Autor:in: Sascha Heuer

Buchbesprechung: „Mit meinen herzlichen Grüßen! Ihre Dorothea Buck“

1990 veröffentlichte Dorothea Buck ihr bahnbrechendes Buch „Auf der Spur des Morgensterns – Psychose als Selbstfindung“, in dem sie über ihr Leben mit fünf psychotischen Schüben zwischen 1936 und 1959 schrieb. Sie wurde damit für viele Menschen zum Vorbild und zu einer Hoffnung dafür, dass eine Psychose heilbar sein kann, wenn ihr Sinn verstanden und ins Leben einbezogen wird. Und andererseits gab es nun eine Stimme gegen eine gesprächslose und defizitorientierte Psychiatrie und für neue Formen und Versuche (zum Beispiel Psychose Seminare). Viele Menschen schrieben Dorothea Buck nach Erscheinen des Buches und fragten um Rat. Das neu erschienene Buch „Mit meinen herzlichen Grüßen! Ihre Dorothea Buck“ dokumentiert ca. siebzig Briefwechsel.

 

Dorothea Buck ist inzwischen 98 Jahre alt und hat ihre umfangreiche Briefkorrespondenz Hartwig Hansen und Fritz Bremer vom Paranus Verlag zur Verfügung gestellt. Diese haben sich in mühevoller Kleinarbeit daran gemacht, diesen zu sichten und zu sortieren und haben daraus das vorliegende Buch zusammengestellt. Es sind darin ca. siebzig Briefe mit Fragen, Schilderungen, Eindrücken und Problemen (manchmal auch akuten) von betroffenen Menschen, Angehörigen, in der Psychiatrie Tätigen und Anderen zu lesen – und die Antworten von Dorothea Buck darauf.

So beschreibt zum Beispiel eine Fr. G. von ihren Erfahrungen in einer Klinik, wo das Personal überhaupt keinen Zugang zu ihrem inneren Erleben vor und während der Psychose bekam und sie sich somit als völlig falsch behandelt gefühlt hat Dorothea Buck schreibt ihr dazu: „Sie schreiben, die Psychiatrie hat mich ans falsche Ufer zurückgeholt. Genau das scheint mir der Irrtum der Psychiatrie zu sein, dass sie gar nicht bemerkt, dass eine Psychose sehr häufig aufbricht, um einen dem Betreffenden nicht gemäßen Weg zu verändern, etwas aus den Erfahrungen der Psychose zu lernen, für sich fruchtbar werden zu lassen. Die in der Psychose von vielen erlebte ´Wiedergeburt´ müsste unsere Psychiater eigentlich schon längst auf diese Spur gebracht haben. Aber das Inhaltliche spielt in der Psychiatrie noch immer nur eine geringe Rolle.“

Darum geht es Dorothea Buck immer wieder: Die Psychose als Teil eines Entwicklungsprozesses zu verstehen und nicht als rein krankes Verhalten, das mittels Medikamenten verschwinden soll. Im Nachwort schreiben Hartwig Hansen und Fritz Bremer dazu: „Die Inhalte des Unbewussten, zum Beispiel durch unsere Träume, wahrzunehmen und sie uns bewusst zu machen, das ist die Integrationsarbeit, die wir leisten können, um dem ´Anderen´, dem ´Fremden´ in uns selbst Raum zu geben, um vollständiger und erwachsener zu werden.“
Und dieses ist doch eine Aufgabe, die uns alle betrifft, ob mit oder ohne Psychose. Bei der Psychose ist halt „nur“ die Intensität des Unbewussten viel stärker.

In vielen Briefen geht es auch um die Medikamente. So antwortet Dorothea Buck in einem Brief an einen sich sorgenden Vater: „Die Leere im Kopf, über die ihr Sohn Georg klagt, wird höchstwahrscheinlich durch die Medikamente verursacht. Eh er in Behandlung kam, klagte er darüber, dass sein Kopf wie zerrissen sei. So wäre es für ihren Sohn wahrscheinlich eine Hilfe, wenn er seine gemachten Erfahrungen mit anderen austauschen würde. Leider haben unsere Psychiater die Sorge, dass geäußerte Psychoseerfahrungen die Patienten noch tiefer in die Psychose hinein gleiten lassen könnten. Darum werden solche ausgesprochenen Erfahrungen in der Regel mit noch mehr Medikamenten beantwortet. Dem Patienten bleibt keine Möglichkeit, sein Erleben zu reflektieren und mit anderen, die Ähnliches erleben, zu besprechen und besser zu verstehen. Die nur medikamentös ins Unbewusste zurückgedrängten Erfahrungen werden von sich selbst abgespalten, bis sie erneut aufbrechen.“

Das miteinander sprechen, der Austausch und die Selbsthilfe spielten für Dorothea Buck eine große Rolle. Immer wieder verweist sie in ihren Briefen auf, die, zu der Zeit Anfang der 90er Jahre, mit von ihr initiierten Psychose Seminare sowie auf verschiedenste Gruppen der Selbsthilfebewegung. Denn nur hier kämen Betroffene zu einer anderen Sichtweise ihres Erlebens: „Solange die Psychose nur negativ und abwertend definiert wird, kann der Betroffene sich nur schwer dieser negativen Bewertung entziehen, die natürlich zu Ängsten führen muss, womöglich an einer unheilbaren Krankheit zu leiden. Dem suchen wir nun durch unseren Zusammenschluss in einem Bundesverband Psychiatrie Erfahrener entgegenzuwirken und Hilfe bei der Verarbeitung des immer aufwühlenden Psychoseerlebens zu er reichen.“

Die Vielfalt der Anliegen der unterschiedlichsten Menschen und die immer wieder spannenden und teils weisen, manchmal aber auch praktischen Antworten dieser zu diesem Zeitpunkt ja bereits alten Frau, machen dieses Buch aus meiner Sicht sehr lesenswert und es scheint mir ein wesentliches Buch zu sein für alle Menschen, die mit dem Thema Psychose in irgendeiner Art zu tun haben.

Bei mir entstand beim Lesen immer mehr der Eindruck, dass wir im Umgang mit Menschen, die eine Psychose erleben, immer noch ziemlich am Anfang stehen.

 

Dorothea Buck

Die Bildhauerin Dorothea Buck, Jg 1917, war nach ihrer freien künstlerischen Tätigkeit, von 1969 bis 1982 Lehrerin für Kunst und Werken an der Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg. Zwischen 1936 und 1959 erlebte sie fünf schizophrene Schübe. In ihrem ersten Schub wurde sie in den Bodelschwingschen Anstalten in Bethel zwangssterilisiert. Sie war und ist maßgeblich in der Bewegung der Psychiatrie Erfahrenen aktiv. Zusammen mit Thomas Bock gründete sie 1989 das erste Psychose Seminar in Hamburg und warb auf vielen Lesereisen im In- und Ausland für die Idee des Trialogs zwischen Betroffenen, Angehörigen und in der Psychiatrie Tätigen. 1997 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und 2008 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

Autorin von:

„Mit meinen herzlichen Grüßen! Ihre Dorothea Buck“ 206 Seiten, 19,95 €, Paranus Verlag 2015

„Auf der Spur des Morgensterns“ 308 Seiten, 21,95 €, Paranus Verlag 5. Auflage 2014