Autor:in: Volker Althoff

Ich hatte Todesangst

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Das, was eine ehemalige Patientin auf der psychiatrischen geschlossenen Akutstation 5a des Klinikums Bremen-Ost (KBO) vor zwei Jahren erlebt hat, wühlt bis heute immer noch vieles bei ihr auf. Dennoch äußert sie sich dazu, weil sie darauf aufmerksam machen möchte, welche Zustände auf der Station 5a herrschen und dass etwas verändert werden muss. Die 40-jährige will ihren Namen nicht nennen. Sie leidet neben einer Depression noch an weiteren psychischen Erkrankungen und ist manchmal suizidal. Zudem ist sie Trauma-Patientin. Die Bremerin berichtet: „Eine Patientin hat mich bespuckt, bedroht und sexuell belästigt. Ich hatte Todesangst vor ihr. Das Pflegepersonal hatte keine Zeit und hat zu mir gesagt, dass die Mitpatientin auch krank sei.“ Das dürfe nicht passieren, sagt Frank Simon, Klinikpflegeleiter am Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des KBO. „Es soll schon gar nicht passieren, dass jemand Todesangst hat. Das wollen wir unter gar keinen Umständen,“, so Simon weiter. Auf der Station seien Patient:innen, die alle schwer krank sind: „Das ist so”, betont er. Auch Stefanie Beckröge, Sprecherin des Klinikums Bremen-Ost, bedauert zutiefst, dass die Patientin solche furchtbaren Erfahrungen im Haus machen musste: „Solche Vorkommnisse dürfen nicht sein, und wir nehmen diese Schilderungen sehr ernst.“

Und dennoch gehen die Vorwürfe der ehemaligen Patientin weiter: „Mir wurde nicht geholfen, ich wurde nicht gehört und fühlte mich im Stich gelassen.“ Auch Michael Radtke, Stationspflegeleiter, entschuldigt sich für diese Vorkommnisse, aber macht auch deutlich, dass die Kolleg:innen immer auf solche Situationen reagieren würden. „Es ist nicht so, dass nichts passiert. Wir versuchen – ohne, dass wir mit den Patient:innen über andere Patient:innen reden – zu erklären, warum so etwas passiert.“

„Aus meiner Sicht hätte die Mitpatientin eine 24-Stunden-Betreuung gebraucht“, erzählt die ehemalige Patientin im Interview. Sie hatte Angst, mit ihr in einem Raum zu sein. Das Zusammenleben auf der Station sei eine Aufgabe des gesamten Teams, auch des Pflegedienstes, erklärt Frank Simon: „Das gelingt mal gut, mal weniger gut.“ So versucht das Pflegepersonal in heiklen Situationen, dass Patient:innen zwischen denen es zu Konflikten kommt, sich aus dem Weg gehen. „Das erleben Betroffene nicht sofort als Hilfe. Sie würden sich gerne wünschen, die oder den anderen dafür zu bestrafen, was sie getan haben. Das tun wir aber nicht. Denn so eine Situation kann aus einem Krankheitsbewusstsein heraus passiert sein. Dann kommt die Enge auf der Station hinzu, wenn 20 oder 22 Patient:innen dort behandelt werden. So gibt es eben viel zu wenig Raum und auch keine Möglichkeit, dass sich Patient:innen aus dem Weg gehen können“, beschreibt Michael Radtke den Zustand. Er verweist zudem darauf, dass die Station 5a oft extrem hoch belegt war und ist. „Zudem liegt häufig eine hohe Durchmischung von schwerstkranken Menschen vor, die eine Atmosphäre verbreiten, in der viele miteinander nicht zurechtkommen.“ Doch betont Radtke noch einmal deutlich, dass es keine Situation gibt, in der die Kolleg:innen nicht auf so etwas reagieren. Niemand sitze den ganzen Tag nur im Dienstzimmer. „Die rennen von links nach rechts auf dem Flur. Aber natürlich sitzen sie auch im Dienstzimmer und führen Dokumentationen durch. In dieser Zeit wird von Patient:innen wahrgenommen, dass die Pfleger:innen nur im Dienstzimmer sitzen.“ Radtke verweist darüber hinaus auf die Problematik der Knappheit in der Pflege: „Das will auch keiner beschönigen.“ Diese Probleme erkennt auch die Sprecherin Stefanie Beckröge: „Die vom Gesundheitsamt angewiesene Schließung zweier Stationen aufgrund von Corona-Ausbrüchen führte zu hohen Belegungszahlen auf den übrigen Stationen und der natürlich auch uns treffende bundesweite Fachkräftemangel erschwert die Lage zusätzlich erheblich. Dennoch darf es zu solchen Vorfällen nicht kommen.“

Diese problematischen Zustände hat die ehemalige Patientin während ihrer Aufenthalte auf der Station 5a auch so erlebt: „Es gibt zu wenig Personal und zu wenig Platz. Die Station platzt aus allen Nähten.“ Hinzu käme die Flut an Arbeit, so die Patientin. „Es liegt nicht am Personal. Das Personal hat versucht, seine Arbeit zu machen.“ Sie kritisiert vor allem die Gegebenheiten, dass man belästigt, bedrängt und angegangen werde und es zu wenige Rückzugsmöglichkeiten gebe.

So arbeitet die Krankenhausleitung aktuell mit Hochdruck daran, die Lage für die Patient:innen und Mitarbeiter:innen zu verbessern. Einige Maßnahmen seien bereits in der Umsetzung, erklärt die Sprecherin Beckröge: „Dazu gehört die Einführung eines stationsübergreifend arbeitenden ‚Response-Teams‘.“ Das sind spezielle Mitarbeiter:innen, die beispielsweise gewalttätige Patient:innen betreuen. „Sie sollen begleitet werden und Angebote bekommen, bevor es dazu kommt, dass sie in ihrer hohen Anspannung andere Mitpatient:innen bedrängen oder bedrohen.“ erklärt Michael Radtke. Hierdurch sollen riskante Situationen reduziert werden. Das „Response-Team“ sei etwa seit zwei oder drei Monaten am Wachsen, erzählt Radtke. „Wir haben die Mitarbeiter:innen schon eingestellt. Jetzt müssen wir sie schulen. Denn sie müssen lernen, angespannte Situationen zu bewältigen. Das ist eine besondere Herausforderung, da braucht es viel Erfahrung, die die Kolleg:innen noch nicht haben. So sollen sie auch Maßnahmen erlernen, die deeskalierend wirken. Mit ihnen müssen wir in den nächsten Monaten noch viel arbeiten.“ Auch wenn dieses Team ein Baustein ist, der verhindern soll, dass Übergriffe zwischen Patient:innen vorkommen, arbeitet das Pflegepersonal an seiner Belastungsgrenze. Denn die Kolleg:innen hätten ein großes Interesse daran, an jedem Ort, wo auf der Station angespannte Situationen entstehen, zu sein und diese aufzulösen, sagt Radtke. Und das ist eine große Herausforderung, wenn nur zwei oder drei Pfleger:innen im Einsatz sind.

Jederzeit können Patient:innen sich in ihr Zimmer zurückziehen und abschließen, sodass sie sicher sind vor dem, was draußen passiert. Von außen können die Türen vom Pflegepersonal geöffnet werden, damit es jederzeit in die Räume kann. „Die Patient:innen sollen sich natürlich nicht einschließen, weil wir mit ihnen in Kontakt bleiben wollen“, sagt Radtke.

Frank Simon unterstreicht nochmal, dass der Vorwurf, sie seien untätig, seiner Meinung nach nicht stimme: „Es ist harte Arbeit, die wir dort leisten, die ist mühsam und anstrengend und führt auch dazu, dass Mitarbeiter:innen bedrängt, belästigt, manchmal auch verletzt werden. Das ist echt nicht so, dass wir sagen, wir machen uns mal einen ruhigen Tag und gucken, was passiert. Wenn wir eine Ballung von schwerkranken Menschen auf der Station haben, bemühen wir uns, die Situationen gut zu regeln“, betont Simon. Trotzdem komme es vor, dass Patient:innen aufgrund ihrer Erkrankung andere sexuell diskriminieren, belästigen und sich gewalttätig verhalten: „Das müssen wir dann regeln. Aber wir wollen auch nicht solche Menschen im Zimmer einsperren oder ans Bett fesseln und mal vier Wochen abwarten, bis der Spuk vorbei ist. Sie haben auch einen Anspruch auf Behandlung. Das ist zwar komplex und schwierig, aber das ist unsere Aufgabe.“

Eine der größten Schwierigkeiten, die Michael Radtke sieht, ist die hohe Belegung der Station mit Patient:innen und der geringe Personalstand an Pflegekräften. „Wenn drei bis fünf Pflegekolleg:innen in einem normalen Frühdienst arbeiten und im Spätdienst maximal drei Kolleg:innen, die dann auf 20 Patient:innen aufpassen sollen, dann kommt es häufig zu heiklen Situationen zwischen Patient:innen.“ So setzt Radtke auch auf Behandlungsangebote, die außerhalb der Klinik stattfinden. Hier verweist er auf BravO (Bremen ambulant vor Ort): „Wenn die BravO-Teams es auf den Akutstationen schaffen die Patient:innen, die Zuhause behandelt werden können, auch zu behandeln, dann können wir Belegungszahlen auf der Station von maximal 14 bis 16 (für den Bereich Bremen-Mitte) erreichen. Und dann haben wir eine überschaubare Größe und haben im Blick, was auf der Station alles passiert und können riskante Situationen verhindern.“ So sieht es auch die Sprecherin Stefanie Beckröge: „Wir sind überzeugt, dass die gesamte Umstrukturierung der Psychiatrie und die umfassenden Hometreatment-Angebote (“BravO”) zu einer Beruhigung und nachhaltigen Verbesserung der psychiatrischen Versorgung beitragen werden und auch schon beitragen.“ Deswegen sei es auch so wichtig, dass das System BravO schnell auf die Beine komme, sagt Michael Radtke. Auch die ehemalige Patientin der Station 5a begrüßt BravO sehr: „Das ist eine gute Sache. Dadurch hat das Pflegepersonal mehr Zeit, weil weniger Patient:innen auf der Station sind. Und es gibt weniger Gewalt”.

Ein Kritikpunkt, den die ehemalige Patientin ebenfalls anspricht, ist die Visite: „Der Oberarzt ist nur fünf Minuten ansprechbar, und die Ärzte müssen mehr aus ihrem Kabuff herauskommen und mit den Patient:innen sprechen.“ Dahingehend gibt es bereits einen Ansatz. „Speziell auf der Station 5a sind wir dabei, eine sogenannte Behandlungskonferenz zu installieren, das heißt, wir wollen wegkommen vom typischen Visitencharakter“, erklärt Michael Radtke. „In diesem Prozess wollen wir schauen, wer eigentlich diejenige oder derjenige ist, die oder der im Genesungsprozess der Patient:innen wichtig ist. Dazu wollen wir Menschen einladen, zum Beispiel Angehörige oder andere Behandler:innen vom BravO-Team.“ Außerdem soll eine Behandlungskonferenz dazu beitragen, dass sich die Ärzt:innen etwa 20 bis 30 Minuten pro Patient Zeit nehmen. „Das ist die Zeit, die man in der Regel braucht und dann geht es um ein Gespräch, wo es wirklich um die Frage geht, “was können wir für Sie tun? Was wünschen Sie sich, dass sie wieder aus der Klinik herauskommen und genesen können?”, sagt Radtke. Dadurch sollen die Patient:innen mehr in den Fokus gerückt werden und sagen, was sie an Hilfen brauchen. „So sollen die Patient:innen ein eigenes Netzwerk von Menschen knüpfen, die ihnen behilflich sein können”, erklärt Frank Simon.

Darüber hinaus kritisiert die ehemalige Patientin, dass die Station 5a sehr dreckig und zu klein sei. Das bejaht auch Frank Simon: „Natürlich ist die Station zu klein, wenn sie voll belegt ist. Wenn dann 25 Patient:innen den Dreck rein und raus schleppen, dann ist die Station dreckig. Wir haben zu wenig Reinigungsleistung. Morgens und nachmittags kommt Reinigungspersonal zum Saubermachen. Die Stationsbereiche werden etwas gründlicher gereinigt. Die Patientenzimmer werden einmal am Tag sauber gemacht. Und wenn dann Menschen aktiv die Räumlichkeiten verschmutzen, dann kommen die Reinigungskräfte nicht hinterher. Das ist schon mühsam.“ Es gebe Dinge, die verstehe man nicht, sagt Michael Radtke. „Dann kann man entweder resignieren oder dagegen an arbeiten. Die Kolleg:innen der 5a arbeiten dagegen an. Wir bringen die Dinge wieder in Ordnung”.
Freundlicher und heller solle die Station 5a werden, verspricht Frank Simon. Es ist nämlich ein Umbau geplant, der wahrscheinlich 2023 beginnt: „Den Privatbereich der Patient:innen sowie die Bereiche Therapie und Aufenthalt wollen wir öffnen und heller gestalten. Das Badezimmer, das wir nicht brauchen, wollen wir ganz herausnehmen und die Wand aufreißen. So wollen wir einen großen Begegnungsbereich schaffen, in dem ein Mitarbeiter:innenstützpunkt enthalten ist. Dann werden die Mitarbeiter:innen hoffentlich nicht so wahrgenommen, dass sie nur im Zimmer sitzen und Kaffee trinken. Es soll ein Bereich werden, in dem Patient:innen leichter rein und rausgehen können.“ Eine Schiebtür soll den Bereich zugänglich machen, der ein bisschen den Charakter einer Hotel-Lobby haben soll.

Wünschenswert sei auch eine Frauenstation, sagt die ehemalige Patientin der 5a. „Wir haben schon öfter darüber nachgedacht, ob es sinnvoll ist, eine Frauenstation einzurichten. Ich würde zu dem Ergebnis kommen, das löst ein oder zwei von zehn Problemen. Aber acht Probleme würden wir behalten und vielleicht fünf dazu kommen. Manchmal glaube ich, es gibt Momente, wo man sagt, man würde sich wünschen, man hätte so eine kleine Einheit, weil wir gerade eine kleine Gruppe von Frauen haben, denen es gut tun würde. Die sind übermorgen aber nicht mehr da. Worauf ich mehr setzen würde, dass wir die Station 5a so organisieren, dass Männer wie Frauen sich schützen können“, verspricht sich Frank Simon.

Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitssenatorin, betont, dass das Ressort im ständigen Austausch mit der Psychiatrie am Klinikum Bremen Ost stehe, um zu besprechen, wie Veränderungen erzielt werden könnten. „Jedoch leidet auch die Psychiatrie unter dem allgemein verbreiteten Personalmangel, der zwar vor allem, aber nicht nur, die Pflege betrifft“, so Fuhrmann.

Ein Gedanke zu „Ich hatte Todesangst

  1. Über den Erfahrungsbericht „Ich hatte Todesangst“ in Bremen-Ost Haus 5 habe ich mich gar nicht gewundert! Denn ich war Sommer 2020 in selben Haus Station 5 B, als Patientin. Dort erlebte ich dann folgendes: Ein Mann lieferte seine Frau so gegen 14:00 Uhr dort ab. Diese Frau war unter starken Tabletteneinfluss und war kaum ansprechbar. Sie stand im Türrahmen meiner Zimmertür und tippelte von einem Fuß auf dem Anderen. An diesem Tag war es warm. Ich sprach sie mehrmals an, ob sie sich denn lieber aufs Bett legen wolle, ohne Erfolg. Andere Patienten wurden ebenfalls schon aufmerksam. Meine Bitte ans Personal, dieser Frau doch irgendwie zu helfen blieb ebenfalls ohne Ergebnis, diese sausten mehr hektisch an Ihr vorbei. Ich war hilflos und ratlos, denn als Patientin selbst einzugreifen und sie zum Bett zu führen ist nicht erlaubt. Erst nach sage und schreibe ca. 7 Stunden, so gegen 21:00 Uhr kamen 2 Schwestern und führten die völlig verschwitzte Patientin zum Bett und verbanden die total Blutig gelaufenen Fußhacken. Ich bin noch immer geschockt, fassungslos und sprachlos über diese Art der Gleichgültigkeit.
    Da fragt man sich schon, geschieht dies nur aus Personalmangel, oder ist dies schon so eine Art Abstumpfungseffekt, den dieser Beruf so mit sich bringt?!

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