Autor:in: Lil GABA

Benzodiazepine – Wundermittel oder Horrordroge?

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Benzodiazepine, oder kurz „Benzos“, sind Medikamente, die gegen Angstzustände, Panikattacken und Schlafstörungen helfen. Sie gelten als sehr wirksam gegen diese Leiden, sind allerdings nicht für eine Dauerbehandlung geeignet, da bereits nach kurzer Zeit ein Gewöhnungseffekt eintritt.

Bekannte Beispiele

In Deutschland hat wohl schon fast jeder einmal etwas von Diazepam gehört oder auch „Valium“ genannt. Das Eine ist der Wirkstoff, das Andere ein bekannter Markenname, unter dem das Medikament lange vertrieben wurde.

Wer schon einmal eine psychiatrische Einrichtung von innen gesehen hat und vielleicht dort auch etwas mehr Zeit verbracht hat, kennt mit Sicherheit das Medikament „Tavor“. Hierbei handelt es sich um den Markennamen für den Wirkstoff Lorazepam, ebenso wie Diazepam gehört er zur Gruppe der Benzodiazepine.

In den USA ist das bekannteste Beispiel „Xanax“ mit dem Wirkstoff Alprazolam. An dieser Stelle fallen vielleicht die ähnlichen Endungen der Wirkstoffe auf. Wer also ein Medikament einnimmt, das auf –lam oder –pam endet, hat mit hoher Sicherheit ein Benzodiazepin verschrieben bekommen oder sich auf andere Weise besorgt. Es gibt allerdings auch viele Medikamente mit solchen Namensendungen, die keine Benzodiazepine sind. Im Zweifel sprechen Sie bitte immer mit einem Arzt oder Apotheker.

Kurze Geschichte der Benzos

Seit den 1960er Jahren werden Benzodiazepine erfolgreich als Beruhigungsmittel eingesetzt. Sie haben die zuvor üblichen Barbiturate komplett verdrängt, da sie wesentlich weniger Nebenwirkungen und eine geringere Suchtgefahr mit sich bringen sollten. Die therapeutische Breite der neuen Medikamente ist tatsächlich wesentlich größer. Das bedeutet, dass zwischen einer wirksamen Dosis und einer gefährlichen Dosis viele Milligramm (mg) liegen. Die wirksame Minimaldosis liegt beispielsweise bei 1 mg und eine schädliche Dosis bei 10.000 mg. Dies ist nur ein Beispiel für therapeutische Breite, die angegebenen Dosen sind willkürlich gewählt. Tatsächlich liegt die tödliche Dosis von Tavor (Lorazepam) im Tierversuch bei ca. 2000mg pro Kilogramm Körpergewicht.***

Das bedeutet, dass selbst, wenn ein Mensch die ganze Packung auf einmal schluckt, dieser höchstwahrscheinlich nur geringe Schäden davontragen wird (Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, Benommenheit). Es kann allerdings zu komatösen Zuständen führen, die den betäubten Menschen zu einem leichten Opfer für Straftaten machen könnten. Wenn das Medikament zusätzlich mit anderen Beruhigungsmitteln wie Alkohol oder Heroin eingenommen wird, kann es zum Atemstillstand kommen und somit zum Tod führen.

Tode durch alleinigen Konsum von Benzodiazepinen sind äußerst selten. Bei Risikogruppen wie zum Beispiel alten Menschen, Kindern, Personen mit entsprechenden Allergien oder Schlafapnoe ist vom Gebrauch eher abzuraten.

Medikament oder Droge?

Im englischsprachigen Raum werden legale und illegale Drogen genauso wie Medikamente als „Drugs“ bezeichnet, was erstmal für eine gewisse Ehrlichkeit im Umgang mit der Thematik spricht. Es gibt ja immer wieder Leute, die sagen „Ich nehme keine Drogen, ich bin doch nicht einer von diesen Junkies, die mich am Bahnhof anbetteln und andere schlimme Dinge tun…“ und so weiter und so fort. Aber am Wochenende wird dann Alkohol in rauen Mengen getrunken und einige Menschen sind sogar stolz darauf, wieviel sie von dieser legalen Drogen vertragen.

Benzos sind, wenn sie von einem Arzt verschrieben wurden, legal und sind als Medikament in der Apotheke erhältlich. Wenn ich mir aber nun zum Beispiel Clonazolam (schon wieder eine Endung auf –lam) auf dem sogenannten Schwarzmarkt besorge, um damit einen netten Abend zu verbringen, ist das gleiche Medikament nun auf einmal eine illegale Droge.

Benzodiazepine können also beides sein, Medikament und Droge, legal oder illegal.

Einfluss auf die Popkultur

Rap gehört spätestens seit Ende der 2000er Jahre zu den erfolgreichsten und beliebtesten Musikgenres neben Pop, Rock und Elektronischer Musik.

Und ebenfalls seit den Nullerjahren gibt es einen sehr großen Anteil von Künstlern, die in ihren Songs vom Benzokonsum sprechen, die Medikamente loben oder verurteilen – nicht nur Benzodiazepine, sondern vor allem auch andere Beruhigungsmittel wie Codein und Tilidin. (Beides Opioide wie zum Beispiel Morphin oder Heroin auch).

Auch in Filmen tauchen immer wieder Markennamen wie „Xanax“ oder „Valium“ auf. Stichwort „Xanax“: Hierbei handelt es sich um den Wirkstoff Alprazolam, der als schnellwirksames Benzodiazepin aggressiv vermarktet wurde, als schnell wirksam und mit geringem Abhängigkeitsrisiko. Viele Rapper haben Lieder über dieses Medikament gemacht und man merkt ihnen und der Musik den Konsum ganz klar an. Halb geschlossene Augenlider, genuschelte Sprache und Gesichtstattoos sind bekannte Erkennungsmerkmale und mehr oder weniger direkte Auswirkungen eines übermäßigen Konsums von Benzos. So entstand eine neue Art von Rap, „Cloud Rap“, die sich schnell großer Beliebtheit erfreute und dadurch wiederum stieg die Nachfrage nach Medikamenten wie Xanax weiter an.*

Als prominentes Beispiel seien hier “Lil Xan” und sein Lied “Betrayed” genannt. Lil Xan ist leider viel zu früh an verunreinigten Medikamenten gestorben, die er auf dem Schwarzmarkt erworben hatte.

Wie wirken Benzos?

Wer sich für die Wirkungsweise im Körper interessiert, dem sei an dieser Stelle das Stichwort „GABA“ genannt. Dies ist ein Neurotransmitter, der im Körper dafür sorgt, dass die Nervenaktivität gebremst wird. Es handelt sich hierbei übrigens um den selben Neurotransmitter, der auch von Alkohol angesprochen wird.

Ich werde an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, da es einfach sehr schnell kompliziert wird im Reich der Biochemie. Ich bin vielleicht auch einfach nicht schlau genug, um die Vorgänge angemessen zu erklären. Stattdessen werde ich versuchen, die empfundene Wirkung zu beschreiben.

Jeder Mensch ist etwas anders, deswegen können auch Medikamente unterschiedliche Wirkungen bei verschiedenen Personen haben. Wer unter Angst oder Schlafstörungen leidet, dem wird ein Benzodiazepin ziemlich sicher helfen. Angst und Nervosität verschwinden einfach nach Einnahme des Medikaments. Körper und Geist sind entspannt, alles ist gut. Klingt verlockend? Ja, und genau hier liegt auch gleichzeitig die Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung. Benzos sind nur für eine kurzfristige Behandlung geeignet.

Wenn ein gesunder Mensch ohne Grund z.B. Diazepam einnimmt, wird die erste Reaktion wahrscheinlich sein: „Ich merke gar nichts“, und genau das ist ja eben die erwünschte Wirkung. Und wenn dieser Mensch nun auf der Suche nach einem Rausch viel mehr als empfohlen einnimmt, kann es passieren, dass er sich auf einmal im Krankenhaus oder im Gefängnis wiederfindet, ohne Erinnerung daran, was passiert ist. Dadurch, dass keine Angst mehr da ist, werden Risiken eingegangen und Dinge getan, die normalerweise nicht der Persönlichkeit entsprechen. Angeblich wurde sogar in einer Packungsbeilage als Nebenwirkung kleptomanische Neigungen angegeben.

Einige Kriminelle machen sich diese Eigenschaften von Benzos zunutze, um einfacher Verbrechen begehen zu können. Mit 1 mg Clonazolam im Blut geht man dann einfach ins nächste Kaufhaus, stopft sich den Rucksack in aller Seelenruhe mit schönen Dingen voll und geht wieder. Dadurch, dass man sich nicht nervös umschaut, fällt man auch den Ladendetektiven weniger auf und wenn man doch erwischt wird, ist einem auch das scheißegal, weil negative Gefühle einfach durch die chemische Keule unterdrückt sind.**

Persönliche Erfahrungen

Ich leide schon seit ich denken kann an einer Angststörung, die dazu führt, dass mir soziale Interaktion teilweise sehr schwer fällt. Nach einigen Jahren Psychotherapie kann ich zwar besser damit umgehen, aber „weg“ wird diese sehr störende Krankheit wohl nie sein. Also habe ich mich auf die Suche nach Stoffen begeben, die mir helfen, „einfach zu sein, einfach zu leben“.

Die erste Wahl fiel natürlich auf den Alkohol, der hier in Deutschland ganz normal und einfach zu haben ist. Eine Party ohne Alkohol gibt es fast gar nicht. Meine Selbstmedikation ist also gar nicht als solche wahrgenommen worden, sondern als ganz normales Sozialverhalten. Aber es gab auch Momente, in denen es dann doch aufgefallen ist, da ich einfach viel mehr als die anderen getrunken habe, um meine negativen Gefühle „wegzudrücken“.

Einfach nur ein einziges „Feierabendbier“ zu trinken ist mir nicht möglich. Der Alkohol ist erst ab einer gewissen Menge wirksam gegen meine Ängste, geringe Dosen können meine Nervosität sogar verstärken.

Ich war lange Zeit dagegen Medikamente einzunehmen, in meinem Umfeld waren diese künstlichen Stoffe auch eher verpönt. Stattdessen wurde auf natürliche Drogen zurückgegriffen wie Alkohol, Marihuana oder Kokain.

Erst bei meinem dritten Klinikaufenthalt habe ich mich dafür entschieden Psychopharmaka einzunehmen. Das sind Medikamente, die gegen psychische Leiden helfen sollen. Zunächst wurde mir ein Neuroleptikum verschrieben, das beispielsweise auch gegen Schizophrenie eingesetzt wird. Die betäubende Wirkung hat mir auch gleich gut gefallen, ich konnte zum Beispiel nach langer Zeit das erste Mal wieder einfach durchschlafen ohne beim kleinsten Geräusch aufzuwachen.

Irgendwann bin ich dann auf die Benzodiazepine gestoßen und war gleich begeistert von deren Wirkung auf mich. Mit ein bisschen „Tavor“ (Lorazepam) konnte ich jede Herausforderung meistern. Ein Termin oder ein bevorstehendes Gespräch, dass mich sonst schon Tage vorher ins Schwitzen gebracht hätte, ließ mich nun kalt. Diese Kälte ist aber auch der Grund dafür, dass ich andere Benzos mit einer „wärmeren“, beinahe euphorischen Wirkung mittlerweile bevorzuge.

Ich würde am liebsten jeden Tag konsumieren und habe das auch immer wieder über Zeiträume von ein paar Wochen hinweg getan. Aber irgendwann verliert das Medikament seine Wirkung und eine Dosiserhöhung würde zwar helfen aber auch in eine gefährliche Abwärtsspirale führen, an deren Ende ein Entzug wartet der schlimmer und gefährlicher ist als der von Heroin. Das berichten zumindest ehemalige Abhängige dieser Stoffe.

Ich möchte das an dieser Stelle betonen: Das Medikament, das zunächst wunderbar gegen alle Symptome hilft, wird nach längerem Dauergebrauch schließlich zu einer Horrordroge, die teilweise schlimmere Auswirkungen als Heroin hat, welches ja lange Zeit als eine der schlimmsten Drogen galt.

(Mittlerweile existieren Stoffe auf dem Markt, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellen, aber das ist ein anderes Thema.)

Fazit

Mit einem verantwortungsvollen Umgang sind Benzos hochwirksame Stoffe, von denen auch einige in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgeführt werden. Als Dauernutzer landet man aber sehr schnell vom Himmel der Symptomfreiheit in einer Hölle in der einfach alles hundertmal schlimmer als zuvor ist und nicht wenige Menschen wählen an dieser Stelle dann den Suizid als einzigen letzten Ausweg. Wer suchtgefährdet ist, sollte definitiv die Finger von Diazepam, Tavor und Co. lassen.

Quellen:

* Rap lyrics cause misuse of tranquilliser Xanax to soar | News | The Times https://www.thetimes.co.uk/article/rap-lyrics-cause-use-of-tranquilliser-xanax-to-soar-6mx8zb69t

** “Shore, Stein, Papier“ Podcast eines ehemaligen Drogensüchtigen auf Youtube

*** Y:\wercs.ps (pfizer.com)

Allgemeine Quellen: www.Wikipedia.com, www.Psychonaut.com, www.erowid.com, www.reddit.com/r/benzodiazepine, persönliche Erfahrungen

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