Im Jahr 2006 schrieb ich einen Lebenslauf, der sich auf Vertrauen zu den Menschen in meinem Leben bezog. Den habe ich nun aktuell überarbeitet. Nach den „Persönlichen Angaben“ schrieb ich wie in einem Bewerbungslebenslauf meine Kenntnisse, Fähigkeiten, Erfahrungen auf. Meine Positiva: interessiert an der mich umgebenden Welt und an Politik; bereit, Neues dazu zu lernen und meinen persönlichen Horizont zu erweitern; lebendig, unkaputtbar, vertrauenswürdig, optimistisch, humorvoll, zuverlässig, ehrlich, hartnäckig, sehr freundlich und genau, zeitlich voll flexibel, (zu?) autonom, oft ausgelastet, starke, zuverlässige, treue, langfristige Freundin. Weitere Merkmale: Negativa (nicht der Rede wert), Sprachen (Französisch, Englisch), Studium (M.A. Anglistik) und Schreiben (seit 2004 Reiseberichte, Wörter mit Ursprung und Bedeutungen, Persönlichkeiten unter dem Aspekt, wie sie mit ihren Behinderungen leben, Graphic Novel-Buchbesprechungen) sowie Vortragstätigkeiten (seit 2004 zu den Themenbereichen „Behinderte Frauen“, „Politische Aufklärung“, zu „Historischen Frauengestalten“ und Spaziergänge inkl. Lesungen). Das Schreiben und die Vorträge fördern mein für mich wichtiges intellektuelles Wachstum.
Wortstamm/ Bedeutung des Wortes „Vertrauen“: Vertrauen hat mit Liebe als Grundhaltung zu tun. Verschiedene Arten von Vertrauen sind: Blindes/absolutes Vertrauen; Punktuelles Vertrauen; Selbstvertrauen; Grundvertrauen (Ur-, Gott-). Die Herkunft laut Duden: trauen to trow = fest werden, true = treu, zuverlässig. Die Wurzel ist igd.* deru- = Eiche, Baum; stark, fest wie ein Baum. Liebe kommt von idg. * leubh- = lieb, gern haben, für gut heißen. Ableitungen sind loben, erlauben, glauben (für lieb halten, gutheißen). Zum Wort Vertrauensbrüche habe ich das Bild von in der Mitte durchgebrochenem Baumkuchen. Es geht leicht, Baisee, Baumkuchen und Vertrauen zu brechen. Was eine*r über die Vertrauensbrüche hinweg hilft: sich ruhig selbstfürsorglich zu verhalten.
Im Abschnitt „Grundlagen in der Kindheit“ erzähle ich über die Frauen, die in meiner Kindheit eine Rolle gespielt haben. Wegen der familiären Traditionslinie fange ich mit Omi M. an. Im Jahr 1913 geboren, wuchs sie als Gutsbesitzertochter auf. Unsere gemeinsame Geschichte begann mit meiner Geburt im Jahre 1962. Das preußische Pflichtgefühl und Ehrgefühl saß/ sitzt sehr tief, in der ganzen Familie. Durch ihre frühe Ausbildung zur Lehrerin und ihre Berufstätigkeit war sie relativ emanzipiert. Das Gefühl, etwas Besseres zu sein, bestimmte lebenslang ihr Verhalten. Auch ihre älteste Tochter, meine Mutter, legte großen Wert auf Pflichterfüllung – wir drei Töchter hielten uns daran. Sie hat Hartnäckigkeit und Bildungsdrang in mich gelegt. Ich zog nach Berlin. Seit 2010 wohne ich wieder in Bremen. Wir sehen uns dennoch selten. Meine Tante, als einzige in der Familie ohne akademische Ausbildung, ist Krankenschwester. Mit ihr kann ich über alles reden. Über mich hat sie schon immer (1980+) gesagt: „Die braucht noch etwas länger. Das dauert, aber die schafft das!“ Meine Schwestern sind sehr unterschiedlich. Die mittlere Schwester ist Freie Christin. Sie hat mir sehr geholfen, vom Sacherbe meines Vaters einiges, meinen Alltag nachhaltig verschönerndes zu erhalten. Die jüngste hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Es scheint, als würde ich versuchen mit meiner starken Betonung auf mein Wohlergehen – an den eigenen Bedürfnissen entlang – ein Gegengewicht zu meiner Familiengeschichte zu setzen.
Im Abschnitt „Prägende Vertrauens-Erfahrungen danach“ ist vor allem die Psychologin H. zu nennen, die die Jugendgruppe, dann die Frauengruppe, dann die Einzelgruppe und dann die Politische Psychologische Gruppe leitete. Sie unterstützte mich auf dem Weg zum Abitur, indem wir bei der Schulsenatorin persönlich einen Antrag auf ein drittes Jahr für die 10. Klasse stellten. Im Jahr 1989 brachte sie mich in einer Krise auf die Psychiatrische Krisenstation. Mit der Diagnose Schizophrenie wurde ich für fünf Monate in der Geschlossenen Abteilung festgesetzt. Zwei Lehrer-Freundinnen von der Psychologin sind noch heute bedeutsam für mich. Meine Französisch- und Geschichtslehrerin B. hat mich in der Jugend sehr gestützt. Wir sind Duzfreundinnen und telefonieren selten, aber freudig.
Im Abschnitt „Liebe/Sexualität“ stehen drei kostbare Männer. Da ich in der Kindheit den Umgang mit Männern weder über (Ersatz-)Vater noch über Brüder lernen konnte, war ich am Anfang völlig unbedarft. Über Jahre versuchte ich das in sturmfreier Bude mit diversen Männern aus Discos aufzuholen. Dass ich dazugelernt habe, sieht mensch daran, dass ich mit dem aktuellen Partner T. nun schon über 11 Jahre zusammen bin.
Im Abschnitt „Grenzfälle zwischen Liebe und Freundschaft“ ist heute nur noch einer der aufgeführten Menschen wichtig. Der Sozialarbeiter und überzeugte Pfadfinder A. ist ein sehr engagierter Mensch mit einem riesigen Fundus an Wissen im Kopf und in den vielen, vielen Büchern zuhause. Seit er zehn Jahre alt ist, sammelt er Briefmarken. Der Witwer und zweifache Opa ist im Spandauer Bündnis gegen Rechts aktiv. Wir sprechen häufig und besuchen uns.
Im letzten Abschnitt „Weitere wichtige Menschen/Freundinnen“ fällt auf, dass ich sehr viele, sehr lange Kontakte habe, die ich konsequent pflege. Es ist für mich bedeutsam, einen größeren Freundinnen-Kreis für den Fall einer nächsten Krise zu haben. Aus Angst davor investiere ich viel. Dass es bei mir eher mehr Freundinnen sind, hat auch mit meiner sehr großen Angst vor Einsamkeit zu tun. B. und Ch. kenne ich beide seit dem Jahr 1985. Beide sind Mütter und Lehrerinnen. Beide kenne ich aus der WG-Zeit in Berlin. Mit Ch. und Partner Be. als junge Frau zu leben war sehr eindrucksvoll für mich. Mensch hat sich ruhig im So-Sein akzeptiert. Das war als alltägliche Erfahrung wichtig für mich, die in der Kindheit „funktioniert“ hat. Der Künstler P., nach einem Sportunfall im Rolli sitzend, sprach bei einem Besuch nach meinem „Unfall“ den wichtigen Satz: „Das Leben geht weiter!“ Das hat mich aus der Resignation herausgeholt. Der Nennonkel U. berät mich in Arbeitsfragen und hat oft gute Tipps zu vielen Dingen. Meinen Freund M. kenne ich aus dem Schulprojekt des Berliner Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, mit dem wir vor Schulklassen erzählt haben, wie es sich mit psychiatrischer Diagnose lebt. Diese Liste könnte ich noch sehr lange fortsetzen. Auch die eine oder andere Arbeitsbeziehung ist von Vertrauen geprägt: die/der psychosoziale Begleiterin im Alltag etc.. …
Vielleicht mag dieser Text eine Anregung für die eine oder den anderen sein, sich ebenfalls einmal genauere Gedanken über die Rolle von Vertrauen und Freund*innen in ihrem/ seinem Leben zu machen.