Autor:in: Volker Althoff

25. Internationales Bremer Symposium präsentiert Filme zum Thema Psychische Erkrankungen und Film

Erstmals findet es in diesem Jahr als digitale Konferenz statt: das 25. Internationale Bremer Symposium zum Film. Vom 5. bis 8. Mai präsentiert das Filmsymposium unter dem Motto “Kopf/Kino: Psychische Erkrankung und Film” internationale Beiträge aus der filmwissenschaftlichen, therapeutischen und kuratorischen Praxis sowie ein Online-Programm ausgewählter Filme.

Zum Jubiläum hat sich das Filmsymposium etwas Besonderes einfallen lassen; es widmet sich dem Thema Psychische Erkrankung. Das Kino hat dieses Gebiet begleitet, mit Themen bespielt, es geprägt und zur Weiterentwicklung von Ausdrucksmöglichkeiten und Theorien beigetragen. Das Symposium erkundet mit internationalen Fachleuten und Filmschaffenden, wie klinische und soziale Krankheitsdiskurse im Film verhandelt werden und wie das Kino eine Ästhetik psychischen Krankseins beschreiben kann. Der Fokus liegt dabei auf den Mitteln des Kinos, eine eigene, medienspezifische Ordnung von Krankheitsbildern zu generieren, weiter auf der Beziehung von Erkrankten zu Behandelnden als zentrales Setting sowie auf der Mehrdimensionalität von Krankheitsdarstellungen. Gäste des Symposiums sind: W.J.T. Mitchell, Robin Curits, Michele Aaron, Richard Warden, Maria Bäck u.v.m.

Zeitlicher Ablauf des Programms:

Mittwoch, 05.05.2021

10:00 Uhr: Forum 1: Kino-Pathografien

10:00 Uhr: Von Waking Life über A Scanner Darkly bis hin zu Undone: Die Tricktechnik der Rotoskopie als Visualisierung von psychischen Störungen?
| Markus Kügle (Mannheim)
| Film zum Vortrag: WALTZ WITH BASHIR

10:45 Uhr: Drogenwahn – Zur filmischen Ästhetik der Psychose in David Cronenbergs Naked Lunch (1991) und eXistenZ (1999)
| Lars Nowak (Erlangen-Nürnberg/Berlin)

11:25 – 11:45 Uhr: Pause

11:45 Uhr: Syndrome & ein Jahrhundert. Pathogenealogien des Kinos
| Daniel Eschkötter (Bielefeld)

12:30 Uhr: Hollywoods Halluzinationen: Iñárritus Birdman (2014) oder die Unverhoffte Macht der Komplexität
| Melanie Kreitler (Gießen)

14:30 Uhr: Vortrag 1

A Self in Flux
| Robin Curtis (Freiburg)
| Filme zum Vortrag: FIRST COUSIN ONCE REMOVED, COMPLAINTS OF A DUTIFUL DAUGHTER
| Vortrag in engl. Sprache

Donnerstag, 06.05.2021

10:00 Uhr: Forum 2: Medical Encounters

10:00 Uhr: „Als ob man aus der Realität heraustritt“: Filmen als selbsttherapeutisches Verfahren bei psychischer Erkrankung
| Britta Hartmann / Janin Tscheschel (Bonn)
| Film zum Vortrag: DIALOGUES WITH MADWOMEN

10:45 Uhr: Salutogenese durch Film
| Silke Hilgers (Berlin)

11:25 – 11:45 Uhr: Pause

11:45 Uhr: “Where is my mind?“ Therapie als serielle Verhandlung von in/sanity in Mr. Robot
| Melanie Mika (Frankfurt a.M./Tübingen)

12:30 Uhr: Personal Geographies and Social Registration of Psychiatric Patients: Institutional Medical Cinema’s Viewpoint (1970s–1980s)
| Christian Bonah / Joël Danet (Straßbourg)
| Vortrag in engl. Sprache

14:30 Uhr: Vortrag 2

„Warts and All“: Film, Ethics and Human Frailty
| Michele Aaron (Warwick)
| Vortrag in engl. Sprache

Freitag, 07.05.2021

10:00 Uhr: Forum 3: Kranksein figurieren

10:00 Uhr: Kassandra auf Psychopharmaka. Zur Inszenierung einer psychisch Erkrankten in Jessica Hausners Little Joe
| Sabrina Gärtner (Klagenfurt)
| Film zum Vortrag: LITTLE JOE

10:45 Uhr: Eine gute Dosis Heilsversprechen: Love & Other Drugs
| Insa Härtel (Berlin)

11:25 – 11:45 Uhr: Pause

11:45 Uhr: Going beyond the Evil? – Cinematic Portrayals of Mental Health
| Petra Anders (Bamberg)
| Vortrag in engl. Sprache

12:30 Uhr: “Crazy Cat Lady“ in Film and Series
| Nataša Pivec (Ljubljana)
| Vortrag in engl. Sprache

14:30 Uhr: Aus der kuratorischen Praxis

Moving Images: Family, Loss and First Person Documentary
| Richard Warden (Glasgow)
| zu Gast: Theresa Moerman-Ib (Glasgow)
| Vortrag in engl. Sprache

18:00 Uhr: Vortrag 3

Cinemania: Madness and the Moving Image
| W.J.T. Mitchell (Chicago)
| zu Gast: Carmen Elena Mitchell (L.A.)
| Vortrag in engl. Sprache

Hinweis: Um an den Vorträgen teilzunehmen, ist eine Anmeldung erforderlich. Die Videokonferenz findet auf der kostenlosen Plattform Zoom statt, die über die Universität Bremen lizensiert und sicher verschlüsselt ist. Interessierte können sich über einen Browser einwählen, als nicht sichtbarer Gast teilnehmen und an den Vortragsdiskussionen über den Chat teilnehmen. Die Vorträge sind kostenlos.

DAS FILMPROGRAMM (online verfügbar 3.-9. Mai 2021)

Die Filme (bis auf den Stummfilm) sind in der Woche vom 3.-9. Mai 2021 und nach Kauf des digitalen Tickets 24 Std. online verfügbar und sind auf der digitalen Konferenzplattform cinemalovers zu finden.

Deutschlandpremiere: PSYCHOSIS IN STOCKHOLM

Bei pandemiegemäßer Kino-Öffnung auch vor Ort: MI 5.5., 20:00 Uhr

Mutter und Tochter fahren in die schwedische Hauptstadt, um dort den 14. Geburtstag des Mädchens zu feiern. Auf der Zugfahrt stellt die Teenagerin auffällige Verhaltensweisen an ihrer Mutter fest und ahnt bereits, dass ihnen eine neue manische Episode bevorsteht. Die zwei halten an ihren Ausflugsplänen fest, aber die Schübe der Mutter intensivieren sich, bis sie psychiatrisch eingewiesen wird. Auf sich allein gestellt, erkundet das Mädchen die Großstadt und ihre Unabhängigkeit.

Maria Bäck erzählt in diesem Film aus ihrer eigenen Jugend, die seit Kindertagen von den bipolaren Phasen ihrer Mutter geprägt ist. Die eigenen Erlebnisse mit ihrer Mutter beleuchtete sie bereits 2014 in dem autobiografischen Dokumentarkurzfilm Mother Is God, ihrem Abschlussprojekt an der National Film School of Denmark. Nun überträgt sie sie in eine fiktionalisierte Form, deren Streifzüge – episodisch und offen erzählt – wie die Teenagerin selbst durch die freundlich-helle und schimmernde Großstadt flanieren. Die unkonventionelle Erzählperspektive in Psychosis in Stockholm lotet aus, wie bei der Verfilmung eines äußerst persönlichen Themas Abstand und Nähe miteinander zu vereinen sind. Dabei erzeugt sie ein sensibles Coming-of-Age-Drama über eine unvergleichliche und bedingungslose Mutter-Tochter-Liebe.

Film zu Vortrag 1: COMPLAINTS OF A DUTIFUL DAUGHTER

Nur online

Regisseurin Deborah Hoffmann befasst sich mit der Alzheimer-Krankheit ihrer Mutter und mit ihren eigenen Frustrationen, die daraus entstehen. Complaints of a Dutiful Daughter verfolgt zwei simultane Entwicklungen: die verschiedenen Stadien der immer desorientierter werdenden Mutter und die Versuche der Tochter, ihre Mutter zu verstehen und ihr zu helfen. Hoffmanns sensible, humorvolle und nie respektlose Schilderung des Entstehens einer neuen Mutter-Tochter-Beziehung vermittelt Einblick in das System von Erinnerung, Bedeutung und Identität.

Film zu Vortrag 1: FIRST COUSIN ONCE REMOVED

Ausschließlich im Kino als Präsenz-Veranstaltung: MI 5.5., 18:00 Uhr

Alan Berliner zeichnet in First Cousin Once Removed ein Porträt des an Alzheimer erkrankten Dichters und Professors Edwin Honig. Honig ist Großcousin des Regisseurs und war zudem lange Zeit sein Vorbild und Mentor. Über Jahre hinweg begleitet Berliner den Krankheitsverlauf, montiert aus den Filmaufnahmen aber keine Chronologie, sondern eine poetische Zusammenschau höchst unterschiedlicher Stadien des Krankheits- und Alterungsprozesses. Honig wird in diesem Bilderkaleidoskop als komplexe und hoch ambivalente Person sichtbar: als erfolgreicher Intellektueller, als problematischer Familienmensch und als alter Mann ohne Gedächtnis.

Film zu Forum 1: WALTZ WITH BASHIR

Bei pandemiegemäßer Kino-Öffnung auch vor Ort: FR 7.5., 20:00 Uhr

Ein ehemaliger israelischer Soldat träumt jede Nacht davon, dass er von einer Horde Hunde gejagt wird. Als er sich einem Freund anvertraut, sehen die Männer darin einen Zusammenhang mit den Erfahrungen, die beide im ersten Libanonkrieg gemacht haben. Der animierte Dokumentarfilm nähert sich Kriegstraumata mit faszinierenden Bildern und kraftvoller Musik. Der episodisch erzählte Film beruht auf Interviews, die Folman mit alten Kriegskameraden geführt hat. Diese wurden nachinszeniert und animiert, um sich so den Geschehnissen der Vergangenheit jenseits von vermeintlich faktischer Objektivität anzunähern.

Triggerwarnung: Darstellung von Kriegsverbrechen.

Markus Kügle fragt in seinem Vortrag, inwiefern die Animationstechnik des Films als eine ästhetische Strategie der Aneignung von psychischer Erkrankung fungieren kann.

Film zu Forum 2: DIALOGUES WITH MADWOMEN

Bei pandemiegemäßer Kino-Öffnung auch vor Ort: DO 6.5., 18:00 Uhr
Sieben Frauen aus San Francisco, darunter die Filmemacherin, erzählen von ihren Erfahrungen mit manischer Depression (bipolarer Störung), multipler Persönlichkeitsstörung (dissoziativer Identitätsstörung) und Schizophrenie, von ihrer Kreativität und ihrem Genesungsweg. Offen, humorvoll und mit selbstironischer Distanz schildern sie ihren Wahnsinn als Ausstieg aus einer Welt, die für sie zu bedrohlich wurde. Der Film legt dabei die Brutalität von Familiensystemen und psychiatrischen Anstalten bloß und hinterfragt Konzepte von Normalität und Krankheit. Unter Verwendung von Interview-Szenen, Home Videos, Archivmaterial und Re-enactment zeichnet er ein komplexes Bild von „Ver-rücktheit“ als Gegenentwurf zu stigmatisierenden Darstellungen psychischer Störungen.

Der Film erhielt den Emmy Award „as an outstanding interview film of 1994“.

Janin Tscheschel und Britta Hartmann diskutieren in ihrem Vortrag ästhetische Strategien des Dokumentarfilms, ver-rückte innere Zustände nacherlebbar zu machen als künstlerisches und zugleich selbsttherapeutisches, selbstermächtigendes Verfahren.

Triggerwarnung: Gespräche über sexuelle Gewalt sowie Kindesmisshandlung.

Film zu Forum 3: LITTLE JOE

Bei pandemiegemäßer Kino-Öffnung auch vor Ort: DO 6.5., 20:00 Uhr
Die Botanikerin Alice arbeitet an der Züchtung einer neuen Blume mit therapeutischer Wirkung, welche die Menschen glücklich machen soll. Als Alice ihrem Sohn heimlich eine solche Blume mit nach Hause bringt, ignoriert sie noch die Warnungen ihrer Kollegin Ella und glaubt fest an die positive Wirkung ihrer Schöpfung. Doch als Personen in ihrem Umfeld Verhaltensänderungen an den Tag legen, mehren sich die Zeichen, dass die tiefrote Blume nicht nur Glück bringen könnte. Mit intensiven Farben und ruhigen Einstellungen inszeniert Jessica Hausner eine Paranoia-Erzählung mit Anleihen aus dem Science-Fiction-Genre, die sie in einen eigenen Stil überführt.

Sabrina Gärtner analysiert in ihrem Vortrag die Filmfiguren und hinterfragt das Streben nach psychischer Gesundheit.

Stummfilm mit Livemusik: EINE SEITE DES WAHNSINNS

Ausschließlich im Kino als Präsenz-Veranstaltung: SA 8.5., 20:00 Uhr
Ein alter Seemann nimmt den Hausmeisterjob in einer ländlichen Nervenklinik an, um für seine dort internierte Frau zu sorgen. Die verkündete Verlobung ihrer Tochter löst in der Mutter Erinnerungsfetzen und Gedankenstrudel aus – und im Vater Sorgen über die Vorurteile der Bräutigamfamilie. Bei seinen vergeblichen Versuchen, seine Frau zu befreien, muss er sich dem Chefarzt und anderen Insassen stellen. Als er in einem von ihnen den künftigen Schwiegersohn zu erkennen glaubt, beginnt er selbst, an seiner Wahrnehmung zu zweifeln.

„A work that has advanced a step ahead of Dr. Caligari“, urteilte die Filmkritik bereits 1926. Aus der Avantgarde-Gruppe Shinkankaku-ha, der Schule der neuen Wahrnehmung, entstand ein Film, der das Drehbuch Kawabata Yasunaris (Literaturnobelpreis 1968) mit innovativer Kameratechnik und dem Tanztalent von Eiko Minami meisterhaft verbindet. Lange Zeit verschollen, ist der Film seit seiner Wiederentdeckung 1972 nur noch als Fragment erhalten. Dennoch veranschaulicht dies auf eindrückliche Weise den Anspruch der Künstler*innen, modernes Erzählen und innovative Form- und Lichtspiele zu verquicken und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasterei zu überwinden.

David Eßer aus Hamburg ist seit über zehn Jahren in Deutschlands Musiklandschaft in verschiedenen Projekten aktiv. Mit der Vertonung des Films durch das Prinzip der Klangsynthese unternimmt er einen Dialog mit dem Synthesizer und entwickelt ein eigenes Vokabular, das über die Möglichkeiten des Sprachlichen und Visuellen hinausgeht.

Datum und Veranstaltungsort

Online-Konferenz:
05. – 07. Mai 2021 Zoom

Online-Filmprogramm:
03.-09. Mai 2021
https://city46.cinemalovers.de

Filmprogramm vor Ort:
05. – 08. Mai 2021
CITY 46 | Kommunalkino Bremen
(bei pandemiegemäßer Kino-Öffnung)

Info und Anmeldung

Paula Hoffmann
Tel.  (0421) 95 79 92 90
CITY46 / Kommunalkino Bremen e.V.
hoffmann@city46.de

Das Filmsymposium wendet sich mit der engen Verzahnung von öffentlichen Vorträgen, Filmvorführungen und Filmgesprächen an das filminteressierte Kinopublikum und an Fachbesucher:innen. Es ist eine langjährige Kooperation zwischen dem CITY 46 / Kommunalkino Bremen e.V. und der AG Filmwissenschaft / FB 9 Kulturwissenschaften, ZeMKI und wird gefördert durch die nordmedia – Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/ Bremen mbH und die DFG.