Autor:in: Volker Brinkmann

Interview mit dem Ortsamtsleiter Hemelingens

Jörn Hermening leitet seit März 2016 das Ortsamt Hemelingen, welches sich in der Sozialeinrichtung „KUBIKO“ befindet (in der Nähe der Hemelinger Bahnhofstraße). Die Räumlichkeiten vermitteln uns durch ihre Einrichtung und offene Architektur eine einladende Atmosphäre. In einem sehr geräumigen, hellen Dachgeschoss-Büro werden wir mit Kaffee und Gebäck empfangen. Ins Auge sticht sofort das große Abbey-Road-Poster der Beatles – Herr Hermening ist Musikliebhaber.

 

Wie sind Sie nach Bremen gekommen und im Speziellen nach Hemelingen?

Hermening: Wie das im Leben so ist – es gab viele Zufälle: Ich habe in Bielefeld studiert – und Bielefeld hat nicht mal ‘n Fluss…. Wenn man Soziale Arbeit studiert hat, muss man hinterher ein Anerkennungsjahr machen, so ähnlich wie ein Referendariat bei Lehrern. Und ich dachte mir: Ich will jetzt auch mal in die Stadt ziehen. Bremen hat mir da am besten gefallen. Ich war hier als Jugendlicher schon auf Konzerten – mein Heimatdorf liegt 100 Kilometer von hier. Im Aladin war ich zum ersten Mal mit 15 – zu einem schönen Metal-Konzert. Und Bremen ist halt anders… nicht so riesig. Es ist eine Großstadt, aber es ist noch ‘n bisschen übersichtlich.
Ich bin damals für ein Anerkennungsjahr nach Tenever gegangen und habe danach 10 Jahre in Hemelingen und 5 Jahre in Tenever als Sozialarbeiter Quartiersmanagement gemacht. Mittlerweile hatte ich auch im Stadtteil gelebt – erst in Hastedt; und jetzt wohne ich in Sebaldsbrück. Als hier in Hemelingen ein Ortsamtsleiter gesucht wurde (es ist ein Wahlamt), dachte ich: Wenn die mich haben wollen, ist das ja eine Ehre. Und jetzt bin ich hier und kann zu Fuß zur Arbeit gehen – ist auch schön.


Was sind Ihre Aufgaben? Was macht ein Ortsamtsleiter?

Hermening:  Man kann sagen, dass die Ortsämter eigentlich Dienstleister für den gewählten Beirat sind. Der Ortsamtsleiter leitet die Beirats- und Ausschusssitzungen. Bei allen Dingen, die den Stadtteil betreffen, müssen die Beiräte angehört werden. Wir bereiten Beschlüsse vor, protokollieren und vertreten dann auch den Stadtteil in verschiedenen Gremien.


Ist das Recht, angehört zu werden, das einzige Recht, welches Sie haben?

Hermening: Da haben Sie einen guten Punkt getroffen…


Einen wunden?

Hermening:  Ja, einen wunden. In vielen Bereichen muss der Beirat tatsächlich nur angehört werden – als einer von vielen Trägern öffentlicher Belange. Wenn es z.B. um Bauanträge geht, gibt der Beirat eine Stellungnahme ab. Es gibt Dinge, wenige, wo der Beirat eigenständig entscheiden kann – ein Beispiel ist die Straßenbenennung. Bei anderen Sachen muss sich die Verwaltung schon Mühe geben, wenn sie dem Votum des Beirates nicht folgt (wenn z.B. öffentliche Grundstücke verkauft werden). In eigentlich allen Bereichen des öffentlichen Lebens (z.B. Schulplanung und Kindertagesheimplanung) muss der Beirat beteiligt werden – dadurch kommt natürlich auch mehr Fachkompetenz rein.


Inwieweit werden die Bürger beteiligt – wie regeln Sie das in der Praxis?

Hermening: Ich denke, es ist ganz wichtig, den Bürger mitzunehmen. Es wird ja heutzutage viel über Politikverdrossenheit gesprochen. Aber ich denke, dass manche Entscheidungen auch einfach nur nicht erläutert werden. Es ist wichtig, mit dem Bürger ins Gespräch zu kommen. Ich gehe z.B. zum Sozialverband, wenn dieser ein Treffen hat – oder bin im Altersheim der Heimstiftung in Arbergen, wenn diese einmal im Jahr eine Einwohnerversammlung hat.
Ich bin bemüht, dass ich zu möglichst vielen Veranstaltungen hingehe, damit mir die Leute sagen können, welches ihr Anliegen ist (da der Weg zum Ortsamt dann doch manchmal zu weit ist, um sich zu überwinden). Ich frage die Leute lieber selber – da, wo sie zusammenkommen.


Welche weiteren Intentionen verfolgen Sie in Ihrer Arbeit?

Hermening: Ich glaube, dass gerade die Stadtteilpolitik und das Ortsamt die Aufgabe hat, dass die Menschen hier im Stadtteil gut zusammenleben. Wir haben hier viele Probleme im Stadtteil (Lärm, Geruchsbelastung etc.) und mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zu tun. Das ist nicht immer einfach. Wir wollen aber Brücken bauen.
Das Ortsamt bekommt z.B. viele Anrufe, die sich auf Nachbarschaftsstreitigkeiten beziehen. Das liegt auch manchmal daran, dass Leute einfach nicht mehr miteinander sprechen. Wenn man da dann auftaucht und vorschlägt, mal zum Nachbarn ‘rüberzugehen und mit dem zu sprechen, löst sich das Problem in ca. 70 – 80 Prozent der Fälle.
Wichtig ist, die Bürger zu unterstützen. Beim Sacksdamm in Sebaldsbrück sind sämtliche Mieter von der Vonovia gekündigt worden. Der Beirat hat dann das Thema öffentlich gemacht und sich dafür eingesetzt, dass die Leute Unterstützung bekommen. Daraufhin hat die Sozialbehörde Leute finanziert, die bei Verhandlungen mit dem Vermieter am Tisch sitzen.


Wenn man an die Situation mit den gelben Säcken denkt (Anm. d. Red.: geplanter Umschlag von gelben Säcken im Hemelinger Hafen; befürchtete Geruchsbelästigung) – da hörte man dann, dass der Beirat gar nicht einbezogen wurde.

Hermening: Es gibt halt gesetzliche Vorschriften, wo das Einbeziehen des Beirates erfolgen muss. Das Ortsgesetz für Beiräte und Ortsämter ist da sehr weit gefasst: Es wird bei Sachverhalten, die von öffentlichem Interesse sind, angewandt.


Übergeht man in dem Moment bewusst den Beirat, um das Ganze nicht zu kompliziert zu machen?

Hermening: In dem Fall, glaube ich nicht. Ein Kollege aus dem Bauressort ist sofort gekommen, als ich ihn angerufen habe. Da hat es einfach eine falsche Einschätzung der Situation gegeben. Ich glaube aber, dass Sie schon recht haben, dass das man manchmal auch bewusst gemacht wird. Der Beirat macht in der Regel den Behörden Arbeit.


Haben Sie denn das Gefühl, als Ortsamtsleiter gestalten zu können?

Hermening: Ja, ich glaube, viele Dinge würde es ohne den Beirat, aber auch dem Bürgerengagement, gar nicht geben. (z.B. den Zulieferertunnel für Mercedes in Hemelingen)


Es hat ja in den letzten 10, 20 Jahren einen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel gegeben (beispielsweise durch die Integration von Flüchtlingen). Nehmen Sie selber Tendenzen wahr, die darauf hindeuten, dass sich die Stimmung unter den Menschen geändert hat?

Hermening: Der Ortsteil Hemelingen ist seit 200 Jahren Integrationsquartier. Es gab in Zeiten der Industrialisierung sehr viele polnische Zuwanderer. Im “Haus für unsere Freundschaft” (Anm. d. Red.: Integrationsarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus dem Stadtteil Hemelingen) war früher die katholische Schule. Stellen Sie sich das mal vor, dass heutzutage alle Moslems in eine eigene Schule gehen oder die Schüler in der Schule sagen würden: „Muslime dürfen hier nicht zur Schule gehen!“ Damals war das zwischen evangelischen und katholischen Leuten so. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel: Man denkt heutzutage über solche Dinge nicht mehr nach – Sie wissen doch nicht, ob ich katholisch, evangelisch oder Atheist bin.


Der Ortsteil Hemelingen ist also auf einem guten Weg.

Hermening: Ich glaube, wir sind alle auf einem guten Weg.
Wir hatten in Hastedt in Hochzeiten der Flüchtlingswelle (2015) um die 1000 Flüchtlinge gehabt – 500 davon waren Jugendliche, die untergebracht waren. Ich glaube, so viele waren in ganz Ostdeutschland nicht. Die Jugendlichen wurden aufgrund einer gesetzlichen Grundlage nicht auf die Bundesländer verteilt – das hing mit dem Jugendschutz zusammen. Dies hat man mittlerweile geändert.
Es gab also sehr viele Jugendliche in Hamburg und in Bremen. Die Jugendlichen hatten auch keine Lust, irgendwo auf’m Dorf zu sitzen. Sie wollten lieber in die Stadt, wo sie vielleicht auch schon welche kannten. Deswegen waren in Bremen ca. 2500 junge Leute. Sachsen-Anhalt hatte: 2. Und wenn man das betrachtet, ist es hier wirklich gut gelaufen. Wir haben ja hier keine Ausschreitungen oder Ähnliches erlebt, sondern das Gegenteil: Dass sich in den Ortsteilen Initiativen gebildet haben, um die Geflüchteten zu unterstützen. Wir haben hier auch Ängste gehabt, natürlich. Als in Arbergen die Einrichtung “Das grüne Dorf” entstanden ist, gab es eine Versammlung in der Kirche – und ganz viele Leute waren dagegen. Durch die Beteiligung der Bürger konnte diesen jedoch vermittelt werden: Mensch, wartet doch erstmal ab. Und später haben sie dann gesagt: „Herr Hermening, da hatten Sie ja doch Recht. Ganz normale Leute.“ Die Leute hatten eben Angst, dass der IS hier einzieht – das soll jetzt nicht rassistisch oder anti-religiös klingen. Auch muslimische Einwohner hatten von diesen Ängsten berichtet.
Verändert hat sich tatsächlich der Anteil der Menschen, die sich rassistisch äußern – es wird offener kommuniziert. Dass es diese Tendenzen gibt, ist nicht neu. Die gab es immer. Aber ich denke, dass das eine Gesamtentwicklung ist (Soziale Medien etc.).


Es ist salonfähiger geworden… Haben Sie selber konkrete Erfahrungen damit gemacht? Oder wird Ihnen das zugetragen?

Hermening: Früher hat man anonyme E-Mails bekommen. Mittlerweile kriegt man die mit vollem Namen – mit rassistischen Inhalten. Aber das ist Teil dieser Gesellschaft – da muss man mit umgehen. Ich weiß auch nicht genau, ob es besser ist, wenn es anonym passiert – oder wenn Leute das direkt sagen. Da auch von denen, die solche Äußerungen treffen, nicht alle per se rassistisch sind. Bei Vielen fehlt es an der Kommunikation mit Menschen, die einen Migrationshintergrund haben; an der Kommunikation mit Menschen anderer Religion. Wenn man das dann ermöglicht, kann man auch diese Barrieren aufbrechen.


Aber es gibt es doch immer wieder Leute in der Gesellschaft, die sich trotzdem dem Dialog verweigern.

Hermening: Ja, das ist so. Das muss ich dann auch akzeptieren. Wenn die nicht wollen, dann wollen sie nicht. Das ist ja auch eine Art von Ernstnehmen. Aber die meisten Menschen haben schon ein Interesse daran, ins Gespräch über gewisse Probleme zu kommen und zu schauen: Was kann man da tun?


Gibt es noch andere Probleme, die Sie im Stadtteil wahrnehmen?

Hermening: Ja, wir haben verschiedenste Probleme: Belastung durch die Industrie; Verkehr; Lärm; Geruch – das bedeutet jedoch nicht, dass ich dafür immer eine Lösung habe. Da gilt es, dran zu arbeiten. Das ist gerade in Hemelingen schwierig.
Man muss die verschiedenen Interessen zusammenbringen – und die widersprechen sich:
Die Sehnsucht nach Ruhe in einem so lauten Stadtteil; die Sehnsucht nach kulturellen Angeboten – das ist schon mal ein Widerspruch in sich. Solche Dinge funktionieren nicht..


Haben Sie noch Wünsche oder Äußerungen, welche Sie treffen wollen?

Hermening: Was ich mir wünsche, ist mehr Mut. Wir treffen oftmals Beiratsbeschlüsse, und dann bekommenen wir von der Verwaltung die Antwort: Nee, das können wir so nicht umsetzen – da könnte ja derjenige, der dann darunter leidet, klagen.
Meine Einstellung ist: Hier hat ein demokratisches Organ (der Beirat) eine Stellungnahme abgegeben – vielleicht sollte man der Stellungnahme erstmal folgen. Und wenn dann der Kläger klagt und gewinnt, dann hat er halt gewonnen. Die Frage ist ja: Wem folgt man? Warum hat man denn Angst vor Klagen? Es geht letztendlich auch um das Ernstnehmen dieses demokratischen Prozesses. Die Verwaltung ist Dienstleiter für die Politik – denn die sind gewählt. Das wird manchmal unzureichend umgesetzt, wie ich finde.


Kann man sagen: Manchmal fühlen Sie sich ernst genommen – und manchmal nicht ernst genommen?

Hermening: Ja, das kann man sagen. Ich war mal in einer Deputationssitzung, und wenn dann ein Senator sagt: Ich kann mich ja nicht mit jeder Bürgerinitiative abgeben – dann hat er den falschen Job. Der Senator als gewählter Chef der Verwaltung muss das umsetzen, was die Bürger wollen – und ist direkt an die Entscheidung des Parlamentes gebunden.


Vielen Dank für das Interview. Es war sehr interessant.

Hermening: Freut mich.