Autor:in: Christian Kaschkow

Psychiatrie 2.0 – die Bremer Psychiatrie bewegt sich

Psychiatrie 2.0 ist eine Veranstaltungsreihe für Anregungen und Entwicklungen rund um die psychiatrische Versorgung in Bremen, alle paar Monate stattfindend – diesmal in der Bremer City, im Haus der Wissenschaft.
Thema der Veranstaltung: “Psychotherapie in der Psychiatrie”

Nach einleitenden Worten von Jörg Utschakowski, Psychiatriekoordinator der Gesundheitssenatorin Quante-Brandt, geht diese an das Rednerpult und zeigt sich erfreut über den Anklang, den diese Veranstaltung immer wieder findet. Der Saal ist mit über 100 Zuhörern bis auf den letzten Platz besetzt. Sie äußert die Hoffnung, dass die  Psychotherapie vom Stiefkind zum Wunschkind wird, wie im Titel der Veranstaltung angekündigt. Sie möchte mehr personenzentrierte Psychiatrie und hält Psychotherapie bei Psychosen deshalb für richtig, weil diese nicht durch hirnorganische Dysfunktion verursacht werden, sondern eine Reaktion auf Ereignisse sind. Auch Moderator Schrömgens, Präsident der Bremer Psychotherapeutenkammer, äußert sich positiv über die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie. Diese hätte dem Patienten den Zugang zum Psychotherapeuten erleichtert, da eine Akutbehandlung aufgrund von Symptomen zielführender als  Ursachenforschung und Chronifizierung sei.

 

Dr. Gonther aus der Ameos-Klinik artikuliert gewohnt  souverän die Risiken und negativen Auswirkungen von Medikamenten in der psychiatrischen Versorgung. Das Mehr an Behandlung und Medi- kation erzeuge ein schlechtes Outcome (Ergebnis). Schwierigkeiten seien die fehlende psychologisch-pathologische Evidenz und das Vertrauen auf eine einfache “Schlüssel-Schloss-Therapie”. Durch die übliche Medikationsbehandlung sei der Patient 25 Jahre früher tot, das Ziel aber müsse doch sein, dass der Patient die Klinik gesünder verlasse, als er sie betreten habe.

 

 

Dr. Schützmann aus der Klinik in Ochsenzoll (Hamburg) ist nach eigenen Angaben ein Psychodynamiker. In seinem Text, den er vorliest, widmet er sich der „Ätiologie der Hysterie“ Sigmund Freuds und erzählt anhand eines Fallbeispiels seine Arbeitsweise, die für die Patienten bedeute: Offenheit und Authentizität, Verlässlichkeit und die Anleitung zur Selbstfürsorge. Schützmann zählte einige Therapieformen auf (Psychoedukation, meta-kognitives Training, usw.), die schon stationär beginnen und ambulant fortgeführt werden. Diese Verzahnung von stationär zu teilstationär zu ambulant sieht Schützmann bei seiner Arbeit als eine Art Luxus. Nach seiner Sichtweise sollte man Psychiatrie und Psychotherapie nicht trennen. Auf die Frage aus dem Publikum zum Umgang mit den Patienten antwortet er, dass er zwischen Nähe und Distanz mäandere.

 

 

Dr. Schödlbauer informiert anhand etlicher Schautafeln über die Arbeit in der Klinik Eppendorf (Hamburg). Mithilfe multiprofessioneller Teams und Bezugstherapeuten soll eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gewährleistet sein. Wichtig bei der Stabilisierung des Patienten sei das Verstehen des Auslösers der Erkrankung und die Biographie. Die Intention des “Hamburger Modells” ist eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit für die Patienten und weniger Fokussierung auf Symptomatik und Reduzierung von Rückfällen.

 

 

Genesungsbegleiterin Thelke Scholz erzählt lebhaft und überzeugend von ihrem jahrelangen Taumeln durch das medikamentös bedingte chemische Ungleichgewicht, denn die Pharmakotherapie sei der kleinste gemeinsame Nenner in der psychiatrischen Behandlung. Doch warum Pharmazie? Warum nicht gleich Psychotherapie und auf Dauer? Die habe ihr mehr geholfen, so Scholz, als Stütze zum Wachsen.

Zur Abschlussrunde, Fishbowl genannt, stellt Moderator Schrömgens die Möglichkeiten bzw. Mängel der Psychotherapie und die psychiatrische Versorgung in 10 Jahren als Fragen an die Vortragenden und das Publikum. Dr. Gonther wünscht sich Psychotherapie, die mehr auf Verlassen und Beendigung des Hilfesystems ausgerichtet ist, außerdem mehr künstlerische Therapie zum besseren Selbstverständnis des Patienten. Dr. Schützmann verspricht sich weniger Augenmerk auf die Ökonomie in der Versorgung, stattdessen mehr differenzierte Angebote. Jörg Utschakowski möchte mehr Durchlässigkeit der Sektoren (SÜB), weniger Medikamente, mehr Genesungsbegleitung, mehr Recovery, mehr Ambulanz.

Nach über drei Stunden blieb für diese Abschlussrunde mal wieder zu wenig Zeit. Bleibt zu hoffen, dass die verschiedenen Anregungen und Konzepte eine positive Veränderung in der psychiatrischen Versorgung bewirken.

 

 

Die Referenten der Veranstaltung Psychiatrie 2.0

Prof. Dr. med. Uwe Gonther
ist Ärztlicher Direktor im Ameos Klinikum Dr. Heines Bremen

Dipl. Psych. Dr. Karsten Schützmann
leitender Psychologe KLINIK NORD – OCHSENZOLL

Dipl. Psych. Dr. Michael Schödlbauer
arbeitet als Psychologischer Psychotherapeut am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Thelke Scholz
ist EX-IN Genesungsbegleiterin aus Bremen und hält bundesweit Vorträge