 2016 ist der nächtliche Telefonnotruf und die aufsuchende Hilfe für psychisch Erkrankte und Menschen in einer seelischen Krise eingestellt. Diese Telefonnummer gehörte für mich in schweren Lebensphasen als feste Größe in mein aufgebautes Hilfenetzwerk.

Bei körperlichen Leiden  kommt selbstverständlich ein Notarzt zu den kranken Menschen nach Hause. Durch die o.g. Regelung ist eine gleichberechtigte Behandlung für psychisch kranke Menschen und Menschen mit körperlichen Erkrankungen nicht mehr gewährleistet.

Die daraufhin eingeleitete Krisendienstkampagne hat bisher erbracht, dass die Bremer Senatorin für Gesundheit öffentlich den Bedarf für ein Nottelefon grundsätzlich anerkannt hat.

Jetzt fehlen die Taten.