Das Zwielicht hat die Planung und die Entstehung in vorigen Ausgaben bereits begleitet und möchte nun Einblicke in das Innenleben geben. Gesprochen haben wir dafür mit zwei Bewohnerinnen, die mit Herzblut an der Planung und Entstehung beteiligt waren. Auch Robert Klosa vom Martinsclub ließ uns an seiner Meinung und einer Darstellung des Aufgabenbereichs des Martinsclub im Projekt teilhaben.
Zunächst sprachen wir mit Conny Frigger, die ihr Leben für die Idee von Gemeinschaft und von einem Zusammenleben, das mehr als die eigenen vier Wände bietet, komplett auf den Kopf gestellt hat. Sie zog von Göttingen nach Bremen, kündigte ihren Job und zog Ende 2019 ins BlauHaus. Da von der Planung bis zum Einzug der ersten Bewohner*innen zwölf Jahre vergingen, brauchten alle Beteiligten einen langen Atem – und so waren Durchhaltevermögen und eine Menge Optimismus unabdingbar. „Bis Inklusion wirklich gelebt werden kann, ist es noch ein großes Stück Arbeit. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg… wenn wir es nicht vergeigen“, sagt Conny in unserem Interview. So gibt es trotz positiver Entwicklungen noch einige Baustellen im BlauHaus. Die Blaue Manege, die ursprünglich von Anfang an als Dreh- und Angelpunkt fungieren sollte, wird erst gegen Sommer fertiggestellt. Dann wird auch die Blaue Karawane in den Komplex einziehen. Derzeit fehlt demnach jedoch noch ein Ort der Begegnung, um die Kommunikation, die für ein funktionierendes Miteinander nötig ist, überhaupt möglich zu machen. Eine Herausforderung ist auch, den Bewohnern*innen, die nicht von Anfang an dabei waren, den Gedanken dieses Wohnprojektes zu vermitteln und sie ebenso für die Idee zu begeistern. Ein Hauptaugenmerk lag von Beginn an darauf, dass die Menschen die Möglichkeit zum Einzug bekommen, die Lust auf Gemeinschaft haben, Inklusion leben möchten und nicht lediglich einen günstigen Wohnraum suchen. „Wenn man eine Familie hat und in Not ist, erzählt man eben das, was notwendig ist, um auf dem heutigen Wohnungsmarkt eine Wohnung zu bekommen“, erzählt uns Conny, als wir sie fragen, ob alle Bewohner ein Teil der Gemeinschaft und des Inklusionsgedanken sein wollen.
Die Wohnangebote im BlauHaus sind verschieden. In einem Interview mit Robert Klosa, dem Regionalleiter vom Martinsclub für die Region Gröpelingen und Walle, bekamen wir Einblicke in den Tätigkeitsbereich des Martinsclub und seinen im Besonderen. Der Martinsclub – nicht zu verwechseln mit dem Martinshof – spielt im BlauHaus neben der Blauen Karawane eine tragende Rolle. Der Martinsclub begleitet und betreut Menschen mit speziellem Förderbedarf im Alltag, während der Martinshof (Werkstatt Bremen) eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben ist.
„Der Grundgedanke ist, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammen leben, sich gegenseitig unterstützen und helfen: Das ist Inklusion“, sagt Klosa im Interview. Betreut und unterstützt werden die Bewohner*innen der WGs und die Bewohner*innen der Quartierwohnungen in jeglichen Lebenslagen – wobei darauf geachtet wird, dass jeder ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen kann. Das Prinzip von Quartierwohnungen gestaltet sich wie folgt: Die Menschen leben im BlauHaus in separaten Wohnungen, haben jedoch immer die Möglichkeit, sich auf kurzen Laufwegen Hilfe zu holen: auch in der Nacht, 24/7, rund um die Uhr. Klosa ist der erste Ansprechpartner für jedes Interesse und jeden Arbeitsbereich, den es abzudecken gilt und ist für die Menschen mit Förderungsbedarf im BlauHaus zuständig. Während sogenannter Hilfeplangespräche wird individuell festgelegt, welchen Bedarf an Unterstützung der jeweilige Bewohner hat. Entsprechend gestalten sich auch die Betreuungstermine mit den Klient*innen. Ähnlich verhält es sich auch in der Demenz-WG. Dort legt man ebenfalls Wert darauf, nahe am Menschen zu sein und gibt den Angehörigen die Möglichkeit, an der Betreuung teilzunehmen und mitzuwirken. Jede/r Bewohner*in hat ein Zimmer, das sie/er frei gestalten bzw. einrichten kann. Im Gemeinschaftsraum ist die Küche integriert und auch hier wird ein gemeinsamer Tagesablauf ermöglicht – vom Kochen bis hin zu Aktivitäten. An den Gemeinschaftsraum grenzt die Terrasse, bei der darauf geachtet wurde, den Zugang von den Zimmern aus barrierefrei zu gestalten, um die Betten bei Bedarf auch auf die Terrasse schieben zu können. Neben der Demenz-WG liegt die KiTa, deren Terrasse mit der Terrasse der WG verbunden und nur durch ein Tor getrennt ist. Zukünftig ist auch ein Miteinander zwischen den Kindern und den Bewohner*innen der WG angedacht, um den Gedanken der Inklusion aufzugreifen und zu verwirklichen.
Auf die Frage, welche Herausforderungen nach wie vor bestehen, antwortet Klosa: „Durch das Zusammenleben vieler, unterschiedlicher Menschen und den langwierigen Prozess ist aus meiner Perspektive Kommunikation das Wichtigste. Bei einem Wohnprojekt, das so lange geplant wurde, wo so viele unterschiedliche Menschen beteiligt waren und auch Vereine wie der Martinsclub, die Blaue Karawane, Quirl Kinderhäuser, inklusive WG, plus Bewohner*innen, plus weitere Akteure involviert sind, muss man einfach im Gespräch sein. Wenn man das nicht ist, gibt es Informationslücken oder Exklusivwissen, und dann wird das Ganze nochmal ein bisschen schwieriger. Und natürlich haben wir damit immer wieder zu kämpfen. Aber das ist ein normaler Prozess, den man nach und nach aufbaut, und das ist für mich das Wichtigste. Das kriegen wir wahrscheinlich auch besser hin als andere Häuser. Natürlich haben wir auch noch spezielle Charaktere dabei – jeder Mensch ist schließlich anders – aber ich glaube das kriegen wir hin.“
Eine weitere Bewohnerin, mit der wir sprechen durften, ist Gabriele Schellhorn. Gaby brauchte etwas länger, um sich für die Idee vom BlauHaus zu erwärmen. Als sie das erste Mal von dem Projekt erfuhr, war sie sich unsicher, ob diese Form des Wohnens das Richtige für sie wäre und lehnte den Gedanken zunächst ab. Es verging einige Zeit, bis sie sich dazu überwinden konnte, ein Plenum aufzusuchen, welches zwölf Jahre lang regelmäßig monatlich stattfand. Von anderen gesehen und beurteilt zu werden, war eine ihrer größten Sorgen. Aber mit dem Abbau dieser Scham und der wachsenden Selbstakzeptanz bauten sich die Zweifel und die Hemmschwelle nach und nach ab. Am Ende war sie Feuer und Flamme. Und sie ist es nach wie vor. Allerdings ist auch Eigeninitiative gefragt. „Es ist wichtig, Berührungspunkte zu finden und sich kennenzulernen“, sagt sie in unserem Interview. Dies läge ihr sehr am Herzen, da sie möchte, dass das Projekt funktioniere und der Gedanke, auf dem das BlauHaus Projekt fuße, auch gelebt werden könne. So initiierte sie auf eigene Faust bereits einen Stammtisch, einen Flohmarkt und ein gemütliches Sit-in in ihrer Wohnung. Ein weiterer Aspekt, der nicht unterschätzt werden dürfe, sei, dass diese neue Wohnform auch als Lernfeld dienlich sein kann. „Es muss ein Umdenken stattfinden – denn, auch wenn man vorher Dinge alleine gemacht hat und sich gescheut hat, um Hilfe zu bitten, ist die Idee des BlauHauses eine andere, und so besteht die Chance, neue Erfahrungen zu machen und daran zu wachsen“, erzählt Gaby uns. Auch auf Menschen zuzugehen, will gelernt sein. So beschreibt sie uns eine schöne Situation, in der sich der Zusammenhalt der Bewohner gezeigt hat. Durch einen Sturm kippte ein Bauzaun auf eine kleine, frisch gepflanzte Hecke, und auf ihr Gesuch um Hilfe kamen gleich mehrere Bewohner, um den Zaun gemeinsam wieder aufzurichten. Und diese Situation ist kein Einzelfall: Wer Hilfe benötigt und danach fragt, bekommt diese auch.
Ein schönes Zeichen dafür, dass der Gedanke vom BlauHaus Wurzeln schlägt und das Projekt in Zukunft hoffentlich als Vorreiter für weitere Innovationen dient.
Interview mit Thomas Gickel vom KinderhausBlau
Zwielicht: Besteht derzeit schon ein Miteinander?
Gickel: Es gibt momentan nur eine Vernetzung auf der Leitungsebene. Es hat noch keine Kooperation zwischen dem Kinderhaus und der Demenz-WG gegeben, da sich alle noch in der Eingewöhnungsphase befinden. Es dauert in etwa fünf Jahre, bis bei einer Kindertagesstätte die Eingewöhnungs-zeit vorüber ist.
Zwielicht: Wie soll sich das Miteinander gestalten?
Gickel: Es soll einen direkten Kontakt zwischen der Demenz-WG und dem Kinderhaus geben, der sich nach den individuellen Bedürfnissen aller Seiten, aber vor allem auch der Kinder richten wird.
Zwielicht: Welche Gründe sprechen dafür, dass speziell ein Kontakt zwischen den Kindern und den Bewohner*innen der Demenz-WG hergestellt werden soll?
Gickel: Es geht darum, das ein gegenseitiges Verständnis geschaffen wird. Eine Win-win Situation für alle. Die Kinder lernen direkt, dass Menschen im Alter und mit Einschränkungen normal sind, und für Demenzkranke und alte Menschen generell ist nachgewiesen, dass Kontakt zu Kindern gut für ihr Gehirn ist. Momentan ist alltäglicher Umgang auch noch kaum möglich, da der Außenbereich des Kinderhauses aufgrund der Bauarbeiten noch gesperrt ist und die Blaue Manege auch noch nicht fertig gestellt ist. Daher sind die Kinder grundsätzlich noch im Kinderhaus und haben keine alltäglichen Zugang zum Rest des Blauhauses.
Zwielicht: Wie viele Kinder werden aufgrund des Inklusionsgedanken des Blauhauses angemeldet?
Gickel: Ca. die Hälfte der Kinder, die neu angemeldet werden, werden bewusst wegen des Inklusiven Gedankens des Blauhauses beim Kinderhaus Blau angemeldet.
Das Interview führte Thomas Sieghold