… begann vor etwa sieben Jahren durch eine Freundin. Damals fühlte ich mich nach einem traumatisierenden Ereignis total verloren. Meine Freundin wusste nicht mehr, wie sie mir helfen konnte, damit es mir wieder besser geht. Eines Tages erzählte sie mir von einer Erzieherin aus der KiTa ihres Sohnes. An ihr sei ihr aufgefallen, wie bemerkenswert fröhlich und gelassen sie immer sei, egal, wie stressig es mit den Kindern zuging.
Sie kam mit ihr ins Gespräch und die Frau erzählte meiner Freundin von ihrer täglichen buddhistischen Ausübung, dem Chanten (engl. singen) eines japanischen Mantras vor einer japanischen Schriftrolle. Sie lud meine Freundin zu einem Treffen ein und sagte, sie könne noch gerne jemanden mitbringen. Sie erzählte mir davon, und ich war sofort interessiert, da ich mich in allem ausprobieren wollte, was mir helfen könnte, mich wieder besser zu fühlen.
Bei dem Treffen ging es sehr herzlich zu. Die Gastgeberin empfing uns freundlich, bot uns einen Sitzplatz und Tee an. Um das Eis zu brechen, machten wir eine kurze Vorstellungsrunde.
Dann setzte sich die Gastgeberin vor ihren Gohonzon, so heißt die japanische Schriftrolle, die als eine Art Mandala als Hilfsmittel zum Gebet, also zum Chanten, genutzt wird. Später würde ich erfahren, dass hier symbolisch das Leben in seiner Vielfalt dargestellt wird und diese somit auch mich selbst als eine Art Spiegel enthält.
Sie schlug eine Klangschale an und begann mit dem Chanten des Mantras: Nam Myo Ho Renge Kyo.
Es klang warm und schön. Die Gruppe stieg mit ein, und der Raum füllte sich mit dem Wohlklang des Mantras. Es kam mir zunächst etwas befremdlich vor, aber das Wohlwollen, das alle in ihre Worte legten, sorgte dafür, dass ich es als sehr angenehm empfand. Die Herzlichkeit und das Mitgefühl dieser Menschen beeindruckten mich sehr. So viel Wärme hatte ich bis dahin so noch nie erlebt.
Nach diesem Treffen hatte ich mich noch nicht dazu entschieden, wieder zu dieser Gruppe zu kommen. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte, aber irgendwie war der Funke noch nicht übergesprungen.
Einige Wochen später kam ich in die Klinik, weil es mir sehr schlecht ging. Ich war ziemlich allein auf weiter Flur, meine Familie war mit meinem Zustand überfordert. Sie waren zwar irgendwie da, aber ich fühlte mich nicht gesehen, geschweige denn verstanden. Einige Freunde hatten sich auch von mir entfernt, meine Trauer und mein Zustand waren auch für sie nicht aushaltbar.
Umso überraschter war ich, als die Pflegerin zu mir kam und mir einen Brief überreichte, der an mich in der Klinik adressiert war.
Ich öffnete den Brief und zum Vorschein kam eine Postkarte mit einer wunderschönen Lotusblüte.
Auf der Rückseite standen ein paar sehr mitfühlende, aufbauende Worte und ein wunderschönes Zitat.
Ich war so überrascht, als ich sah, dass die Karte von der damaligen Gastgeberin kam.
Ich konnte mit diesem herzlichen Mitgefühl nichts anfangen, ich kannte das so nicht. Also rief ich meine Freundin an, die mich damals mitgenommen hatte und fragte sie, was diese Frau von mir wolle; ob es sich nicht doch um eine Art Sekte handele. Sie fing an, laut zu lachen und sagte mir: „Nein, die sind einfach so lieb und herzlich.“ Mitgefühl für andere Menschen und Lebewesen sowie die gegenseitige Stütze und Ermutigung in schweren Zeiten, sich gemeinsam für das Glück und Wohl aller Menschen und Lebewesen einzusetzen: Das wäre eben die Philosophie, die hinter dieser buddhistischen Ausübung steht.
So kam es, dass ich mir einen Ruck gab und die Gruppe wieder besuchte.
Langsam ging ich regelmäßig hin. Diese Gruppe nahm mich so, wie ich war – selbst dann, wenn ich jedes Mal weinte und furchtbar überfordert mit mir selbst, meiner Trauer und meinem Leben war. Die Gruppe hat mich ein wenig getragen. Das Chanten tat mir so gut, dass ich mich nach einem Jahr der Ausübung dafür entschied, den Gohonzon, also die japanische Schriftrolle, als Unterstützung meiner Ausübung für mein Zuhause zu empfangen.
Diese Schriftrolle wurde feierlich in ein kleines dafür vorgesehenes Schränkchen eingeschreint, und wir chanteten das erste Mal gemeinsam davor.
Mittlerweile chante ich relativ regelmäßig seit sieben Jahren einmal wöchentlich. Wir treffen uns dann bei jemanden aus der Gruppe.
Ansonsten chante ich täglich morgens und abends alleine bei mir zu Hause. Das Chanten ermöglicht mir, mich selbst, mein Inneres zu erkennen und den Entschluss zu fassen, etwas zu tun, was mir gerade am Herzen liegt – und mir selbst zu begegnen. Eine Ursache zu setzen, die dann eine Wirkung hat.
Ich bin die Schöpferin meines eigenen Lebens. Egal, wie schlecht es mir gerade geht: Ich kann neue Ursachen für mein Glück setzen, im Hier und Jetzt; neues, gutes Karma erschaffen. Das ist natürlich nicht immer einfach. Es ist, wie das Leben selbst, immer wieder eine Herausforderung.
Myo Ho Renge Kyo – das ist der Titel des buddhistischen Lotus-Sutra.
Das Mantra, Nam Myo Ho Renge Kyo, bedeutet übrigens: Ich widme mein Leben dem mystischen Gesetz von Ursache und Wirkung. Mystisch deshalb, weil das Prinzip des Chantens und das Prinzip von Ursache und Wirkung manchmal erstaunlich gut funktionieren und mit dem Verstand gar nicht erfasst werden können – nur mit dem Herzen und dem Glauben an meinen eigenen Wert als Mensch und meine Schöpferkraft.
Die Ausübung hilft mir, bei mir zu sein und zu bleiben – egal, ob ich traurig, fröhlich oder wütend bin. Der Gohonzon, das Chanten und meine Gruppe sind wie ein guter, alter Freund, zu dem ich immer wieder zurückkehren kann und der mir zeigt, dass ich liebenswert, vollkommen und voller Potentiale bin.
Der Glaube eines einzigen Menschen, wenn du gerade nicht an dich selber glauben kannst, kann dein ganzes Leben positiv verändern. Glaube an dich selbst und an andere. Dein Glaube zählt, du zählst, du bist wichtig.
Nam Myo Ho Renge Kyo…