Autor:in: Sabine Weber

Selbststeuerung – Der selbstbestimmte Umgang mit Medikamenten

Sabine Weber

In dem Vortrag von Sabine Weber auf der Fortbildung “Der selbstbestimmte Umgang mit Medikamenten” ging es schwerpunktmäßig um ihre Lebensgeschichte und ihre eigenständige Haltung zu Behandlungen und Medikationen.

Mein Name ist Sabine Weber.
Heute teile ich mit Ihnen biographisches und ich spreche über meine ganz persönlichen  Bewältigungsstrategien. Durch meine Reflexion in der Traumatherapie ist mir bewusst, dass eine sehr frühkindliche Störung vorliegt. Es geht um:

Verwahrlosung
Vernachlässigung
Gewalt
Sexuelle Gewalt

Heute weiß ich, dass ich ganz früh Möglichkeiten entwickeln musste, um meine Lebenssituation als Kleinkind zu überleben.

Eine Frau aus meiner Nachbarschaft bestärkte mich sehr in meiner Entwicklung. Glücklicherweise hatte ich die innere Kraft auf meine Ressourcen zurückzugreifen. Eine wichtige Stärke war und ist meine physische Stimme. Sie war und ist eine wichtige Orientierung für mich.
Die Welt in der ich aufgewachsen bin, war in jeder Hinsicht verwahrlost. Dennoch habe ich es akzeptiert, in diesem Müll zu leben. Heute weiß ich das, weil ich damit noch viel zu tun habe. Und oft noch in meine Vergangenheit rutsche. Was sehr weh tut und nach wie vor starke Gefühle hervorbringt. Wie auch wieder Einbrüche, Dissoziationen und Veränderungen der Anteile, die sich gebildet haben, damit ich überleben konnte.

Meine Mutter war in einem Nachtlokal als Kassiererin beschäftigt. Hatte starkes Übergewicht, obwohl sie kaum etwas gegessen hatte. Sie verließ am frühen Abend die Bremer Mietwohnung, die wir zu dritt bewohnten. Meine ältere Schwester lebte nicht bei uns. Sie war in Bremerhaven bei einer älteren Dame untergekommen. Mein Bruder war 2 Jahre älter als ich. Meine Mutter war schwer medikamentenabhängig und alleinerziehend. Mein Erzeuger war nicht gegenwärtig. Die Grundversorgung für uns Kinder war sehr mangelhaft, was Essen und Trinken angeht. Auch Hygiene, Waschen und Zähne putzen kannte ich nicht. Im Vorschulkindergarten wurden mir häufig die Knoten aus meinen langen Haaren gebürstet, die ich morgens hatte, weil ich meinen Kopf nachts hin und her geschlagen hatte. Trotzdem habe ich das Ziepen an meinen Haaren als Zuwendung empfunden.

In der Grundschule war ich nicht regelmäßig. Es gab große Schulausfälle. Ich war apathisch durch die schweren regelmäßig zu Hause stattfindenden Traumata.
Durch einen Haupttäter, der regelmäßig in mein Zimmer im Untergeschoss der Mietwohnung kam. Ich hatte kaum Kontakt zu meiner Mutter. Mein Bruder war immer draußen, ist aus der Wohnung geflüchtet, ich blieb drinnen. Wegen meiner Apathie wurde mir damals als weiterer schulischer Werdegang seitens meiner Klassenlehrerin die Sonderschule vorgeschlagen. Es gab auch andere Stimmen, die etwas völlig anderes sagten. Ich war sehr verwirrt, was ich denn nun sein sollte, in den Augen der Erwachsenen.
Es folgte der Wechsel auf eine Realschule. Ein Lehrer beschrieb dort einmal, ich sei ein Fass ohne Boden, was mein Wissen angeht. Heute weiß ich, dass ich durch meinen sozialen Grundstress gar nicht fähig war, einen Schulkontext wahrzunehmen. Die Dissoziationen waren mein Normalzustand.

Als ich 16 Jahre alt war, ist meine Mutter an Krebs gestorben, nach langer Quälerei zu Hause.

Ich kam in ein Kinderheim. Dort habe ich eine schwere Esssucht entwickelt.
Missbräuchliche Erfahrungen waren auch dort. Ich habe meinen Realschulabschluss geschafft, mich als Reformwarenfachverkäuferin beworben. Zweimal bin ich nicht zur Abschlussprüfung gegangen. Also ohne Abschluss. Trotzdem habe ich einige Zeit in diesem Beruf weitergearbeitet, ganztags. Mit 19 Jahren war ich drei Monate stationär auf der Borderline Station in Bremen. Diagnose: schwere Borderline Störung. Danach machte ich eine Buchhändler-Lehre, weil man Bücher nicht essen kann. Prüfung bestanden, die Kunst der Vortäuschung hab ich immer weiter entwickelt und verfeinert. Eine Führungsposition habe ich eingenommen als Filialleitung in einer großen Buchkette. Die Geburt meines Sohnes Amin 1998, Hausgeburt. Nach einem halben Jahr habe ich  wieder gearbeitet als Quereinsteigerin bei Siemens im Marketing. Dann habe ich gewechselt zu Tchibo Marketing. Dann der Wechsel zu einer mittelständischen Werbeagentur, als Vertriebsassistentin gearbeitet. Dort kompletter Zusammenbruch mit der Folge der Frühberentung war mit 45 Jahren.

Somit komme ich nun zu meinen Bewältigungsstrategien

Meine zwei bis drei Klinikaufenthalte vom 19. Lebensjahr bis zum heutigen Zeitpunkt. Sie haben mir wenig gebracht. Zum Beispiel meinen Alltag zu bewältigen. Sie haben mir zwar aufgezeigt wie meine Geschichte ist, auch im theoretischen Kontext, was es bedeutet traumatisiert zu sein, aber wenig Unterstützung und Bewältigungsstrategien bekommen zu haben.

Meine Medikamentenversuche, ich war am Anfang noch nicht generell dagegen, sahen folgendermaßen aus: es fand zunehmende und weitere Verwirrung statt, ängstlich gemacht, eingeschränkt bis zur körperlichen Unbeweglichkeit.

Fazit also: keine hilfreiche Möglichkeit für mich.

Nach diesen Erfahrungen habe ich mich eindeutig und klar entschieden, meinen Weg ohne Medikamente weiter zu gehen. Auch wenn ich von Außen von Therapeuten und Ärzten damit konfrontiert wurde, das doch weiterhin auszuprobieren, habe ich weiterhin nein gesagt. Für die Ärzteschaft war ich dann  eine Noncompliance-Patientin. Man war nicht bereit, mich ohne Medikamente weiter zu behandeln.

Mir ist klar geworden, ich will ohne Medikamente leben.

Wie geht das?
Meine Hauptmotivation, alles zu bewältigen, war mein Sohn Amin, ich will ihn leben sehen. Habe immer an seinem Leben Teil gehabt, auch wenn ich nicht direkt mit ihm im Kontakt war. Seit einigen Jahren habe ich es geschafft, wieder einen engeren Kontakt aufzubauen. Heute ist es möglich, dass Amin mit 19 Jahren eigenständig als angehender Lehrer in einer eigenen Wohnung lebt. Die Beziehung zu meinem Sohn ist gut, ich habe regelmäßigen Kontakt zu meinem Sohn. Wir setzen uns auseinander, sind nicht immer gleicher Meinung und es gibt doch eine hohe Wertschätzung füreinander. Darüber bin ich sehr froh und auch darüber, dass mein Sohn nicht durch mich an seiner Entwicklung gescheitert ist. Nach wie vor ist der größte Anker, in meiner persönlichen Bewältigung mit der Vergangenheit, mein Sohn.

Das war bis hierhin mein biographischer Kontext

Wichtig war auch meine Mitarbeit einmal wöchentlich am Zeitungsprojekt Irrturm. Dann die Tagesstätte Villa Wisch, zur Einnahme meiner Mahlzeiten, auch hier eine aktive Teilnahme an dem Zeitungsprojekt Zwielicht. Zusätzlich Soziotherapie einmal die Woche über die Villa Wisch. Kreativität behalten und entwickeln, sehr hilfreich auch das Theaterprojekt von Sascha Heuer, der heute auch hier ist, um im Zwielicht über uns zu berichten.

Nächste große Säule: meine Verbundenheit zur Natur. Die ich mit einem Freund teile. Wenn es ihm oder mir – er ist auch Betroffener – ganz schlecht ging, sind wir barfuß  gelaufen, und zwar mehrere Stunden, zum Beispiel um einen großen See hier in Bremen. Wir haben beide oft ein sehr hohes Spannungslevel, auch Andreas sitzt heute hier. Nach unseren Spaziergängen haben wir dann oft gemeinsam gekocht. Er hat Gemüse geschnitten, ich habe dann weiter gemacht, jeder was eben ging, gemeinsam war auf jeden Fall besser als allein. Durch unsere und die gemeinsame Kreativität von Anderen, finden wir immer wieder neue Ideen, die uns helfen. Gemeinsames Wohnen, artgerecht, Garten vergrößern, Raum schaffen zum Leben mit unserem so sein. Fahrrad fahren.

Und nein!!!! Einen Fernseher habe ich seit 30 Jahren nicht. Da habe ich lieber Bücher geliehen an der Uni und heute beziehe ich meine Informationen aus den alternativen sozialen Netzwerken im Internet.

Und zuletzt habe ich eine Pflegestufe beantragt, die genehmigt wurde, dadurch habe ich eine Alltagsassistenz bekommen, die mich einmal die Woche für zwei Stunden begleitet. Und ich habe mehr Geld zur Verfügung, um die Anforderungen meines Alltags zu bewältigen.

Und ganz obenauf liegt zur Zeit bei mir mein Antrag einer  Klage in der Opferentschädigung beim Versorgungsamt Bremen. Vor drei Jahren habe ich einen Antrag gestellt, und ein Gutachter des Versorgungsamtes Bremen  hat ein Gutachten erstellt, das keinen Zusammenhang erkannt hat zwischen meiner Erkrankung und meinem sexuellen Missbrauch. Mit Zusage und Kostendeckung durch den Weißen Ring, habe ich gemeinsam mit meiner Anwältin Klage gegen das unsachliche Gutachten erhoben.

Mit folgendem Ausgang:

Im Namen des Volkes

  • Es wird festgestellt, dass die Klägerin eine dissoziative Identitätsstörung als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG in Folge sexuellen Missbrauches durch einen Mann namens Salvatore in den Jahren 1967 bis 1972 erlitten hat und der Grad der Schädigung 90 beträgt.
  • Die Beklagte (Versorgungsamt Bremen) hat 90% der Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Wäre ich willens und imstande gewesen, diesen Weg mit Medikamenten zu gehen?

 

Individuum als Kreis

In diesem Modell werden drei verschiedene Persönlichkeitskerne dargestellt.

Zeichnung 1 & 2 sind Modelle des Psychoanalytikers D. Winnicott. Zeichnung 3 wurde von der Zwielicht Autorin Sabine Weber selbst entwickelt, um ihren Persönlichkeitskern zu verbildlichen.

Zeichnung 1 zeigt eine Persönlichkeit mit einer neurotischen Störung. Man sieht, dass der Kern vollständig vorhanden ist und sich die Störungen nur im Inneren befinden. Dieses kann gut mit einer Psychotherapie behandelt werden.

Zeichnung 2 zeigt eine Borderline Persönlichkeit. Dort sind Teile vom Kern abgespalten. Der Kern ist noch intakt, aber stark beschädigt.

Zeichnung 3 zeigt eine Dissoziative Identitätsstörung. Dort ist der Persönlichkeitskern elementar beschädigt.