Autor:in: Volker Althoff

Hilfe zur Selbsthilfe für Unternehmen

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Özden Ohlsen gründet „Fabrik der Gesundheit“ / Startup hilft Unternehmen zu einer gesünderen Firmenkultur

Ein negatives Arbeitsklima führt nicht nur zu einer unzufriedenen und unmotivierten Belegschaft. Damit einher gehen auch eine höhere Fluktuation, stressbedingte Fehlzeiten und ein schlechteres Betriebsklima. Dabei bleibt die mentale Gesundheit oft auf der Strecke und unbeachtet. Und genau hier setzt die von Özden Ohlsen gegründete „Fabrik der Gesundheit“ an. Sie will mit ihrem Startup diesen Kreislauf aufbrechen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das Ziel ist, Unternehmen präventiv zur Förderung der mentalen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu bewegen. „Uns ist wichtig, dass die Unternehmen verstehen, dass mental und physisch gesunde Mitarbeitende ihnen nicht nur Zeit und Geld sparen, sondern sich das Arbeitsklima verbessert, und die Menschen einfach zufriedener sind, und es somit die Mitarbeitenden nachhaltig bindet“, erklärt Ohlsen.

Die 38-Jährige hat türkische Wurzeln. Sie kam im Alter von elf Jahren nach Stuhr bei Bremen und zog mit 18 Jahren nach Bremen. Sie brach eine Ausbildung zur Krankenschwester kurz vor dem Examen ab, schloss dann aber eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin ab. Mit 21 Jahren erkrankte sie schwer und kam in eine psychiatrische Klinik. „Nach erfolgreicher Therapie wollte ich mein Leben neu strukturieren und es wieder selbst in die Hand nehmen“, berichtet Ohlsen. Der Oberarzt in der Visite fragte sie, was sie nach ihrer Entlassung machen möchte. Sie habe geantwortet, dass sie gerne studieren oder eine Ausbildung absolvieren würde. Doch der Oberarzt antwortete: „Mit Deiner Historie wirst Du nie eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren.“ Zudem wurde ihr geraten, in ein betreutes Wohnen einzuziehen, denn sie könne nicht eigenständig Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Wenn sie so zurückblickt, sagt sie heute voller Stolz: „17 Jahre und zwei Gründungen später habe ich es nicht nur allen anderen, sondern auch mir bewiesen, dass ich geschafft habe, was mir damals abgesprochen wurde.“ Zudem habe sie es geschafft, einen „gesunden beruflichen Weg zu beschreiten“. „Ich habe als psychiatrische Fachkraft auf der Akutstation im AMEOS-Klinikum (früher: Dr. Heines-Klinik) gearbeitet. Suizidalität, Burnout, Angst, Depression, Schizophrenie – Menschen in Krisen eine adäquate Beratung und Umgangsform zu ermöglichen, war mein tägliches Brot.“ Darüber hinaus hat Ohlsen sich in den Jahren nach der Erkrankung zur systemischen Beraterin, Kurzzeit- und Familientherapeutin ausbilden lassen. Sie hat im Auftrag des Amtes für soziale Dienste gearbeitet und war als Stadtteilentwicklerin für 120 Familien zuständig. „Auch hier waren Krisen und das Kindeswohl meine Aufgaben. Im System gesunde Ressourcen und Handlungswege finden und zu etablieren, damit die Kinder in ihren Familien überleben und gesunde Entwicklung erfahren, war mein Ziel.“

Den Anstoß zur Gründung der „Fabrik der Gesundheit“ gab die Coronapandemie. „Ich merkte, wie schlecht es mir dabei ging zu sehen, dass die Gesellschaft in einer kollektiven Lethargie erstarrt war“, erinnert sich Ohlsen. „Ich erstellte eine Excel-Tabelle mit verschiedenen Beratungsangeboten, die anderen dabei helfen sollte, genau die Unterstützung zu erhalten die sie brauchen.“ Dabei verfolgte sie einen systemisch-lösungsorientierten Ansatz, nach dem Salutogenese- Modell von Antonovsky. Die Leitfrage begleitete sie: „Was kann ich heute für mich tun, um mehr Selbstverantwortung und Selbstfürsorge in meinen Arbeitsalltag beziehungsweise Lebenszeit zu integrieren?“

Seit 2022 gibt es die „Fabrik der Gesundheit“ und betreut Unternehmen auf dem Weg in die Gesundheit. Interessierte Unternehmen melden sich und erhalten zunächst eine Bedarfsanalyse. „Neben der Anzahl der Kündigungen, dem Krankheitsstand und den generellen Problemen im Unternehmen fragen wir auch, was bereits jetzt schon als Tolles für die Mitarbeitenden geleistet wird“, so die Gründerin. Ihr Unternehmen berät schwerpunktmäßig Kliniken, Praxen, Ärzte und Fachpersonal. Darüber hinaus arbeitet sie mit Pflege- und pädagogischen Einrichtungen zusammen. Auch mit Schulen und Lehrkräften kooperiert sie. Kommt ein Auftrag zustande, wird die gesamte Belegschaft informiert und einbezogen. Es gibt eine kostenfreie Telefonberatung mit einer Expertin oder einem Experten, eine sogenannte „Heldenberatung“. „Diese wird aktuell in zwölf Sprachen angeboten. Unsere ´Heldenberatung´nehmen erfahrungsgemäß 40 Prozent der Mitarbeitenden in Anspruch, jede und jeder zwischen vier und sechs Stunden im Jahr.“ Die Fabrik der Gesundheit arbeitet außerdem mit der App BeCoach, die eine Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und Helden erleichtert und zum Beispiel die Erstellung eines Wochenplans ermöglicht.

Zurzeit gibt es 19 Helden, die Teil der „Fabrik der Gesundheit“ sind: Ärzte, Psychotherapeut:innen, systemische Berater:innen, Finanzberater:innen (für private Finanzprobleme), Ernährungsberater:innen, Kunsttherapeut:innen, Fitnesstrainer:innen und Raumaustatter:innen. Eine von ihnen ist die Ärztin Burcu Gürbüz. Sie ist im Alter von acht Jahren aus der Türkei nach Bremen gezogen, hat erst Zahn- und anschließend Humanmedizin studiert. Nach vier Jahren Berufserfahrung in einem Berliner Krankenhaus ist sie seit anderthalb Jahren in einer Hausarztpraxis in Berlin angestellt. Seit April 2023 ist sie zudem offizieller Teil der „Fabrik der Gesundheit“. „Mir ist es ein Anliegen, Patient:innen nicht erst zu ´verarzten´, wenn die Krankheit so groß ist, dass sie ins Krankenhaus müssen“, berichtet Gürbüz. Deshalb sei sie in die Hausarztpraxis gewechselt und engagiert sich in der „Fabrik der Gesundheit“. „Die Hauptsäule ist: Prävention statt Intervention.“ In ihrem Job behandelt sie größtenteils Menschen, die viel arbeiten. Hauptproblem ist die mentale Gesundheit. „Wenn wir hier früh genug gesunde Routinen einplanen, können wir bereits bestehende Symptome wie Schlafstörungen und Erschöpfungszustände mindern oder Krankheiten wie Burnout sogar abwehren.“ Sie empfiehlt ihren Patient:innen eine gesunde Schlafhygiene, regelmäßige Bewegung, eine gesunde Ernährung, eine ergonomische Arbeitshaltung, eine 4-Tage-Woche und aktive Pausen. „Vieles davon wissen wir, nur müssen wir Routinen entwickeln, die uns diese gesunden Säulen leichter in unseren Alltag einbauen lassen. Morgenroutinen wie kaltes duschen, Meditation oder Journaling steigern die eigene mentale Gesundheit.“

Der Begriff der „Gesundheit“ zieht sich in der Fabrik der Gesundheit durch wie ein roter Faden. Das bedeutet, es gibt nicht „gesund“ und „nicht-gesund“. 13 Kategorien zeigen auf, welche positiven und negativen Einflüsse auf den Menschen wirken. Dazu zählen als Beispiele Schlaf, Dankbarkeit, Arbeit, Familie, Freundschaft und Hobbys. Ist die Person mit allen Bereichen im Einklang, entspricht das einem Energiehaushalt von 100 Prozent. Konflikte und Herausforderungen in den verschiedenen Kategorien mindern die Energie. Dieses sogenannte E=10 Modell nach Antonovsky entspricht dem systemisch-lösungsfokussierten Beratungsansatz. Hierbei soll der Mensch raus aus der sogenannten Opferrolle und durch Selbstverantwortung und Selbstvertrauen das eigene Handeln und die eigene Gesundheit bestimmen.

Neben der „Fabrik der Gesundheit“ betreibt Ohlsen das Unternehmen „MagicKorn“. Dabei handelt es sich um Präventionsangebote und Taschen für ehemalige Patient:innen, Reha-Patient:innen und Menschen mit Therapieerfahrungen. „ ‚MagicKorn’ bietet individuelle Präventions- Rucksäcke, um Betroffene zu unterstützen und zu verhindern, dass sie als ‚Drehtürpatient:innen‘ immer wieder in psychiatrische Kliniken zurückkehren“ erklärt Özden Ohlsen. Diese Rucksäcke enthalten: Skills-Tools, Dankbarkeitsjournal, Atemübungen und Videos mit Alltagsentlastungstools.

Die Gründerin möchte mit ihrem Team erreichen, dass ihre Leistungen von den Krankenkassen unterstützt werden. So könnten sich noch mehr Unternehmen auf den Weg machen und sich präventiv um ihre Belegschaft und das Arbeitsklima kümmern.

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