Autor:in: Thelke Scholz

Eigene Erfahrung mit Medikamenten

Thelke Scholz

Frau Thelke Scholz hat uns freundlicherweise einen Auszug Ihres Vortrages bei der Veranstaltung “Der selbstbestimmte Umgang mit Medikamenten” zur Verfügung gestellt, in dem sie die Auswirkungen der Medikamenteneinnahme sehr drastisch schildert.

 

Für meine Nachtruhe brauchte ich rund fünfzehn Stunden:
Zwei, um einzuschlafen, zwölf Stunden tatsächlichen Schlafes und dann vom ersten Öffnen der Augen noch einmal eine weitere Stunde, um den Entschluss zu fassen, tatsächlich aufzustehen. Um die Geister der Nacht, psychischer und physischer Natur, abzuschütteln.

Denn einmal aufgestanden zu sein, bedeutete, mich den Herausforderungen des Badezimmers stellen zu müssen. Zum Zähneputzen setzte ich mich bereits wieder hin, auf den Badewannenrand. Dann etwas Wasser ins Gesicht, Haare kämmen, Zopf. Pause.
Vielleicht Frühstück, aus Kraftmangel gern Schokolade, auf dem Sofa.
Mit etwas Glück reichte die Kraft danach zum Duschen. ODER Haare waschen. Beides zusammen wäre undenkbar, weil viel zu anstrengend. Dann anziehen.
Normalerweise war es inzwischen dreizehn oder vierzehn Uhr.
Rein rechnerisch ist bereits klar, dass bei Wachzeiten von neun Stunden täglich nicht viel Programm möglich ist. Außerdem ist die Kraft in diesen Stunden nicht berechenbar, sie ist keine verlässliche Größe.

Wenn man kaum jemals wach ist und sich noch viel weniger konzentrieren kann, ist es schier unmöglich, einen Gedanken, eine Idee oder ein Problem hinreichend zu durchdenken. Es ist unbefriedigend und ermüdend, niemals an ein Ende zu kommen und jeden Tag um dieselben Fragen zu kreisen (für mich vermutlich ebenso wie für mein Umfeld).

Meine Sinne waren stark beeinträchtigt. Ich konnte nahezu nichts riechen, auch nicht mich selbst. Das wurde besonders dann zum Problem, wenn ich kaum Kraft zum Duschen hatte und darüber hinaus einfach nicht merkte, dass es nötig gewesen wäre.
Auch beim Essen ist das schwierig, denn die Zunge nimmt hauptsächlich vier Geschmacksrichtungen wahr: süß, salzig, sauer, bitter.
Ein einigermaßen gleichförmiger Speiseplan ist die nachvollziehbare Folge.
Und in Kombination mit dem veränderten Stoffwechsel und mangelner Motivation, erklären sich auch die veränderten Körpermaße.

Ich litt unter Schweißausbrüchen an den Beinen, Armen, am Schlimmsten aber im Gesicht und an den Händen. Das ist sehr unangenehm für alle Beteiligten.

Ich hatte schlimme Pickel. Hässlich vor allem, nachdem ich sie aufgekratzt hatte.
Was ich natürlich tat. Tun musste. Ich konnte nicht aufhören, immer wieder kratzte ich an mir herum.

Ich hatte Durst. Jeden Tag brauchte ich etwa vier Liter Flüssigkeit. Die ewige Suche nach Toiletten, die aufzusuchen ich mich auch tatsächlich trauen würde, reduzierte meine Motivation aus dem Haus zu gehen zusätzlich.

Meine Muskeln zuckten.
Besonders in den Beinen, einer der Gründe, warum es abends so lange dauerte einzuschlafen: ich musste mich erst „auszappeln“.
Mein Gesicht zuckte. Nicht allzu bedrohlich, ich wurde aber doch immer wieder darauf hingewiesen.

Ich hatte Haarausfall. Brüchige Nägel. Trockene Augen. Verdauungsstörungen.

 

 

Hinweis

Im Mai 2018 wird das Buch   „Medikamenten-Reduktion und Genesung von Psychosen“  im  Psychiatrie-Verlag erscheinen.

Autoren sind Jann E. Schlimme, Thelke Scholz, Renate Seroka.