Es war einmal. So oder so ähnlich fangen die meisten Märchen an. Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, ist nun aber wahrhaftig kein Märchen, obwohl es durchaus oftmals den Anschein hatte, als würde alles verzaubert und verwunschen sein. Das lag aber daran, dass die Realität zwar immer vorhanden war, nicht aber als solche empfunden wurde.
Alles im Leben, ja das ganze Leben ist ständiger Veränderung unterworfen. Das bemerkte irgendwann auch der Held dieser Geschichte, nennen wir ihn mal Lucky Man. Auch das Leiden, an dem Lucky Man litt, veränderte sich ständig. Es hat viele Namen: manisch-depressives Syndrom, Bipolare Störung, maniforme Psychose, schizoaffektive Psychose und, und, und. Das mit der Realität war nicht immer ganz einfach: auf der einen Seite war sie immer da, wurde aber in Zeiten der Krankheit zu einem Wust von vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen und Empfindungen, die allmählich aus der bisher vorhandenen Welt etwas machten, das sich grundlegend von dem unterschied, was Lucky Man bis dato kannte. Es war alles neu, aufregend, mystisch. Das Leben machte auf einmal wieder so was von Spaß!! Ein bombastisches Gefühl machte sich breit. Euphorie ohne Ende……? Doch!
Leider kündigte es sich in Form von Phantasien an, die altbekannt, aber doch irgendwie immer anders sind. Lucky Man musste mal wieder die Welt retten. Wie immer alleine. Und wie immer waren die Phantasien so real, dass sie ohne weiteres die vorhandene, „normale“ Realität ersetzten. Zauberei war im Spiel. Auch der liebe Gott mischte mit. Lucky Man hatte auf einmal sehr viel Verantwortung. Es durfte nichts schiefgehen. Nicht das Geringste! Aber er hatte auch Helfer in Form von, sagen wir mal, „Engeln“. Die Mission, die er zu erfüllen hatte, war eigentlich eine „Mission Impossible“, aber wie war das noch? Nur wer das Unmögliche denkt, schafft das Unmögliche. Das Unmögliche besteht immer darin, dass man denkt, dass es unmöglich ist. Aber ist es das wirklich? Vielleicht ist ja alles, was denkbar ist, auch machbar? Irgendwann möglicherweise. Aber Lucky Man hatte eigentlich immer alles unter Kontrolle. Alles begann, als Lucky Man im zarten Alter von 16 Jahren war. Es war ein heißer Sommer und in Paris tobte das pralle Leben. Lucky Man hatte ein Jahr intensiven Französischunterricht bei Danielle hinter sich und sprach fast perfekt. Mit Jean-Luc, dem Sohn von Danielles Freundin in Ville Parisis, einem Vorort von Paris, sollte Lucky Paris erkunden. Lucky hatte irgendwann das Bedürfnis, Paris auf eigene Faust, ohne Netz und doppelten Boden, zu entdecken. Zum allerersten Mal erlebte er dieses phantastische Gefühl völliger Freiheit und unbegrenzter Möglichkeiten. Es war Abenteuer pur. Er fuhr alleine mit der Metro kreuz und quer durch Paris, ohne Probleme mit der Orientierung. Ein Blick auf den Metroplan reichte aus, und Lucky kam dahin, wo er hin wollte. Am Place de Trocadero, direkt am Eiffelturm, in den großen, mehrfach abgestuften Wasserbecken mit den vergoldeten Kanonen am Rand, aus denen dicke Fontainen strahlten, sah er viele Menschen im kühlen Nass baden und sich von den Fontainen besprühen lassen. Er überlegte nicht lange, entledigte sich seiner überflüssigen Klamotten und tat es ihnen gleich. Vorher hatte er sich ausgiebig die Stadt angeguckt. Er war in den Tuilerien, am Montmartre, Sacre Coer, Champs-Élysées, Arc de Triomphe und hatte es in vollen (Metro) Zügen genossen. Als er aber nach dem sehr erfrischenden Bad am Tour Eiffel aus dem Wasser stieg, musste er mit Schrecken feststellen, dass sein Reisepass und der gute alte Fotoapparat von irgendwelchen hinterhältigen Zeitgenossen entwendet worden waren. Wieder angekommen in Ville Parisis gab es ein ziemliches Donnerwetter. Der Vater von Jean-Luc war sehr ungehalten und schreckte auch nicht vor körperlicher Züchtigung zurück. Nach der vorangegangenen Aufregung gab es noch etwas zu essen und Rotwein, wahlweise auch noch Cola. Wahrscheinlich war es diese Kombination aus Alkohol und Koffein, dazu noch die Hitze, die dazu beitrug, dass Lucky einigermaßen über die Stränge schlug. Bei den Nachbarn entdeckte er deren ausnehmend hübsche Tochter und glaubte sofort zu wissen, dass sie voll auf ihn abfuhr. Es sollte sich aber schon bald herausstellen, dass das ein folgenschwerer Irrtum war. Des Nachts hielt ihn nichts mehr in seinem Zimmer. Er ging davon aus, dass dieses Mädchen voller freudiger Erwartung seiner harrte. Durch das geöffnete Küchenfenster bahnte er sich seinen Weg zur “Angebeteten“. Was ihm aber zum Verhängnis wurde, war, dass er fatalerweise im Schlafzimmer der Eltern landete, was natürlich nicht unbemerkt blieb. Er versuchte zu flüchten, was aber sinnlos war, da diese Nachbarn ihn kannten. Durch die Aufregung, die entstand, wurden auch alle Anwohner wach und verfolgten interessiert das Geschehen.
Am nächsten Morgen fragte Jean-Lucs Mutter Lucky, warum er das getan hatte. Aber Lucky fand darauf keine Antwort. Aus dem einfachen Grund, weil er es selbst nicht wusste. Noch konnte er ja nicht ahnen, dass das erst der Anfang einer steilen Karriere als „Psychonaut“ war. Sehr schnell war klar, dass Lucky abreisen musste. Jean-Lucs Mutter arbeitete in einem Reisebüro am Gare du Nord und buchte einen Flug vom Airoport Charles de Gaulle nach Hamburg. Dort wurde Lucky von seinem Vater abgeholt. Auf dem Weg an die Schlei, wo Luckys Eltern und seine Schwester Hege gerade Urlaub machten, wurde so gut wie kein Wort gesprochen. Eisiges Schweigen herrschte. Das Verhältnis zwischen Lucky und seinem Vater war noch nie besonders gut, aber jetzt schien es auf dem absoluten Tiefpunkt angekommen zu sein. Da nützte es auch herzlich wenig, dass Luckys Vater seines Zeichens Diplom-Psychologe und Heilpraktiker war. Im Gegenteil. Es war für Lucky schon immer schwer, die Anforderungen seines Vaters zu erfüllen. Einerseits bekam er immer wieder zu hören, dass er den anderen in seiner Altersklasse „haushoch“ überlegen sei, andererseits musste er sich später (so mit 19-20 Jahren) anhören, wo er überall in seinem Leben versagt hätte. Dieses Versagen würde sich angeblich wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben ziehen. So was baut ungemein auf.
Nach dem Realschulabschluss und einem Jahr auf der Rudolf-Steiner-Schule in Ottersberg wollte Lucky eigentlich Physiotherapeut werden. Dafür brauchte er ein halbjähriges Krankenpflegepraktikum, was er auch absolvierte. 3 Monate auf der Chirurgie und 3 Monate in der physikalischen Therapie. Leider stellte sich anschließend heraus, dass es in absehbarer Zeit keinen Platz an einer KG-Schule gab. Jetzt hatte Luckys Vater den „genialen“ Einfall, Lucky solle doch zum Bundesgrenzschutz gehen, um dort eine Laufbahn im Sanitätsdienst einzuschlagen.
Es wurde letztendlich eine andere Laufbahn daraus, aber dazu später mehr.
Die Aufnahmeprüfung in Winsen/Luhe verlief erfolgreich. Schon bald war Lucky Beamter auf Widerruf und Polizeiwachtmeister im BGS.
Von nun an nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Ausbildung (oder waren es die Ausbilder?) verlangte Lucky einiges ab. Unter anderem konnte er seinen Führerschein auf VW-Bus machen, der dann mit 18 Jahren auf Zivil umgeschrieben wurde. Zur Ausbildung gehörte auch der Umgang mit Waffen (Maschinenpistole MP5 von Heckler u. Koch, G1 Schnellfeuergewehr und die Pistole Walther P38, die es schon im 2.Weltkrieg gab, was für Lucky so eine Art Trigger war.
Eines Tages auf dem Schießstand fing es an. Lucky fürchtete sich, abzudrücken, weil er dachte, man hätte den Verschluss der P38 präpariert und dieser würde ihm sonst ins Gesicht fliegen. Lucky wusste es damals noch nicht, aber das sollte der Beginn einer schweren Psychose sein. Auslöser dafür waren vielleicht Äußerungen verschiedener Ausbilder. Zum Beispiel musste beim Antreten immer gegrüßt werden. Dazu wurde seitens der „Unterführer“ gebrüllt : Arm hoch wie zum deutschen Gruß. Dann gab es noch einen Gasmasken-Übungsraum, der von den Unterführern “Eichmanns Hobbyshop“ genannt wurde. Dazu kam noch, dass die Ausbildungsabteilung (GSA-A Nord 1) im 3. Reich schon als Lager für den Reichsarbeitsdienst in Bodenteich existierte. Das erweckte viele ungute und bedrohliche Assoziationen und sorgte dafür, dass Lucky immer mehr das Gefühl bekam, in einer wiedererstandenen Nazi-Welt zu leben und dass ein riesiges, weltweites Komplott lief, in dem Lucky die Hauptperson war. Die Lage wurde immer hoffnungsloser und Lucky dachte, dass sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war. Er befürchtete, dass er seine Eltern nie wiedersehen würde.
Er sah sie dann doch wieder. Als er seine Mutter endlich umarmen konnte, brach er fürchterlich in Tränen aus. Es gab Kaffee. Aber der schmeckte irgendwie komisch (Gift?). Dann legte er sich auf sein Bett und befand sich in einem Zustand, der als Angstlähmung oder Stupor bezeichnet wird. Er konnte sich nicht bewegen. Erst als jemand kam, der ein Fachmann für Hypnose war, und das Anfassen weicher Stofftiere, bewirkten, dass dieses Phänomen wieder verschwand. Wieder zurück beim BGS – das psychotische Erleben hatte sich durch das Wiedersehen mit seinen Eltern (besonders mit der Mutter) gebessert und einer trügerischen „Normalität“, verbunden mit einer inneren Leere, Raum gegeben – verspürte Lucky das dringende Bedürfnis, dort so schnell wie möglich abzuhauen. Das war allerdings gar nicht so einfach, weil in Luckys Hinterkopf immer der Gedanke auftauchte: Was würde sein Vater, das große Alter Ego und gleichzeitig größter Kritiker dazu sagen? Lucky hätte wieder eins ums andere Mal versagt.
Um diese Hürde zu nehmen, ließ sich Lucky etwas einfallen: Als er eines Nachts WVD (Wachhabender vom Dienst) war, kam ihm ein kühner, ja vielleicht sogar wahnwitziger Gedanke! Wie wäre es denn, wenn er einfach eine Patrone aus dem Magazin seiner Walther P38 nehmen und in seiner Stube im Stiefel auf dem Spind verstecken würde, was unweigerlich eine Suspendierung nach sich ziehen würde, da Lucky ja nur Beamter auf Widerruf war. Gedacht, Getan…………
Er nahm eine Patrone, Kaliber 9mm Parabellum Kupfermantel, aus dem Magazin und ließ den Dingen ihren Lauf.
Am nächsten Vormittag stand Formalausbildung, speziell Combat-Schießen, auf dem Programm. All of a sudden tauchte ein „Unterführer“ auf und Lucky, seines Zeichens „noch“ Polizeiwachtmeister im BGS, wurde zum Innendienstleiter (Spieß) komplimentiert. Dieser konfrontierte ihn mit den ja von Lucky schon sehnsüchtig erwarteten und ausdrücklich gewollten Konsequenzen seiner Verfehlung. Er hatte die Wahl zwischen einem Disziplinarverfahren oder einer Unterschrift des Formblattes 7b, was soviel wie Kündigung auf eigenen Wunsch hieß. Er entschied sich für Formblatt 7b. Damit endete eine Phase in Luckys Leben, die geprägt war von Angst und Pflichterfüllung.
An seinem 18. Geburtstag wurde der PKW-Führerschein, den Lucky beim BGS auf einem VW-Bus T2 gemacht hatte, auf Zivil umgeschrieben. Bald darauf bereicherte ein nagelneuer Ford Fiesta Luckys Leben. Möglich machte das ein Kredit, den die örtliche Sparkassenfiliale großzügigerweise bewilligte.
Lucky fühlte sich frei…. Er beschloss, von zu Hause auszuziehen und wohnte ab sofort bei ein paar Freunden, die er schon lange kannte, in einer WG in einem kleinen „Hexenhäuschen“ im Wald. Das Leben schien es gut mit Lucky zu meinen. Es war eine Art „Rebellion“. Die Leute in der WG waren genau die, vor denen ihn seine Eltern immer schon „gewarnt“ hatten. Sogenannte Alternative, die jede Menge Haschisch konsumierten und Ansichten vertraten, die mit keiner gängigen Ordnung kompatibel waren. Lucky gefiel dieses neue Ambiente außerordentlich gut. Das „Dope“, das geraucht wurde, war vom Feinsten. Jeden Abend kreisten die Joints, Blubbis, Krawumms oder Schillums und die „Mucke“ war auch sehr cool. Mit seinen neuen Mitbewohnern stürzte sich Lucky auch des Öfteren ins Bremer Nachtleben. Als da wären: Aladin, Why Not, Maschinenhaus, Lila Eule, Storyville, Litfass, Lagerhaus, Wiener Hofcafe, u. v. m. In einer dieser Nächte wurde Lucky ein LSD-Trip angeboten. Eine sogenannte „gelbe Pyramide“. Er hatte zwar schon davon gehört, dass solche Dinger mit Vorsicht zu genießen sind, aber die Aussicht auf eine außergewöhnliche Erfahrung reizte ihn so, dass er alle Bedenken in den Wind schlug.
Was dann passierte, übertraf alles, was er bisher kannte. Sämtliche Wahrnehmungen waren komplett verändert. Er saß in der Kneipe „Pferdestall“ am Sielwall auf einer Holzbank und hatte das Gefühl, als ob die Lehne aus Gummi wäre und er sie zu- und auseinander ziehen könnte. Das Bierglas auf dem Tisch vor ihm wurde zum wabernde Wolken ausstoßenden Hexenküchenutensil. Als er die Treppe zu den WC’s hinunterging, zerflossen die Wände in Tausende bunter Farben. Unten im Spiegel sah er ein Gesicht, das ihm völlig unbekannt war. Der Schrecken darüber steckte ihm noch in den Knochen, als er wieder auf die Straße ging. Dort kamen ihm Leute entgegen, die merkwürdig schmutzig und verkommen aussahen, dunkle Ränder unter den Augen und lange, verdreckte Fingernägel hatten. Vor seinen Füßen huschte eine Ratte und zog einen roten, zuckenden Blitz hinter sich her.
Langsam reichte es. So ein Trip wirkt ca. 8 Stunden, die aber meistens wie im Fluge vergehen. Jetzt brauchte er erstmal eine Mütze voll Schlaf .
In Lucky´s Heimatdorf gab es noch zwei andere WG´s. Die Leute dort waren gute Freunde, und durch einen von ihnen bekam er Kontakt zu einem Autofreak in der Nähe von Syke. Dieser hatte eine ganze Scheune voller Oldtimer, von denen es Lucky einer besonders angetan hatte.
Ein schwarzes original London-Taxi! Mit Rechtslenkung, Glastrennscheibe zum Fahrgastraum, dahinter Klappsitze mit Londoner Werbung vom Piccadilly Circus und funktionierender Taxibeleuchtung auf dem Dach. Er war sofort Feuer und Flamme! Nicht lange überlegt, und das Taxi gehörte ihm. Im Tausch für den gerademal ein (!!) Jahr alten Ford Fiesta und 6000 DM zusätzlich für TÜV-Umbauten. Leider klappte es nicht mit dem TÜV. Es war wie in dem Märchen von Hans im Glück. Lucky fuhr 6 Wochen mit rotem Kennzeichen rum, genoss das Oldtimer-Feeling bei nächtlichen Touren zu, auch weiter entfernt gelegenen, Discotheken im Umland. Es ging nach Asendorf ins Break Out, nach Wetschen zum Lindenhof oder nach Osnabrück zum Hydepark. Auch in Stemwede am Dümmersee gab es eine Location, die von Lucky und seinen Komplizen heimgesucht wurde.
Schweren Herzens musste Lucky sich von seinem Taxi trennen. In Wachendorf, direkt neben Rudi Carrell, residierte ein Schrauber, der sich für das Taxi interessierte. Die beiden wurden schnell handelseinig und ein alter Opel Rekord Coupe´ P5 Baujahr 1961 ging in Lucky´s Besitz über. Der Nachbar dieses Schraubers sollte auch noch zu einer kleinen Anekdote in Lucky´s Lebenslauf beitragen. Doch dazu später.
Autos spielten immer eine große Rolle im Leben unseres Protagonisten. Oldtimer, für die heutzutage sehr viel Geld den Besitzer wechselt, waren damals relativ günstig zu haben. Lucky fuhr besonders auf französische Klassiker ab: Citroen DS, 2CV6 (Ente), Citroen CX, auch ein Renault R16 TX war dabei. Dieser begleitete ihn eine ganze Weile auf seinen Abenteuern.
Es waren richtige Abenteuer! Nach einer Nacht im Viertel, in deren Verlauf er ein Mädchen getroffen hatte, das nun auf dem Beifahrersitz schlief, fuhr er nach Syke. Es war noch sehr früh. Die Sonne ging gerade auf, und als sie durch Gessel fuhren, wurde es auf einmal sehr nebelig. Unvermittelt endete die Straße. Es ging nur noch nach rechts oder links. Zu spät, um noch zu reagieren. Aus dem Nebel tauchte ein dicker Baum auf, der am Rand des Kornfeldes stand, in dem der Wagen landete, nachdem er mit ca. einem halben Meter Abstand an eben diesem vorbeischoss.
Lucky und seine Beifahrerin, die von allem nichts mitbekam, hatten unverschämtes Glück. Der Wagen fuhr noch. Lediglich der linke vordere Kotflügel war etwas verzogen, aber mit ein bisschen Kraftaufwand ließ er sich richten. Es war wie eine Stuntszene in einem Film. Lucky stieg gelassen aus seinem Auto, das inmitten von reifem Roggen stand. Durch die hohe Feuchtigkeit und den heißen Motor stiegen dicke Dampfwolken auf. Die gesamte Situation hatte etwas Unwirkliches. Das reife Korn roch nach Hochsommer und erzeugte bei Lucky ein Gefühl von starker Verbundenheit mit der Natur. Ja, er genoss diesen Moment sogar. Er atmete tief ein und aus. Es wurde ihm langsam bewusst, was da gerade passiert war, aber er empfand trotz allem ein großes Glücksgefühl.
Es wurde allmählich heller und der Nebel lichtete sich. Ohne Probleme bahnte sich der Wagen kraftvoll seinen Weg zurück auf die Straße und hinterließ dabei eine Schneise plattgewalzten Korns. Lucky fuhr nun schnurstracks zum Polizeirevier in Syke, da er bei seinem Flug ins Feld auch noch ein Verkehrsschild umgenietet hatte. Ein freundlicher Schutzmann begleitete ihn zum Ort des Geschehens, um sich ein Bild zu machen und beließ es bei einer In-Augenschein-Nahme. Zufrieden mit sich selbst und hungrig auf den neuen Tag beschloss Lucky, einen Abstecher nach Wachendorf zu machen, um den berühmten Nachbarn des Autoschraubers zu besuchen. Dort angekommen, ließ er das Mädchen im Auto weiterschlafen und ging, als wäre es die normalste Sache der Welt, auf das Grundstück von Rudi Carrell. Es gab kein abgeschlossenes Tor oder eine Klingel. Die weiße, 2-etagige Villa, die den Charme vergangener Zeiten ausstrahlte, war umgeben von riesigen Rhododendronbüschen.
Als Lucky um das Haus herumging, sah er dahinter einen großen Teich mit einer Gartenhütte daran. Es schwammen schwarze Schwäne mit roten Schnäbeln darauf. Als er das Anwesen verließ, ging oben ein Fenster auf. Eine Frau mittleren Alters guckte heraus und Lucky fragte sie, ob Rudi da wäre, worauf sie antwortete, Rudi würde noch schlafen. Das Mädchen auf dem Beifahrersitz schlief auch noch, als er wieder ins Auto einstieg und weiter in Richtung Asendorf fuhr, wo es eine WG von Aussteigertypen gab, die er mal bei einer Fete auf einem Öko-Hof in Dolldorf kennengelernt hatte.
Als er dort ankam, war alles wie ausgestorben. Niemand war da, um ihn zu begrüßen. Wundersamerweise hatte keiner die Eingangstür zu dem alten, ehemaligen Bauernhaus verschlossen, so dass Lucky hineingehen konnte und sich sofort wie zu Hause fühlte.
Das Mädchen schlief noch immer tief und fest im Auto. Langsam wurde es immer wärmer. Ein wolkenloser, heißer Sommertag stand bevor.
Hinter dem Haus gab es einen großen Garten, der leicht verwildert war, aber dafür umso romantischer, ja vielleicht sogar ein wenig verzaubert anmutete.
Unter einem mächtigen, weit ausladenden Eichbaum befand sich eine rustikale, verwitterte Holzbank, von der die wohl ehemals himmelblaue Farbe größtenteils abgeblättert war.
Lucky setzte sich und ließ seine Gedanken umherschweifen.
Währenddessen kamen die rechtmäßigen Bewohner des Anwesens zurück. Lucky war gerade damit beschäftigt, eine ca. zwei Meter hohe Cannabispflanze vorzeitig abzuernten, als eine Frau mit hennafarbenen Dreadlocks und hippiemäßigem Outfit auftauchte.
Es war schon einige Zeit her, dass er diese Leute zum letzten Mal gesehen hatte, und die Frau wusste offensichtlich nicht mehr, wer Lucky war.
Sie fuhr ihn einigermaßen wütend an: „Was soll das? Was machst du hier? Die Pflanze ist noch nicht so weit! Und kümmer` dich mal um das Mädchen in deinem Auto! Wir haben 30 Grad und die schläft bei geschlossenen Fenstern in der prallen Sonne!!“
Lucky war erschrocken. Darüber hatte er überhaupt nicht nachgedacht. Als er die Autotür öffnete, kam ihm ein Schwall heißer, stickiger Luft entgegen. Das Mädchen atmete flach, und Lucky dachte: Oh, Mann! Was bin ich für ein Idiot!
Gemeinsam mit den anderen brachte er sie ins kühle Haus. Sie erwachte langsam und trank gierig mehrere große Gläser Wasser aus.
Dieser Sommer hatte noch die eine oder andere Überraschung für Lucky im Gepäck.
Durch seine Jobs als Landschaftsgärtner kam immer ausreichend Money in die Kasse. Die Arbeit war zwar schwer, aber durch den intensiven Kontakt mit Natur, Pflanzen und zum Teil sehr prachtvollen, extravaganten Gartenanlagen in exklusiver Lage, zum Beispiel in Borgfeld, Lesum oder Oberneuland, stellte sich ein Gefühl von Zufriedenheit und Einklang mit sich selbst und seiner Umgebung ein.
Irgendwann hatte er die Idee, den Führerschein für große LKW zu machen. In der alten Mühle am Wall fand er die richtige Fahrschule. Werner, ein LKW-und Busfahrer von altem Schrot und Korn, brachte ihm alles bei, was er wissen musste.
Nach bestandener Prüfung ging es los. Ein Sattelzug mit MAN-Zugmaschine wartete darauf, von Lucky in Besitz genommen zu werden. Baustahl war ab jetzt zu transportieren.
Nach kurzer Einarbeitung war er alleine unterwegs. 15 Meter Freiheit! Ca. 10 Stunden am Tag!
Es war genau das, was er schon immer gewollt hatte.
Die Baubranche boomte zur Zeit. Lucky hatte gut zu tun. Rückwärts in enge Baustelleneinfahrten, überlastete Kräne beim Abladen von dicken Baustahlmattenstapeln (die dann geteilt werden mussten), Fahrten über Land; nach Ostfriesland und ins niedersächsische Umland gehörten jetzt wie selbstverständlich zu Lucky´s Alltag. Langsam wurde er zum Profi.
Eines Tages, er fuhr jetzt schon im vierten Jahr für Ferrostahl-Nord, wurde ihm eine nagelneue, weiße MAN-Zugmaschine zugeteilt. Und als ob das noch nicht reichte, bekam er anstatt des gewohnten Klappen-Aufliegers einen holländischen Auflieger mit Rungen (Stäben an der Seite) und Sondergenehmigung. Der Vorarbeiter meinte trocken: “Na, Balou, (so nannten sie ihn immer) meinst du, du kriegst das hin? Wenn du den in der Mitte auseinanderziehst, hast du 19 Meter statt 15“. Lucky musste erstmal schlucken. „Heute? Muss das sein?“
Es musste sein. Mit 4 Metern Verlängerung luden sie ihm einen T-Träger auf, der hinten noch einen halben Meter herausragte. Bei der Abfahrt befestigte der Vorarbeiter noch ein rotes Fähnchen daran. Fast schon väterlich verabschiedete er Lucky: “Du schaffst das, Junge!“
Dann fuhr er los. Er musste noch zu Thyssen & Schulte, ein dickes Paket geölte Bleche laden.
Das Paket war mit Stahlbändern zusammengehalten. Ganz hinten neben dem T-Träger war noch Platz. Die Jungs von Thyssen staunten nicht schlecht: “Na, ist deiner jetzt lang genug??“
Lucky grinste. Er mochte diese derben Späße. „Frag mal deine Frau!“ entgegnete er. Allseitiges Gelächter war die Antwort.
5 Stunden später, es war in Kirchlinteln, kam ein merkwürdiges Scheppern von hinten.
Lucky sah in den Rückspiegel und glaubte seinen Augen nicht zu trauen: Der gesamte Stapel mit den geölten Blechen (0,5 cm dick, 1,5 m x 2,5 m) hatte sich aufgelöst und lag nun wie ein Kartenspiel auf der Gott sei Dank leeren Dorfstraße.
Zum Wiederaufladen musste ein Magnet-Kran anrücken. Anschließend entschied die (freundliche) Polizei, dass der Auflieger abgesattelt werden muss, und Lucky fuhr mit der Zugmaschine nach Bremen zurück.
Der Alte sprang im Dreieck. „Du A…….Du S……und weitere Beschimpfungen prasselten auf Lucky herab.
Je mehr der Idiot in Rage kam, desto ruhiger wurde Lucky.
„Es reicht jetzt“ unterbrach er den cholerischen Redefluss des kleingewachsenen, aus Ostfriesland stammenden Chefs, der ihn in diesem Moment stark an einen bekannten französischen Komiker erinnerte.
„Machen Sie meine Papiere fertig! Ich komme morgen vorbei.“Das war das Ende von Lucky`s Baustahlkarriere.
Seine andere Karriere, nämlich die als „Psychonaut“, lag zur Zeit auf Eis. Es ging ihm relativ gut. Trotzdem kam die Erinnerung an die schlimmste Zeit in seinem Leben öfter, als ihm lieb war.
Damals, 1983 in Berlin, fing alles eigentlich ganz harmlos an. Er machte eine Gärtnerausbildung in einem Berufsbildungswerk. Ein wenig Psychiatrieerfahrung hatte er schon „vorzuweisen“. Eines Nachts am Glienickersee (durch den damals noch die Zonengrenze verlief) meinte er, durch seine „mentalen“ Kräfte, Ost und West wieder zusammenbringen zu können (Vielleicht ja aus heutiger Sicht erfolgreich?). Später fiel er einer Polizeistreife auf und am nächsten Morgen fuhr der Wagen an der Nervenklinik Spandau vor.
Dort wartete das volle Programm an Psycho-Zwangsmaßnahmen auf ihn.
Es wurden Haldol und Neurocil (beides sehr starke Neuroleptika) in hoher Dosierung verabreicht. Durch das Zusammenwirken dieser Mittel reagierte Lucky leicht aggressiv, worauf eine Fixierung folgte, die mit kurzen Unterbrechungen ca. 4 Wochen dauerte.
Während dieser Zeit wurde ihm des Öfteren Haldol intravenös gespritzt. Dadurch und durch das lange Liegen konnte er sich kaum noch alleine bewegen und nicht alleine essen, sämtliche Schleimhäute waren ausgetrocknet (kein Sprechen, nur noch Schreien und Krächzen, und das zum Schluss auch nicht mehr). Nachts schob man ihn alleine ins dunkle Bad (damit auf der Station Ruhe war). Durch die psychotischen Gedanken, die er hatte, stand er in dieser Zeit echte Todesängste aus. Ein halbes Jahr war er dort mit Beschluss untergebracht.
Seine Rettung war, dass sein Vater, mit Hilfe seiner Freimaurerfreunde in Berlin, den Klinikchef zum Umdenken bewegen konnte, worauf die Medikamente reduziert wurden und jeden Tag ging es mit dem Rollstuhl ins Bewegungsbad. Irgendwann konnte er wieder alleine laufen und wog wieder normale 100 kg, statt 65 kg im Psycho-Knast.
Wir schreiben das Jahr 1989 galaktischer Sternenzeit. Logbuch des Raumschiffes Lucky Man .
Lucky und zwei Freunde hatten Karten für das Pink Floyd-Konzert im Stadtpark in Hamburg.