Autor:in: Benjamin Runge

Kalter Asphalt

Der Boden war kalt und nass. M. spürte das Laub an seinem Gesicht und fragte sich, wer ihn wohl finden würde. Wie lange dauerte es wohl, bis man so auskühlt, wann kommen die permanenten Schäden? Er versuchte noch mal, sich zu bewegen aber sein Körper versagte ihm den Dienst. Er war auf dem Weg zur Packstation gewesen, die waren ja mittlerweile überall. „Seine“ war in der Nähe der Tankstelle, wo um die Zeit alles dunkel war. In der Innenstadt war jetzt sicher noch was los, Trubel, Gedränge, Einkaufen. Aber hier war er allein, kein Mensch weit und breit. Sein Paket wartete immer noch in dem kalten Metallfach auf ihn. Eigentlich hatte er es morgen abholen wollen aber dann hatte er sich doch noch aufgerafft und war, den Abholcode im Handy, Richtung Tankstelle gestapft. An einer Kreuzung war es dann passiert: Ein abbiegender Autofahrer hatte ihn wohl übersehen und hätte ihn um ein Haar angefahren. M. hatte gerade noch zur Seite springen können, war dabei aber auf dem nassen Laub ausgerutscht und hatte nur noch gespürt, wie er mit dem Kopf hart auf eine Kante aufschlug. „So ist das also, Sterne zu sehen“ hatte er noch gedacht. Auch eine neue Erfahrung. Das Auto war längst weg, der Fahrer hatte nichts bemerkt. Woher auch, es hatte ja keinen Zusammenstoß gegeben und M. war auch dunkel gekleidet. Jetzt lag er hier regungslos auf dem nassen Asphalt.

Das Handy steckte in seiner Jackentasche, zum Greifen nah, immer am Mann. Es kam ihm so lächerlich vor, dass er es jetzt nicht erreichen konnte. Das konnte doch nicht sein, bei vollem Bewusstsein und doch so hilflos! Er sah sich um. Das ging immerhin noch. Er sah das Laub, den Asphalt, die Pfütze vor ihm und seinen ausgestreckten Arm, dessen Hand immer kälter wurde. Er sah jetzt auch den massiven Betonpfeiler, der ein paar Meter entfernt aufragte und die Hochstraße trug, die hier über die Kreuzung führte und auf der in regelmäßigen Abständen Autos über ihn hinweg schossen. Was wohl in dem Paket war? Er hatte sich online ein paar Sachen bestellt, als Weihnachtsgeschenke für sich selbst, so lächerlich ihm das auch vorkam. Aber es gab eben keinen mehr, der nach seinen Wünschen fragte. So hatte er sich selbst überraschen wollen, was auch funktioniert hatte. Schließlich wusste er nicht, welche Lieferung zuerst kam. Jetzt sollte er sich wohl lieber Gedanken darüber machen, wer ihn im Krankenhaus abliefern würde. Aber es war ihm sonderbar gleichgültig geworden. So einsam er in seinem Alltag war, so einsam war er eben auch jetzt.