Wieder eine Fachtagung – aber über was wird da eigentlich geredet?
Eine stark strukturierte Einrichtung als Baustein im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GVP) war das Thema der Veranstaltung Psychiatrie 2.0 im April 2019.
Es war eine Fachtagung mit zwei Vorträgen, bei der anschließend die Teilnehmer an verschiedenen Kleingruppen teilnehmen konnten. Die Ergebnisse der Kleingruppen werden in die dazugehörige schon bestehende Arbeitsgruppe der Behörde weitergegeben. Eine interessante Info, die leider nur kurz am Ende der Veranstaltung von der Moderatorin nebenbei erwähnt wurde. So schloss sich im Nachhinein der Kreis. Denn irgendwie war diese Psychiatrie 2.0 Veranstaltung etwas anders als die vorhergehende.
Weniger Vorträge und mehr Zeit für die Arbeitsgruppen, aber innerhalb der Vorträge sehr viel Fachjargon und anscheinend die Erwartung vom Redner, dass im Publikum nur „Fachpersonal“ sitzt. Es war nicht einfach, den Rednern zu folgen, wenn man nichts über „Hilfen für Menschen mit besonderen und komplexen Problemlagen“ oder „fakultativ geschlossene Heime“ wusste. Gesundheitssenatorin Quante-Brandt eröffnete wie üblich die Veranstaltung. Sie sagte, dass die Menschen mit komplexem Hilfebedarf oft zu kurz kommen. Dass man sich nicht gerne damit beschäftigt. Vermutlich, weil es einfach keine einfache Lösungen für die komplexen Probleme gibt.
Während der ganzen Veranstaltung wurde die Benennung, wer genau Menschen mit komplexem Hilfebedarf sind, vermieden. Oft fiel das Wort Systemsprenger, was einem zumindest eine ungefähre Ahnung gab, um welche Menschen es sich genau handeln könnte. Auch „gewalttätig gegen sich oder andere“ gibt einem zumindest etwas Orientierung. Am Anfang wurde kurz erwähnt, dass viele Menschen mit komplexem Hilfebedarf am Ende auf der Straße sitzen. Sie können in die Obdachlosigkeit rutschen, weil Sie in keinem der derzeitigen Systeme Hilfe finden oder als sogenannte Drehtürpatienten dauerhaft in Kliniken sind.
Psychiatrie 2.0
Fakultativ geschlossene Heime – eine Lösung für Menschen mit komplexem Hilfebedarf?
Teaser:
Psychiatrie 2.0 ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe. Die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz möchte dort weitere Impulse für die Psychiatriereform in Bremen setzen und den fachöffentlichen Diskurs über die zukünftige Ausgestaltung der psychiatrischen Angebote und Strukturen weiterführen.
Wieder eine Fachtagung – aber über was wird da eigentlich geredet?
Eine stark strukturierte Einrichtung als Baustein im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GVP) war das Thema der Veranstaltung Psychiatrie 2.0 im April 2019.
Es war eine Fachtagung mit zwei Vorträgen, bei der anschließend die Teilnehmer an verschiedenen Kleingruppen teilnehmen konnten. Die Ergebnisse der Kleingruppen werden in die dazugehörige schon bestehende Arbeitsgruppe der Behörde weitergegeben. Eine interessante Info, die leider nur kurz am Ende der Veranstaltung von der Moderatorin nebenbei erwähnt wurde. So schloss sich im Nachhinein der Kreis. Denn irgendwie war diese Psychiatrie 2.0 Veranstaltung etwas anders als die vorhergehende.
Weniger Vorträge und mehr Zeit für die Arbeitsgruppen, aber innerhalb der Vorträge sehr viel Fachjargon und anscheinend die Erwartung vom Redner, dass im Publikum nur „Fachpersonal“ sitzt. Es war nicht einfach, den Rednern zu folgen, wenn man nichts über „Hilfen für Menschen mit besonderen und komplexen Problemlagen“ oder „fakultativ geschlossene Heime“ wusste. Gesundheitssenatorin Quante-Brandt eröffnete wie üblich die Veranstaltung. Sie sagte, dass die Menschen mit komplexem Hilfebedarf oft zu kurz kommen. Dass man sich nicht gerne damit beschäftigt. Vermutlich, weil es einfach keine einfache Lösungen für die komplexen Probleme gibt.
Während der ganzen Veranstaltung wurde die Benennung, wer genau Menschen mit komplexem Hilfebedarf sind, vermieden. Oft fiel das Wort Systemsprenger, was einem zumindest eine ungefähre Ahnung gab, um welche Menschen es sich genau handeln könnte. Auch „gewalttätig gegen sich oder andere“ gibt einem zumindest etwas Orientierung. Am Anfang wurde kurz erwähnt, dass viele Menschen mit komplexem Hilfebedarf am Ende auf der Straße sitzen. Sie können in die Obdachlosigkeit rutschen, weil Sie in keinem der derzeitigen Systeme Hilfe finden oder als sogenannte Drehtürpatienten dauerhaft in Kliniken sind.
Prof. Dr. Ingmar Steinhart war der erste Redner. Er stellte Projekte vor, an denen er in anderen Bundesländern mitgewirkt hat. Seine Projekte sind teuer und sein Leitzsatz ist „small is beautiful“. Er berichtete von Wohnheimen, die lediglich fakultativ geschlossen sind. Fakultativ bedeutet „freiwillig“ oder „wahlweise“. Anscheinend ist dies ein Wort, das dem Fachpublikum ein Begriff ist. Es wird gefühlte tausendmal an diesem Tag erwähnt, aber nie erklärt. Der Leitsatz von Herrn Steinhart bezieht sich darauf, dass er aufgrund seiner Erfahrungen und aus Studien, die er und seine Kollegen erstellt haben, der Überzeugung ist, dass es extrem wichtig ist, kleine Wohneinheiten für Menschen mit komplexem Hilfebedarf einzurichten. Außerdem betonte er immer wieder, dass eine 1:1-Betreuung anzustreben ist. Gutes Personal scheint der Schlüssel zum Gelingen solch einer Einrichtung zu sein. Auch baulich gibt es eine Menge, was helfen kann, um einen guten und sinnvollen Umgang mit Menschen zu finden, die sonst eher aus dem System fallen. Herr Steinhart zeigte auch auf, dass die üblichen Maßnahmen, von denen man glaubt, sie wären hilfreich, gar nicht so gefragt sind.
„Man müsste den Einrichtungen Geld dafür geben, wenn sie nicht alle Plätze belegen (…).“ Denn zurzeit werden Menschen aus ihrer regionalen Umgebung gerissen, weil in ihrer Region entweder kein Platz in der passenden Einrichtung ist oder weil es erst gar keine passende Einrichtung gibt, die aber auch nicht gebaut wird, wenn nicht der entsprechende Bedarf da ist. So beißt sich die berühmte Katze mal wieder selbst in den Schwanz. Die bestehenden Einrichtungen werden größer, sind evtl. überlastet und können keinesfalls dem Motto „small ist beautiful“ entsprechend arbeiten.
Der zweite Vortrag von Herrn Jörg Holke von Aktion Psychisch Kranke e.V. bestätigt im Großen und Ganzen viele Aussagen seines Vorredners. Zeigt die Lage aus einer etwas „trockeneren“ Perspektive.
In der Zwielicht-Sitzung löste das Thema der „Komplex-Hilfebedürftigen“ heftige Diskussionen aus. Bei uns spiegelt sich im Kleinen, was auch im Großen das Thema so schwierig macht.
Zum einen schieden sich die Geister, wer genau mit „komplex hilfebedürftig“ gemeint ist. Zum anderen merkten wir schnell, dass es mehrere Perspektiven gibt, die einen großen Kompromiss erfordern und bei dem am Ende vielleicht nicht alle zufrieden sind.
Ein Beispiel:
Ich gehe durchs Bremer „Viertel“, eine Person spricht mich an, beleidigt mich, beschimpft mich, behauptet ich würde sie verfolgen und verfolgt mich stattdessen. In mir löst das Angst aus. Ich kenne die Person nicht. Sie wirkt aggressiv. Einfach weggehen funktioniert nicht.
Mir ist klar, dass die Person vermutlich eine Psychose hat. Dennoch fühle ich mich unbehaglich, habe Angst und bin extrem erleichtert, als die Polizei zufällig dazu kommt und sich um die Person kümmert.
Mir kommt der Gedanke, dass wir Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oft so behandeln als wären sie „Böse“. Dabei sind sie vielleicht die Schwächsten unter uns. Ihnen wurden vermutlich schreckliche Dinge angetan, weswegen sie jetzt „krank“ sind. Wir müssten eigentlich helfen, stattdessen fällt es schwer, überhaupt richtig hinzusehen. Oft scheint der einzige Weg zu sein, sie wegzusperren.
Ich bin in einem Zwiespalt, ich will keine Angst haben, ich will aber auch nicht, dass schwer kranke Menschen einfach weggesperrt werden, weil ich weiß, dass eigentlich viel Hilfe das bessere wäre. Richtig viel Hilfe wäre wohl in einer 1:1 Betreuung ansatzweise gegeben. Und „fakultativ“ geschlossen wäre wohl ein Kompromiss zwischen ganz wegsperren und dem Bedürfnis nach Sicherheit.
Ich persönlich hoffe, dass wir noch nicht am Ende sind mit der Suche nach besseren Lösungen für Menschen mit komplexen Hilfebedarf, aber bis dahin hört sich das was auf der Psych2.0 gesagt wurde zumindest schon mal nach einem guten Anfang an.