Autor:in: Nadine Böhme

Kein Appetit und depressiv: Was hat das Eine mit dem anderen zu tun?

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Manchmal kann einen sogar das Lieblingsessen auf dem Teller anlächeln, doch man bekommt kaum einen Bissen herunter. Appetitlosigkeit tritt aus den unterschiedlichsten Gründen auf. Vermutlich hat jede:r schon einmal bei Stress, Liebeskummer o.Ä. gehört, gesagt, gedacht: die Situation schlage auf den Magen. Auch psychische Krankheiten können Auslöser dafür sein. Auf dem Online-Gesundheitsportal NetDoktor, das mit einem Zusammenschluss aus Fachärzt:innen und Journalist:innen arbeitet, beschreibt Zahnärztin Hanna Rutkowski die möglichen organischen, als auch seelischen Ursachen. Dieser Text thematisiert inwiefern eine Depression die Appetitlosigkeit beeinflussen kann. Zuletzt werden (auf Depressionen angepasste) Tipps aufgelistet, mit denen sich der Appetit steigern lässt.

Appetitlosigkeit kann tückisch sein

Zwischen Hunger und Appetit kann es gerne mal zu Verwechslungen kommen. Appetit ist ein emotionales Verlangen, also die reine Lust etwas zu essen – ggf. auch nur Spezifisches wie Schokolade oder Pizza. Hunger hingegen ist ein körperliches Verlangen nach Nahrung, um zu funktionieren. (Fun Fact: Sie entstehen auch auf verschiedene Weise im Gehirn.) Wenn der Appetit über einen längeren Zeitraum ausbleibt, kann das Hungergefühl mit der Appetitlosigkeit wechselwirken. Je weniger Nahrung man zu sich nimmt, desto seltener bekommt man Hunger. “Der Organismus gewöhnt sich an die geringere Energiezufuhr.”, lautet die Erklärung Rutkowskis dafür. Der Körper versucht quasi gar nicht erst, richtig hochzufahren und hat sich an den ständigen Stand by-Modus angepasst. So kann schnell ein Teufelskreis entstehen. Regelmäßig weniger zu essen kann einige Konsequenzen wie etwa Kraftlosigkeit, Nährstoffmangel, Kreislaufprobleme oder bleibende Müdigkeit mit sich tragen. Im Dauerzustand kann dies zu Gewichtsverlust bis zum Untergewicht führen und im Ernstfall sehr gefährlich für Betroffene werden.      
Platt gesagt lautet die Schlussfolgerung: weniger Essen bedeutet oft auch weniger Energie. Warum dann nicht einfach mehr essen? Ganz so leicht ist die Umsetzung leider nicht. Betrachtet man Appetitlosigkeit im Zusammenhang mit einer Depression, spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Um eine konkrete Vorstellung davon zu bekommen, wird zunächst der Alltag einer erkrankten Person beispielhaft skizziert.

Wo Appetitlosigkeit und Depression sich überschneiden (können)

Der Ablauf einer Depression kann von Person zu Person variieren.  Die menschliche Psyche ist komplex und vielschichtig, ebenso sind es psychische Erkrankungen. Ein Beispiel zeigt somit immer nur einen Ausschnitt der gesamten Thematik, ist aber nicht automatisch allgemeingültig. Jede Erfahrung mit der Krankheit ist valide, selbst wenn eine Beschreibung nicht mit dem eigenen Erleben übereinstimmt. Die genauen Diagnosekriterien, Unterteilung in Schweregrade und Subtypen können im ICD 10 nachgelesen werden.

Stundenlang können die Gedanken um ein und dieselbe Sache kreisen, ohne dass man am Ende “ins Tun kommt”. Denn die körpereigenen Ressourcen sind durch vielerlei Symptome wie Stimmungstief, negatives Selbstbild, Antriebslosigkeit, Interessensverlust, fehlende Konzentration, etc. begrenzt. Aufgrund der Krankheit steht einem also insgesamt weniger Kraft zur Verfügung. Hinzu kommt, dass für eine Tätigkeit generell auch mehr Energie aufgewendet werden muss. „Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten.“, heißt es im ICD 10, der aktuellen Klassifikationsliste für Krankheiten der WHO (Weltgesundheitsorganisation).

Betrachtet man diese Symptomatik nun aus dem Blickwinkel der Ernährung: Schon Alltagsaufgaben können schwer zu bewältigen sein. Das kann ebenso die Essenszubereitung oder die Besorgung von ausreichend Lebensmitteln im Haushalt betreffen. Der Kühlschrank ist vielleicht leer, rausgehen zu anstrengend. Die Option, eine Mahlzeit stattdessen einfach ausfallen zu lassen, mag daher verlockend erscheinen. Wenn eine:n alles überfordert, fühlt sich jede wegfallende Arbeit für den Augenblick natürlich erstmal gut an. Man profitiert ja davon: Auf den ersten Blick wird dadurch Kraft “gespart”, die sonst zum Einkaufen oder Kochen aufgebracht werden müsste. Ein klassischer Fall von Prokrastination. Bei genauerer Hinsicht trügt der Schein. Denn ein Grundbedürfnis (in diesem Fall Hunger) bewusst zu ignorieren, ist selbstdestruktives Verhalten. Man schlägt dem Körper die dringend benötigte Energiezufuhr ab, obwohl er sich bereits im Energiesparmodus befindet und von Reserven zehrt. Der Energiemangel kann die Antriebslosigkeit außerdem verstärken.    
Ein weiterer Grund, warum es wichtig ist bei Depressionen genug zu essen: Es können Nährstoffe fehlen, wenn wir diese nicht über Nahrung aufnehmen, die wiederum für wichtig sind für die Herstellung von Neurotransmittern. (Neurotransmitter sind die Botenstoffe im Gehirn, wie u.A. die sogenannten „Glückshormone“.)

Der fehlende Antrieb ist aber nicht das einzige Manko, wenn es um’s Essen geht: Der typische Interessensverlust einer Depression kann nämlich auch den Genuss am Essen oder die Freude an deren Zubereitung treffen. Vielleicht hat manch eine:r gern gekocht oder gebacken oder es gab ein Gericht, das immer ein Leuchten in den Augen hervorbringen konnte – doch seit dem Auftreten der Depression ist diese Leidenschaft verblasst oder gar schlagartig verpufft.

Appetitlosigkeit als Begleitsymptom

Unter den möglichen Begleiterscheinungen einer Depression fällt laut dem ICD 10 auch eine Veränderung des Essverhaltens – dies kann sich sowohl als Appetitlosigkeit zeigen, als auch im entgegengesetzten Extrem, in Form regelrechter „Heißhunger-Attacken“. Heißhunger ist, anders als der Name vermuten lässt, lediglich ein emotionaler Impuls und nicht mit dem Hungergefühl gleichzusetzen.   
Doch nicht nur die Krankheit selbst, sondern ebenso deren medikamentöse Behandlung kann Grund für das Auftreten sein. Eine gängige Behandlungsmaßnahme bei Depressionen ist der Einsatz von Psychopharmaka, mit oder ohne begleitende Psychotherapie. Antidepressiva sollen in erster Linie die Symptome einer Depression lindern, können ggf. aber auch zu unerwünschten Gewichtsveränderungen führen. Bei auffälligen Veränderungen ist deshalb wichtig, die behandelnde Person darüber zu informieren. Einige Medikamente weisen als Nebenwirkung eine gesteigerte Appetitanregung auf und können daher eine ungewollte Gewichtszunahme zur Folge haben. Ebenso gibt es auch das entgegensetzte Phänomen: Der Appetit wird gehemmt, im schlechtesten Fall kommt es zur Gewichtsreduktion.

Die Suche nach der richtigen Medikation und Dosierung kann dauern, da ein Wirkstoff bei Patient:innen unterschiedlich anschlagen kann. Nicht nur die Liste der möglichen Nebenwirkungen ist lang, manch ein Medikament zeigt sogar keine Wirkung, während eine andere Person vielleicht das Gleiche jahrelang problemlos einnehmen kann. Wurde endlich das Richtige gefunden, scheint eine auftretende Veränderung des Appetits ggf. zweitrangig.          
Die Krux hinter Appetitverlust durch Antidepressiva veranschaulicht dieses kleine Gedankenexperiment: Der Wille, Dinge anzugehen nützt nur wenig, wenn keine Kraft da ist, die Gedanken in die Tat umzusetzen (oder überhaupt erst morgens aufzustehen). Trotz der auftretenden Stimmungsaufhellung fällt es jedoch durch die Schwächung des Körpers schwer, den Kreislauf der Depression zu durchbrechen. Zwar ist ein Erfolg zu verzeichnen, nämlich eine Besserung des Stimmungstiefs, gleichzeitig entpuppt sich die Medikamenteneinnahme aufgrund der andauernden Appetitlosigkeit aber auch als Hindernis. In einem solchen Fall könnte man beinahe sagen, die Nebenwirkung hebt die Wirkung wieder auf. Plötzlich gilt es abzuwägen: Was ist das geringere Übel? Schließlich kann die Suche nach einem alternativen Medikament ebenso kräftezehrend sein und die Einnahme verleiht zu Beginn noch nicht die gewünschte Stabilität.   
Natürlich funktioniert das Spiel auch in die andere Richtung: Man nimmt plötzlich zu, der Selbstwert leidet darunter und auch hier gilt es abzuwägen. Solche Situationen sind nie einfach, denn sowohl die Entscheidung für, als auch gegen ein Medikament, zieht Nachteile mit sich. Umso wichtiger ist es, solche auftretenden Konflikte mit Fachpersonal zu besprechen!

Essen heißt auch Selbstfürsorge

Insgesamt wird deutlich, dass Appetitlosigkeit selbst innerhalb einer Depression durch viele unterschiedliche Faktoren verstärkt, abgeschwächt oder überhaupt verursacht werden kann. Es mag erst einmal ausweglos erscheinen, dafür eine Lösung zu finden. Immerhin sind es viele Probleme: Der Antriebsmangel, Appetitverlust und das Folgeproblem: weniger Energie. Sollte jemand sich selbst oder eine andere betroffene Person in den beschriebenen Situationen wiedergefunden haben, konnte der Text hoffentlich helfen die Komplexität des Ganzen besser nachzuvollziehen. Vor allem aber war das Ziel, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, warum es eben nicht immer einfach ist das Verhalten zu ändern – und dass jede:r stets Nachsicht mit sich selbst oder den Mitmenschen haben sollte.

Zu Allerletzt das Wichtigste: Es gibt auch gute Nachrichten. Den Appetit kann man beeinflussen und trainieren. Hier sind einige Tipps für die Appetitanregung bei Depression aus verschiedenen Quellen (siehe Ende des Artikels) zusammengetragen:

  • Gemeinsam essen oder kochen in angenehmer Gesellschaft z.B. Freunde, Familie
  • Zeit nehmen für Essen und Zubereitung
  • Lebensmittel nach Lust und Laune einkaufen (Perfektionismus ablegen: Lieber etwas Ungesundes oder dreimal hintereinander das Lieblingsessen, als am Ende gar nichts zu essen!)
  • Gut würzen (Good to know: Einige Gewürze, Kräuter, als auch Tees haben eine Appetit anregende Wirkung.)
  • Essen schön anrichten z.B. mit Kräutern garnieren
  • Kleinere Portionen über den Tag verteilt essen statt drei große Mahlzeiten
  • Erst nach den Mahlzeiten trinken (Damit der Magen nicht schon vorher gefüllt ist.)
  • Falls man das Essen häufig vergisst: Erinnerung im Smartphone einstellen
  • Bewegung an der frischen Luft
  • Stressabbau z.B. durch Entspannungstechniken
  • Wenn möglich: Nikotin und Alkohol vermeiden (Beides verringert den Appetit.)

Weitere Tipps aus eigenen Erfahrungswerten und Empfehlungen psychiatrischer Hilfspersonen sind außerdem:

  • Vorratslager anlegen, immer etwas zum Essen zuhause haben z.B. Gemüse in Dosen, Gläsern oder tiefgefroren, Fertiggerichte. (So kann innerhalb weniger Minuten gekocht werden, obwohl der Kühlschrank leer ist.)
  • Größere Mengen kochen und die Reste einfrieren
  • Banane zwischendurch als Energieschub (Wenig Aufwand, hohe Energiezufuhr)
  • Smoothies z.B. Aus TK Früchten, mit Haferflocken (Schnelle Zubereitung, macht durch die Haferflocken länger satt, enthält Vitamine. Manchen fällt das Trinken bei Appetitverlust leichter, als das Essen. Außerdem setzt das Sättigungsgefühl später ein und man nimmt häufig mehr zu sich.)
  • Snacks in Sichtweite stehen lassen (Sodass man immer mal wieder zugreift.)
  • Im Büro: Müsli, Obst- oder Müsliriegel etc. in der Schreibtischschublade deponieren

Quellen

https://www.deine-gesundheitswelt.de/balance-ernaehrung/appetitlosigkeit

https://www.icd-code.de/icd/code/F32.-.html

https://www.lifeline.de/symptome/appetitlosigkeit-id51308.html

https://www.netdoktor.de/symptome/appetitlosigkeit/

https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Eine-Depression-erkennen-und-behandeln,depression108.html

https://www.selfapy.com/magazin/essstoerungen/das-zusammenspiel-von-depressionen-und-essstoerungen#Kein_Appetit

https://selpers.com/depression/depression-und-gesunde-ernaehrung-veraenderter-appetit-bei-depression/

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