Wenn ich gerade unterwegs „auf weiter Flur bin“ und sich das Bild des laufenden Wasserhahnes einbrennt , dann ist es Zeit, auf die „Bremse zu treten“ und den Kopf durchzusortieren. Wie zwanghaft ist der Gedanke? – Und wie gut kann ich gegensteuern? – Erwäge ich deswegen Zuhause nachzuschauen? – Riskiere ich konkret eine erhöhte Wasserrechnung?
Der Kampf um eine Entscheidung kann ziemlich lange dauern, solange bleibt der “Fuß auf der Bremse“.
Wie gehe ich mit plötzlich auftretenden Zwangsgedanken um? Um bestehende Handlungen weiterzuführen – im Flow zu bleiben.
Alles sollte möglichst leicht erreichbar sein in meinem ansonsten schwierigen Alltag. Und das kann ich begründen: Beispielsweise muss ich jeden Tag neu entscheiden, wo ich übernachte, mein Auto fungiert als Kleiderkammer und Rückzugsort, fahrbereit ist es nur selten. Da ich häufig vor meiner Wohnung flüchte, vermisse ich unterwegs viele vertraute Dinge wie Gitarre, Laptop oder Sessel. Begründung für mein Ordnungssystem und dafür mein verrücktes, behindertes Leben zu organisieren.
Beim täglichen Mit-sich-ringen, wie man sich in diese zweifelhafte Welt aktiv integriert, sind Selbstbezichtigungen und Selbstberichtigungen an der Tagesordnung. Das kann für das Gegenüber unterhaltsam oder gar lustig sein, für mich selbst ist es ein ständiger Entscheidungskampf kurz vor dem Krampf. Man versucht zu lenken, aber das Leben birgt immer wieder neue Überraschungen.
Also – richtig entscheiden, um sich vor unangenehmen Überraschungen zu schützen.
Ich werde nie vergessen, wie ich einmal von meinem Vermieter angerufen wurde, er wäre soeben in meiner Wohnung gewesen, um das große Klappfenster an der Schräge zu schließen. Ich war gerade ausgeflogen, und genau da kam das große Unwetter. Und genau dann – lagen da wichtige Notenblätter und Dokumente – den Wassermassen schutzlos ausgeliefert. Da deren Rettung ohnehin zu spät kam, erschien mir das grenzüberschreitende Verhalten des Vermieters als überflüssig und peinlich und musste zwingend kaschiert werden. Ich begann also sofort damit, die Dokumentenblätter langsam und schonend zu trocknen, um mir selbst vorzugaukeln ich machte aus der Not eine Tugend.
Und eines Tages ist man dann ja auch froh, wenn man solch eine Geschichte zur Schadenfreude seines Gegenüber zum Besten geben kann. In diesem Moment fühlt es sich an, als habe der Schadenfall von damals einen Sinn erhalten. Während das Trocknen der Dokumente nur einer Schadensbegrenzung gleichkam, nähert man sich mittels Humor aus der Distanz endlich dem ersehnten erlösenden Gefühl. Jedoch Gefühle kommen und gehen und so muss die dauerhafte Schadensregulierung in meiner Seele, wohl eine dauerhafte Illusion bleiben. Ein üblicher Fall des Überraschtwerdens mit Schäden und Konsequenzen; Wie ist die Lösung kurzfristig? – Und langfristig?
Dauerhaft ausgeglichen werden nur materielle Schäden, denn da hat man ja als Erwachsener eine Versicherungsgesellschaft seines Vertrauens an seiner Seite. Sie wirbt nämlich genau damit, dass kleine Alltagsfehler mit großen Folgen im Leben auch ihren Platz haben dürfen. Also auch die gefürchteten plötzlich hereinbrechenden Wasserfluten. Materieller Dauerschutz durch Versicherungsvertrag.
Der in meinem Leben einst gewaltigste Wasserschaden, infolge geplatzten Schlauches, welcher unser Klavier (ein altes Familienerbstück) völlig ruinierte, während meine Frau schwanger war, den hat die Versicherung doppelt und dreifach ausgeglichen.
Ich habe mir seitdem vorsichtshalber keine eigene Waschmaschine mehr angeschafft und übrigens auch kein neues Klavier mehr (denn es gibt ja schließlich gute günstige Keyboards).
Das war mein bisher größter Haftpflichtschaden.
Ich versuche also solchen Alltagsunglücken klare Konsequenzen folgen zu lassen, um die ursprünglich als traumatisch erlebten Ereignisse in einen neuen konstruktiven Kontext einzubinden.
Diese Alltagsunglücke begleiten mich ohnehin mein Leben lang.
Die Erfahrung, traumatische Ereignisse zu integrieren, begleitet mich schon mein Leben lang
Seit diesem Überschwemmungs-Gau haben sich entsprechende Sicherheitskonzepte im Markt etabliert, Wasser-Stopp an der Waschmaschine, Anti-Blocker beim Auto und Kontrollen und Regulatoren im Elektrohaushalt. Und im Zuge der Digitalisierung lese ich benötigte Texte direkt vom Monitor ab.
Dies nun endlich zufriedenstellend organisieren zu können , hat mich 40 Jahre meines Lebens beschäftigt , nicht zuletzt als Sänger anspruchsvoller strophenreicher Texte. Gleichwohl hat der technische Fortschritt eine Menge neuer Gefahrenquellen hervorgebracht, durch erhöhte Komplexität und technischen Fortschritt, verändert sich die Sicherheitslage zum Vor- und zum Nachteil.
Dabei gilt es, die Abhängigkeit von diversen alltäglichen Hilfsgeräten so zu verteilen, dass ein evtl. Ausfall schnell kompensiert werden kann. Zusätzlich zum multifunktionalen Handy führe ich unterwegs die große Schreibmaschine, den Laptop, mit mir. Als Rechtfertigung für das Tragen eines schweren Rucksacks, dient das damit verbundene Training meiner Rückenmuskulatur. Abhängigkeit und Dienlichkeit werden so ins Gleichgewicht gebracht.
In meinem bisherigen sogenannten Arbeitsleben hatten sich solche noch humorvoll beschreibbaren Störfälle epidemieartig ausgebreitet (desto länger ich nämlich an einem speziellen Arbeitsort verweilte) und so habe ich mich nun schweren Herzens vom ersten Arbeitsmarkt verabschiedet, dafür aber meinen Humor behalten.
Wie lange wird er mir wohl erhalten bleiben?
Und wann wird’s demnächst wieder richtig ernst?
Wo entwickelt sich das nächste zwanghafte Verhalten oder Gedankenbilder, die mir jeglichen Spaß am Leben rauben?
Wie distanziere ich mich von meinen Partnern, die ständig darauf zu lauern scheinen, an meinem Verhalten etwas dickschädeliges, stures oder laut Fachjargon “Zwanghaftes” zu entdecken? Denn damit laufe ich ständig Gefahr in einem Bewertungskreislauf festzufahren, zwischen negativer Rückmeldung, Rechtfertigung und Selbstkontrolle. Besonders gefährlich ist es, zu lange alleine zuhause zu bleiben, ohne die Möglichkeit des Austausches.
Dann besteht die Gefahr mich in Zwangsgedanken zu verfangen, die ich dann wiederum nur mit gezwungenem Aktivismus bekämpfen kann. Zurzeit also nur kurze Zwischenstopps Zuhause, um das System komplett runter und auch ganz schnell wieder hochzufahren.
Eine komplette Lebensumgestaltung innerhalb der letzten zwei Jahre brachte unter anderem mehrmonatiges Zwangspuzzeln, mehrwöchiges Komaschlafen bis zur Verblödung und ein halbjähriges sich an den neuen Partner angekettet fühlen mit sich.
Seit Anbeginn dieser Krise komme ich viermal die Woche in die Villa Wisch, um mir des Öfteren am Nachbartisch bestätigen zu lassen, dass hier jeder Zweite daran glaubt, an einer Zwangsstörung zu leiden (die Diagnose ist wichtig, um Anerkennung zu bekommen, falls man hier nicht einer geregelten Arbeit nachzukommen in der Lage ist. Da muss man dann allerdings genauso schuften – mit den Händen – wie an jedem anderen Arbeitsort auch.
Da liegt der Verdacht auf Zwangssteuerung nahe. Mich selbst ertappe ich ständig, dass ich, die Sachen geraderücke, herumschiebe oder zu schnell entsorge.
Aber ich tue hier in der Villa auch alles, um das Übel an der Wurzel zu packen. Von innerem Kopfschütteln(bin ich überheblich?) über das Verhalten des Klientel wie auch des Personals über klare Verabredungen mit anderen Kursteilnehmern (damit ich weiß, worauf ich mich freuen kann) bis hin zu offenen Bekundungen, dass ich hier ja nicht in der Villa bin, um mich freiwillig Zwangsmechanismen zu unterwerfen, vor denen ich ja einstmals hierher geflüchtet bin.
Ich entscheide von Tag zu Tag neu, ob ich komme oder nicht und verwende mich für gelegentliches „Outing“ der Musikangebote (Chor, trommeln und Sessiongruppe) nur unter einer Bedingung: Dass dieses „Outing“ nur an dem Anspruch einer öffentlichen Probe gemessen werden darf.