Das Geheimnis ist nachgeben und loslassen, wo sich etwas (schmerzhaft) verhärtet hat und mit Widerstand zu arbeiten, dort wo die Festigkeit fehlt – darum geht es in der Eutonie. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem griechischen „eu“ (gut, wohl, angemessen) und „tonos“ (Spannung, Stimmung). So jedenfalls steht es auf der Website www.eutonie.de geschrieben. Eutonische Übungen sorgen für mehr Wohlbefinden und Lebensfreude. Eine Therapeutin, die Eutonie-Kurse in Bremen anbietet, ist Bernadette Waas. Sie ist Bewegungstherapeutin und arbeitet seit 14 Jahren in der AMEOS-Klinik. „Ich habe eine Ausbildung in Bremen bei impuls als Tanz- und Bewegungspädagogin mit dem Schwerpunkt Bewegungstherapie absolviert und habe anschließend nebenberuflich eine mehrjährige Ausbildung als Eutoniepädagogin und –therapeutin absolviert. Das hat mich fasziniert und angezogen“, beschreibt Waas ihren beruflichen Werdegang. Nach ihrer Ausbildung – da war sie 45 Jahre – war eine Stelle in der damaligen Dr. Heines-Klinik (heute AMEOS) für Feldenkrais und Atemtherapie frei. „Das war nicht explizit auf Eutonie ausgelegt“, erinnert sich Waas. Trotzdem hat sie sich dort vorgestellt und wurde eingestellt. Der Begriff Eutonie sei den meisten ihrer Patient:innen damals noch völlig unbekannt gewesen und auch heute muss sie ihn noch oft erklären, erzählt Waas.
Die Grundlagen der Eutonie wurden von Gerda Alexander entwickelt, die 1908 in Wuppertal geboren wurde und dort rhythmische Erziehung studierte. Ihr Examen in diesem Bereich erwarb sie 1929 an der Hochschule für Musik in Berlin. Von dort aus führte ihr Weg sie nach Schweden und Dänemark, wo sie unter anderem als Choreographin an Opern arbeitete. Nach einer kurzen Rückkehr nach Berlin emigrierte sie 1933 nach Dänemark und gründete 1940 eine Ausbildungsschule für Entspannung und Bewegung in Kopenhagen.
Motiviert durch ihre Arbeit und die eigene Krankengeschichte erarbeitete Gerda Alexander über die Jahre neue Methoden, die den achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper in den Fokus rückten. Diese stellte sie Mitte der 1950er Jahre erstmals unter dem Begriff „Eutonie“ vor.
Erst in den letzten Jahren ihres Lebens kehrte sie nach Wuppertal zurück, wo sie 1994 verstarb.
Die von Gerda Alexander gegründete Schule in Kopenhagen wurde 1985 geschlossen, doch die von ihr entwickelten Methoden werden bis heute in vielen europäischen Ländern gelehrt und von vielen Menschen gut angenommen, was auch Bernadette Waas bestätigt.
Die von Frau Waas angebotenen Therapieeinheiten an der AMEOS-Klinik sind ein wichtiger Bestandteil des gesamten Behandlungskonzepts, weil sie ein bewusstes Körperempfinden fördern. „Im bewussten Spüren können zum Beispiel die eigenen Grenzen, das heißt die Körpergrenzen genauso wie die Belastungsgrenzen erfahren werden. Die Wahrnehmung der Körpergrenzen wirkt identitätsfördernd. Das Annehmen eigener Schmerzgrenzen und damit auch der Belastungsgrenzen sorgt für die Entwicklung von Selbstfürsorge. Das Erleben von Selbstwirksamkeit bringt ins eigene Handeln. Dies sind wichtige Therapieziele über das ‚reine Entspannen‘ hinaus. Traditionell findet die Arbeit auf der Matte statt, weil Haltearbeit in der Muskulatur so leichter aufgegeben werden kann“, erklärt Waas.
Für die meisten Teilnehmer:innen in der Eutonie gehe es darum, Überspannung abzubauen oder den Tonus im Körper besser zu regulieren, so die Therapeutin. „Deswegen ist es für meine Gruppen immer Voraussetzung, dass man sich auf eine Matte legen kann.“
Aktuell nehmen 10 bis 12 Patient:innen an den Gruppen teil, die Bernadette Waas leitet. „Bei dieser Gruppengröße sind alle Menschen gut im Blick und können gut betreut werden“, sagt Waas.
Um ihre Patient:innen während einer Eutonie-Anleitung „ins Spüren“ zu bringen, bedient Waas sich vieler unterschiedlicher Materialien. Besonders gern arbeitet sie mit Kirschkernsäckchen und -schläuchen, verrät sie uns. Die Rückenmuskulatur und bestimmte Bereiche der Wirbelsäule beispielsweise erreiche man mit den Kirschkernschläuchen besonders gut. Für die empfindsameren Patient:innen gibt es aber auch weichere Alternativen, wie Hirse- oder Buchweizenkissen. Einen weiteren festen Bestandteil von Eutonie-Übungen bilden verschiedene Bälle. Tennisbälle zum Beispiel, die sich besonders gut für die Fußarbeit eignen. Manche Tennisbälle hat Waas halbiert und eingefilzt. „Darauf kann man mit dem Fuß aufsteigen oder sie am Schulterblatt ansetzen“, erklärt sie. Für andere Körperbereiche eignen sich etwas größere Filz- oder Nickibälle.
Das „Knochenklopfen“ mit Bambusstäben oder Balsaholz wirkt anregend, unterstützt die Knochenhärtung und ist eine Technik, die besonders bei vielen männlichen Kursteilnehmern Anklang findet, berichtet Waas. Im klinischen Setting arbeitet sie daher viel mit Bambus.
In der Klinik arbeitet Waas mit Patient:innen zusammen, die unterschiedliche Krankheitsbilder mitbringen: „Ich habe Patient:innen mit Depressionen, mit Angst- und Zwangsstörungen, mit Borderline-Störungen, mit Psychosen sowie mit Traumafolgestörungen.“
Sie erklärt, wie wichtig es sei, im klinischen Setting auf die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen zu achten und einzugehen. „Menschen mit Ängsten und Zwängen haben manchmal Stress, wenn sich etwas verändert, und wenn sie merken, dass sich etwas im Körper entspannt, kann es für sie irritierend sein.“ Bei Menschen mit PTBS (Posttraumatischen Belastungsstörungen) könne es zu Flashbacks kommen. „Bei Traumata, posttraumatischen Belastungsstörungen, Entwicklungsstörungen oder nach Übergriffen im frühen Kindesalter hat man oft kein Gespür für seine eigenen Grenzen. Dann hat man das Körpergefühl abgespalten, um sich vor Gewalt und Schmerz zu schützen. Diese Abspaltung verselbstständigt sich“, skizziert Waas. „Dann gilt es, sich im Laufe des Therapieprozesses dem Körper auf eine achtsame Weise neu zuzuwenden.“
Personen in manischen Phasen oder auf Entzug hingegen hätten oft Probleme, sich überhaupt auf das bewusste Spüren einzulassen. Zu groß sei die innere Unruhe.
Da es zur Verschlimmerung von Symptomen kommen kann, gibt es bestimmte Ausschlusskriterien von Krankheitsbildern und – phasen: Konversionsstörungen, eine Form der dissoziativen Störungen, akute Psychosen oder akute Suizidalität. Das gilt nicht nur für die Arbeit in der Klinik, sondern vor allem für die privaten Kurse, die Frau Waas unter anderem im Frauenstadthaus am Hulsberg gibt. Hier wird Eigenverantwortung und Selbstregulierung großgeschrieben. Das bedeutet auch, dass niemand etwas tun muss, was ihm oder ihr nicht entspricht. „Ich finde es faszinierend, eine positive Entwicklung über einen längeren Zeitraum begleiten, fördern und erleben zu dürfen“, berichtet Waas.
Für das Buch „Eutonie – Vom Körper lernen. Erfahrungen und Reflexion aus der Praxis“ hat Bernadette Waas einen Beitrag über ihre Arbeit im klinischen Setting geschrieben. Darin enthalten ist auch der Erfahrungsbericht von Christiane T., die 2010 in die Klinik und dort mit der Eutonie in Kontakt kam. Bei ihr war eine schwere Depression mit Angstzuständen diagnostiziert worden. Zudem litt sie unter starken körperlichen Beschwerden ohne erkennbare medizinische Ursache. Sie beschreibt sich selbst zu dieser Zeit als ausgebrannt, nach außen hin abgestumpft und in der Kommunikation mit den Menschen in ihrem Umfeld als massiv beeinträchtigt. Ihren eigenen Körper assoziiert sie nur noch mit „Anstrengungen und Schmerzen“.
Menschen mit Depressionen hätten oft Probleme damit, sich zu spüren, auch wenn sie sich gut auf die Übungen einlassen können. Das könne dann ein langer Prozess sein, bis sich die Selbstwahrnehmung merklich verändert, beschreibt Waas, gerade wenn jemand schon lange in einer Depression festhängt.
Einen solchen Prozess beschreibt auch Christiane T.: Eutonie war ein Teil ihres Therapieplans, zweimal wöchentlich in der Gruppe. Auf eigenen Wunsch kam einmal in der Woche noch eine Einzelstunde hinzu. „Es beginnt langsam und braucht seine Zeit, doch es tut sich was“, berichtet die Patientin. Während einer Einzelstunde sei es schließlich zu einer „Explosion“ gekommen, die sie als „sehr aufwühlend, verbunden mit Tränen, aber sehr befreiend“ beschreibt. Im Anschluss an dieses Ereignis erlebte sie ein neues Körpergefühl. Seither praktiziert sie für sich fortlaufend Eutonie, mit und ohne fremde Anleitung und kann damit sowohl ihren Schmerzen begegnen als auch innere Prozesse weiterverfolgen.
Prof. Dr. Uwe Gonther, Ärztlicher Direktor und Chefarzt an der AMEOS-Klinik, berichtet über gute Erfahrungen mit dem Therapieangebot der Eutonie: „Das liegt an der Methode und an der Therapeutin, Frau Bernadette Waas. Unsere Patient:innen schätzen dieses Angebot sehr. Die Nachfrage steigt kontinuierlich. Das Angebot besteht jetzt seit 10 Jahren. Es ist gar nicht mehr wegzudenken. Die anderen Spezialtherapeut:innen und die Psychotherapeut:innen wissen um die Qualität dieses Angebotes. Die Betroffenen berichten darüber und wir haben die Gewohnheit, dass die Therapien zum Kennenlernen auch unter den Mitarbeitenden angeboten werden. So kann auch ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Eutonie sehr wohl tut.“