Autor:in: Irmgard Gummig

Eine ÜberLebensSituation

Ein ziemlich langes Leben liegt schon hinter uns. Dann kamen wir in die Situation, dass gar nichts mehr ging und wir fast nicht mehr überlebt haben. Denn darum ging es im Grunde genommen immer, ums Überleben. Die Situation war, das nicht mehr „funktionierte“, die Fähigkeiten, die wir entwickelt hatten, um zu funktionieren und zu überleben, waren nicht mehr abrufbar. Nur noch Angst und Feuer und Schluss im Kopf oder wo auch immer, im Bewusstsein.
Die Lebenssituation war, das wir arbeiten gegangen sind, uns nebenbei um unsere erwachsenen eigenen Kinder kümmerten, auch noch Ausbildung und Fortbildung gemacht haben, dann auch noch versucht haben, irgendwie die sich gerade ergebende Partnerschaft hinzukriegen.
Und dann … ging nichts mehr.
Zusammenbruch, nur noch Schmerz und Angst und Schluss machen mit allem, mit dem sogenannten Leben. Leben? War nicht bewusst. Es ging nicht mehr. Da war einer, den hatten wir uns als Helfer gesucht, schon seit längerem Therapie gemacht dort, um endlich sehen zu können was eigentlich mit mir los ist und warum das alles so ist und vor allen, was das eigentlich ist, was da sich Leben nennt.
Warum das alles so anders ist bei mir drinnen und wie wir, ich, damit leben kann, überleben. Der Mensch hat – soweit in Erinnerung – irgendwie die Notbremse gezogen und gesagt, diese Situation ist jetzt so lebensbedrohlich, Sie müssen jetzt bitte unbedingt eine andere Form von Hilfe bekommen, das ist zu gefährlich. Lebensgefährlich.

Also – Klinik -Notfall

Dort kämpfen wir dann ums Überleben. Erst ganz eingezwängt, Sicherheitsverwahrung sozusagen. Tagelang, wochenlang. Irgendwann kam das Bewusstsein wieder, und ich fing wieder ein ganz klein wenig an zu hören. Und zu sehen. Zuerst waren da die Klänge. Vögel, Rauschen, Rascheln, Schritte, Worte? Farbe,

Musik…

Da war mit auch ein Mensch, der war wohl zu Besuch bei mir in der Klinik, auch meine Kinder, nach längerem konnte überhaupt wahrnehmen, sehen, dass sie mich besuchten. Vorsichtig die verschlossene Tür öffnen lassen, rausgehen. „Nur in Begleitung !!!!!“
Aber es wurde „erlaubt“.
Das war gut. Da waren Blumen da draußen, und Farbe, weiß, Schnee ein wenig, da war auch dieses Rauschen, es kam von den Bäumen konnte ich mit einmal zuordnen. Dann schnell wieder rein.
Tabletten – nein – will ich nicht – doch – nehmen Sie die, die helfen.
Ich will das nicht !!!!
Machen Sie, doch, ist besser. Ich will das nicht !!!

Geruch – unangenehm, will rausgehen, allein. Doch, ich will das. Ich will es unbedingt.
Daran, an diesen Gedanken und an den Geruch draußen und an die Klänge habe ich mich erinnert, das wollte ich. „Sieht wohl so aus als ob Sie doch leben wollen…“

Was ist das? Musik … Ich gehe hören … Da gibt es auch Musik, in dem anderen Haus, das lese ich mit einem mal.
Was? Termin? Arzt? Tabletten? Nein!

!ICH WILL DA HINGEHEN! Musiktherapie nennt sich das. Sowas gibt es? OH, GUT.

Hingehen, wie ich das geschafft habe weiß ich nicht, wird nicht registriert, aber da angekommen. Angst, Menschen, Angst, Menschen, MANN, Angst, Musikinstrumente, und ein ganz vorsichtiges Lächeln, vorsichtig begrüßt werde ich, Angst wird weniger. Die Instrumente, ich berühre sie, Freude, vorsichtig, aber Freude.
Sie klingen, Tränen laufen und laufen und laufen, und ich merke es nicht, erst später, als mir von dem Lächeln ein Tuch gereicht wird. Höre keine Worte, sehe nur die Münder sich bewegen. Und lächeln, höre aber die Klänge, die durch die Instrumente erzeugt werden. Durch die anderen Menschen, die da sind.
Und es klingt, und die kleine Freude, die ist … die geht nicht weg, es klingt in mir.

Halt fest halt fest halt fest, halte es fest, das was gerade ist.

Irgendwie geht es dort weiter, dort in der Klinik. Aber das soll richtig sein? Das soll mir helfen ? Gut, wird mir bewusst, zum überleben hat es wohl erstmal geholfen. Aber wie weiter, auf jeden Fall nicht so. Aber da ist die Musik, die ich auf der Station hören kann, in dem sicheren Raum, und die andere, in dem anderen Haus, zu dem ich hingehe. Immer wieder, und immer diese Klänge und die Freude, die ist auch immer wieder da. Ich mache Musik, ich erzeuge Klänge, ich überlebe, ich fange wieder an, ich fühle tatsächlich, Freude.

Es ist möglich, das Überleben.