Am 11. September 2018 waren wir mit der Zwielicht-Redaktion bei der „Zweiten Bremer Klagemauer“. Dies war eine Veranstaltung des Aktionsbündnisses “Menschenrecht auf Wohnen” und sollte auf den Mangel an bezahlbaren Wohnungen für alle aufmerksam machen. Stark betroffen von diesem Thema sind auch alle wohnungslosen Menschen. Einmal wohnungslos oder obdachlos geworden, ist der Weg zurück in eine eigene Wohnung extrem schwer.
Die Beteiligung an diesem Tag war ziemlich gering. Das enttäuschte mich etwas. Da mir persönlich das Thema Wohnungsnot in letzter Zeit so omnipräsent vorkam, ging ich davon aus, dass sich viel mehr Menschen beteiligen würden. Abwartend, ob doch noch Menschen zu der Veranstaltung kommen würden, setzten wir uns auf die Steintreppen unterhalb der Bürgschaft.
Es dauerte nicht lange, da sprach uns ein junger Mann – so geschätzt um die 30 Jahre – an und bat uns um ein wenig Kleingeld. Während mein Kollege einige Münzen aus seinem Portmonee kramte, fragte ich den Mann, ob er auch bei der Klagemauer mitmachen würde. Er wusste gar nichts davon, hat aber gleich angefangen, uns zu erzählen, wie das Leben für ihn auf der Straße ist. Oberflächlich betrachtet sah er nicht so aus, wie man sich vielleicht einen Obdachlosen vorstellt. Er wirkte relativ gepflegt, war mit einem großen Reiserucksack und einem Schlafsack unterwegs. Sein Leben lief nicht immer gradlinig. Irgendwann verlor er seinen Job, dann seine Wohnung, und ohne Wohnung Arbeit zu finden, sei fast unmöglich, erzählte er.
Das kleine blaue Zelt, das neben der Klagemauer aufgestellt war, weckte sein Interesse. Er hätte auch mal so eins gehabt, aber hier in Bremen würde einem so ein Zelt sofort geklaut oder von der Polizei entsorgt werden. Es würde immer schwieriger werden, in Bremen einen Schlafplatz zu finden, da es im Stadtbild nicht erwünscht sei, obdachlose Menschen zu sehen, erzählte er weiter.
Diese Aussage bestätigte Harald, ein anderer obdachloser Mensch, der schon in vielen Reportagen der Armut ein Gesicht verlieh. Er sprach über die Ungerechtigkeit und darüber, dass die Menschen Obdachlose nicht sehen wollen, weil es sie damit konfrontieren würde, wie wackelig ihre Welt eigentlich ist. Einmal raus aus dem System, fällt es sehr schwer, wieder Fuß zu fassen. Und gerade dieser Gedanke mache Angst, meint er.
Nach der Veranstaltung auf dem Marktplatz gab es außerdem einen anderthalbstündigen Rundgang um die Domsheide. Auf diesem „Achtsamkeitsweg“, wie die Führung genannt wird, sollen Verdrängung und Wohnungsnot sichtbar gemacht werden. Dort erfuhren wir, mit welchen Problemen Menschen, die keine Wohnung haben, hier in Bremen konfrontiert sind.
Die Führung begann bei den Bremer Stadtmusikanten – den berühmtesten Obdachlosen aus Bremen. Vier Tiere, die aufgrund von Krankheit, Alter und Gebrechen kein Zuhause mehr hatten und hier bei Bremen ihren Platz fanden. Die Bremer Stadtmusikanten werden gefeiert, unzählige Merchandising-Artikel gibt es mit ihrem Bild. Die Bremer Obdachlosen werden im Gegensatz dazu nicht gefeiert. Sie werden als störend im Stadtbild empfunden und von der Polizei vertrieben.
Es gibt keine genauen Statistiken, wie viele Wohnungslose es in Bremen tatsächlich gibt. Während der Führung wird als grober Richtwert von ca. 500 gesprochen.
Nicht alle leben auf der Straße so wie Harald. Viele finden auch bei Freunden Unterschlupf. Und tingeln so von einem Sofa zum nächsten. Dank Couchsurfing auch gar nicht mal so auffällig.
Während der Führung mit Herrn Schröder (einem Mitarbeiter der Bahnhofsmission) erfahren wir noch viel von den Nöten und Problemen der wohnungslosen Menschen. Er sagte, es gibt sogenannte „gute“ und „böse“ Orte für Menschen, die auf der Straße leben. Einige dieser Orte haben wir während der Führung besucht.
Als wir vor dem BSAG-Gebäude an der Domsheide standen, erzählte uns Herr Schröder, dass dies ein „guter“ und ein „böser“ Ort zugleich ist. Ein „guter“ Ort, weil sich die BSAG engagiert, indem sie Menschen, die nachweisen können, dass sie obdachlos sind, in den kalten Monaten gestattet, die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos zu nutzen, um sich aufzuwärmen. Aber auch ein „böser“ Ort, weil sie in den warmen Monaten Schwarzfahren rigoros verfolgt. So kann man durch Schwarzfahren in eine Abwärtsspirale geraten, die nur schwer zu unterbrechen ist. Schwarzfahren ist kein Kavaliersdelikt, sondern wird strafrechtlich verfolgt. So hat man nicht nur finanzielle Probleme, wenn man die Strafe bezahlen muss, sondern landet nach mehrmaligem Erwischen sogar im Gefängnis.
Ein weiterer „guter“ Ort findet sich neben dem Eingang zum Pfarrbüro der Propsteigemeinde St. Johann im Schnoor. Dort steht ein öffentlicher Trinkwasserspender. So eine Kleinigkeit wie Trinkwasser wird ohne ein Zuhause schnell zum Problem. Quälend lange tat sich in Bremen bei diesem Thema nichts. Erst jetzt beginnt die Stadt, selbst mehrere öffentliche Trinkwasserspender zu planen. Ein erster soll beim Elefanten in der Nähe des Bahnhofs entstehen.
Die Propsteigemeinde leistet aber noch mehr für obdachlose Menschen. Die Johannis-Oase z.B. ist ein Ort, an dem kostenlos geduscht und Wäsche gewaschen werden kann.
Die Johannis-Oase ist nur einer von mehreren „guten“ Orten in Bremen. Durch die Aktionen wie die der „Bremer Klagemauer“ wird darauf aufmerksam gemacht, dass es Probleme gibt, bei denen Mitgefühl und soziales Engagement gefragt ist. Denn Fakt ist, ohne die ehrenamtlichen Mitarbeiter und die Spenden gäbe es noch weniger von den „guten“ Orten für obdachlose Menschen. Obdachlosigkeit ist allerdings nur ein Punkt für den die „Bremer Klagemauer“ steht. Probleme wie Wohnungsnot, Armut und soziale Ungerechtigkeit gehen oft Hand in Hand. Eines führt zum anderen oder sie bedingen sich gegenseitig. Ein Hinschauen ist gefragt, um etwas ändern zu können.
Hilfen für wohnungslose Menschen:
www.caritas-bremen.de/spende-engagement/johannis-oase/
www.inneremission-bremen.de/wohnungslosenhilfe/tagestreffs/frauenzimmer/
www.inneremission-bremen.de/wohnungslosenhilfe/tagestreffs/cafe_papagei/
Internetseite des Bremer Aktionsbündnisses “Menschenrecht auf Wohnen”:
www.diakonie-bremen.de/themen/wohnungsnot/aktionsbündnis.html