Als ich mit 19 Jahren erfuhr, dass ich schwanger war, war es für mich der reinste Schock. Natürlich war es nicht geplant, denn Kinder wollte ich erst mit 25 haben. Die Frage einer Abtreibung stellte sich mir nicht, mir war von Anfang an klar, dass ich das Kind bekommen würde. Mich beschäftigte viel eher eine ganz andere Frage. Würde ich es schaffen einem Kind, das geben zu können, was es braucht? Meine Kindheit war schon recht schwer und ich wusste nur eines, mein Kind sollte so etwas auf keinen Fall erleben. Also befasste ich mich schon in der Schwangerschaft damit, mein Kind gegebenenfalls in fremde Hände zu geben. Ich dachte viel über Adoptionen und Pflegefamilien nach, wog ab, womit ich am ehesten klar kommen würde. Mit fortschreitender Schwangerschaft wurde die Freude auf mein Kind immer größer und die Möglichkeit der Adoption war längst keine Option mehr. Mir war nur eines völlig klar, ich würde versuchen, es viel besser zu machen, als meine Eltern.
Die ersten Jahre mit meiner Tochter liefen auch recht gut. Natürlich gab es hier und da Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt, aber an und für sich hatte ich es ganz gut im Griff. Doch nach und nach machten sich der fehlende familiäre Hintergrund und meine eigene Vergangenheit bemerkbar. Es ist nicht leicht, ein Kind so ganz allein zu erziehen, ihm gleichzeitig Mutter, Vater und Großeltern zu sein. Zudem ist es für beide, Mutter und Kind, sehr wichtig auch einmal etwas Abstand zueinander zu bekommen, einmal eine kleine Pause zu haben. Bei vielen Familien gehen die Kinder dann zu Großeltern oder guten Freunden. Mir fehlte eine solche Möglichkeit, ich war 24 Stunden, sieben Tage die Woche eine ganze Familie gleichzeitig. Ein Spagat, der nicht zu schaffen ist. Langsam schlichen sich bei mir Depressionen ein. Immer wieder zweifelte ich nun daran, es tatsächlich alleine schaffen zu können. Ich befasste mich also langsam wieder mit der Möglichkeit einer Pflegefamilie. Doch vorerst wollte ich weiterkämpfen. Ich versuchte Kontakte zu pflegen, was mit Depressionen nicht wirklich einfach ist. Einer dieser Kontakte war eine ältere Dame aus der Nachbarschaft, welche mit der Zeit immer mehr die Rolle der Ersatzoma übernahm. Dies war schon wirklich hilfreich, aber leider war es nicht genug. Im Kampf für mein Kind das beste zu tun, ging ich völlig unter. ich vergaß mich schlichtweg, wodurch meine Depressionen immer schlimmer wurden und sich langsam auch noch soziale Ängste hinzu gesellten. Nach der Einschulung meiner Tochter ging es mit mir rapide bergab und mir war klar, dass ich den Kampf verloren hatte und etwas unternehmen musste. Also vereinbarte ich einen Termin beim Jugendamt. Das fiel mir weiß Gott nicht leicht. Denn sich lange und intensiv damit zu befassen bedeutet ja nicht gleich, dass der Weg dadurch leichter wird. Aber ich hatte mir und meiner Tochter damals etwas geschworen und nun war es Zeit, Wort zu halten. Ich schilderte dem Jugendamt die Situation und meine Sichtweise in allen Einzelheiten. Schließlich kamen wir gemeinsam überein, dass eine Pflegefamilie wirklich das Beste für das Kind und auch für mich sei. Ich hatte noch etwas Zeit, meine Kleine darauf vorzubereiten. Wir führten lange Gespräche und mir wurde schmerzlich bewusst, wie erwachsen dieses siebenjährige Mädchen doch war. Ohne Protest, dafür mit viel zu viel Verständnis, fügte sie sich ihrem Schicksal. Allein diese Reaktion zeigte mir, dass es höchste Zeit für diesen Schritt war. Sie kam also in die Pflegefamilie. Es war für alle nicht einfach, ob für das Kind, die Pflegefamilie oder für mich, wir alle fochten unsere eigenen Kämpfe aus. Es ist schwer, für eine solche Situation die richtige Lösung zu finden, unsere war die Falsche. Leider kam die Pflegefamilie mit meinem Krankheitsbild nicht zurecht, und fing an, meine Diagnosen auf das Kind zu projizieren. Der Kontakt zwischen mir und meiner Tochter wurde erst einmal auf Eis gelegt, das war für mich das Schlimmste überhaupt. Ich mache der Familie keinen Vorwurf, dass auch sie überfordert war, nur wurde es so für mich nicht einfacher. Es ist schlimm, wenn man sich zum Wohle des Kindes zu einem solchen Schritt überwindet und man dann nicht einmal mehr Kontakt zu seiner Tochter hat. Mir zerriss es, im wahrsten Sinne des Wortes, das Herz und ich verlor jeglichen Kampfgeist. Mein Lebenswille schwand immer mehr und ich war der festen Überzeugung, dass ich ihn nie wiederfinden würde. Mit einem letzten Schimmer Hoffnung im Herzen ging ich abermals zum Jugendamt. Dieses reagierte sofort, denn auch das Amt wusste, dass diese Situation für keinen, weder Kind, Pflegefamilie noch für mich weiterhin tragbar war. Es suchte einen neuen Platz für meine Tochter, diesmal einen Heimplatz. Nun lebt meine Kleine in einer familienbezogenen Wohngemeinschaft und es ist das Beste, was uns passieren konnte. Meine Tochter kann wieder Kind sein und lernt, mit anderen Menschen und Konflikten klar zukommen. Ich wiederum kann mich ganz in Ruhe meiner Genesung widmen. Wir haben regelmäßigen Kontakt zueinander und verbringen viel Zeit zusammen. Ich bin wirklich froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe, auch wenn es nicht leicht war. Meine Tochter und ich haben eine sehr enge Bindung, welche sogar 9 Monate Kontaktlosigkeit überstanden hat. Und wenn alles weiterhin so gut läuft wie bisher, dann wird sie auch bald wieder bei mir, ihrer Mama, leben.