Rezension von Jacky Lamut
Anders Bortne wurde am 4. Oktober 1973 geboren und ist Jurist und Redenschreiber für das norwegische Justizministerium. Zudem ist er Musiker, Comic-Zeichner und Schriftsteller. Bortnes mittlerweile Fünftes Buch ,,Schlaflos‘‘ handelt von eigenen Erfahrungen mit der Krankheit Insomnie, unter der er schon seit nunmehr 16 Jahren leidet. Viele Nächte schläft er überhaupt nicht, manchmal findet er für wenige Stunden Ruhe. An manchen Tagen ist er so müde, dass er seine Kinder nicht im Auto zur Kita bringen kann, aus Angst davor, am Steuer einzuschlafen. Er ist bemüht, sowohl einem intakten Familienleben, beruflichen Anforderungen und sozialen Verpflichtungen gerecht zu werden und kommt dabei immer wieder an seine Grenzen. Über viele Jahre hinweg versucht er sein Problem mit dem Befolgen guter Ratschläge, Schlaf-Yoga, Akupunktur, Medikamenten und zahlreichen Besuchen bei Ärzten und Therapeuten in den Griff zu bekommen – bislang erfolglos. Nichtsdestotrotz möchte er sich seinem Schicksal nicht ergeben und sucht mithilfe Anderer weiterhin nach einer Lösung.
Er geht mit dem Leser auf Augenhöhe und nutzt dafür einen authentischen und leicht verständlichen Schreibstil. Es werden jedoch auch immer wieder wissenschaftliche Ansätze aufgegriffen, die dem Buch die Emotionalität nehmen und ihm eine, in meinen Augen, dringend notwendige Sachlichkeit verleihen. Dennoch lässt er zwischen sich und dem Leser wenig Raum für Distanz, nimmt ihn in seine Gefühlswelt mit und lässt ihn an seinem Leidensdruck und seinem Leidensweg teilhaben, was je nach Konstitution des Lesers zu Schwierigkeiten für den selbigen führen kann. Auch das Ende des Buches lässt den Leser etwas ratlos zurück, da es überraschend inhaltsleere Floskeln und Ratschläge beinhaltet.
Dies war zumindest mein Eindruck, nachdem ich mich durch das Buch gekämpft hatte. Ich selbst habe keine ernstzunehmenden Schlafstörungen. Aber die Verzweiflung, Hilflosigkeit und Ohnmacht die Bortne in seinem Buch transportiert, lassen sich auch auf andere Krankheiten, ob physisch oder psychisch, übertragen. So erinnerte es mich immer wieder an meinen eigenen Weg, die Ängste, erneut in eine schlechte Phase abzurutschen und die Kontrolle zu verlieren. Der Kontrollverlust und die Unberechenbarkeit, mit der die Krankheit und die schlechten Phasen auftreten und die auch Bortne erlebt, waren und entsprechen nach wie vor meiner eigenen Realität. So scheint er in guten Phasen auch jegliche Hilfsmittel oder Hilfsmaßnahmen über Bord zu werfen, die er sich während der schlechten Phase wünscht oder vornimmt umzusetzen. Er scheint zu vergessen, dass es Momente, Tage, Wochen in seinem Leben gibt in denen er keine Kontrolle mehr hat. Von einem Tag auf den anderen. Bortne sehnt sich nach einem normalen Leben, nach der Normalität wie sie alle anderen in seinem Umfeld auch kennen. Das ist nicht viel verlangt. Aber ganz gleich wie sehr er sich bemüht, es entgleitet ihm. Vielleicht ist es genau diese Hilflosigkeit und Ohnmacht, die ihn dazu verleitet, dieselben Ratschläge zu erteilen, die ein jeder schon von Therapeuten, Ärzten, Pflegern usw. gehört hat. Die Art von Ratschlägen, für die man in den Momenten, in denen man sich einfach nur wünscht, dass es aufhört, eh nur ein müdes Lächeln oder ‚‚Hmmh‘‘ übrig hat – wenn überhaupt. Vermutlich bin ich am Ende des Buches deshalb auch so enttäuscht – es hinterlässt ein Gefühl der Verlorenheit.
Rezension von Dirk Wahlers
Der Norweger Anders Bortne ist ein erfolgreicher und kreativer Familienmensch. Doch leidet er seit Jahren unter Schlaflosigkeit. Sein Leiden nennt sich Insomnie. Es gibt keine erkennbare Ursache für seine Probleme. Er kann einfach viele Nächte nicht schlafen und wankt an den folgenden Tagen dann ziemlich funktionsuntüchtig durch die Welt. Im 2020 beim Mairisch Verlag auf Deutsch erschienenen Buch beschreibt er seine sehr persönliche Geschichte. Er versucht Therapie, Schlaf-Yoga, Akupunktur und Medikamente. Nichts scheint ihm zu helfen. Er nimmt Kontakt mit anderen Schlaflosen auf und entdeckt viele Jugendliche, die echte Probleme mit dem Schlafen haben. Viele dieser Beeinträchtigungen stehen seiner Meinung nach mit der Überreizung durch neue elektronische Medien in Verbindung.
Er streut in seinen Bericht verschiedene Fakten über Schlaf- und Schlaflosigkeit ein und versucht sich dem Thema auf natur- und auch kulturwissenschaftliche Weise anzunähern. Diese Fakten und Zitate wirken etwas ziellos ausgewählt, um nicht zu sagen, aus dem Internet zusammengekramt. (Die Literaturliste scheint diesen Verdacht zu bestätigen). In seinen biografischen Berichten findet er jedoch immer wieder starke Worte und Bilder für seinen Zustand: „Insomnie ist wie ein Sack, den ich schleppe und der gefüllt ist mit Symptomen. Und jeder neue Mensch dem ich begegne, zieht eine Diagnose aus dem Sack, die seinem Verständnis der Welt am besten entspricht.“ Er fühlt sich mit seinen Symptomen unverstanden, alle suchen eine Ursache und erteilen banale Ratschläge.
Das Heilungsversprechen im Untertitel löst Anders Bortne nicht ein. Er beschreibt die „Kognitive Verhaltenstherapie“ als die wirksamste Methode die Symptome der Insomnie zu lindern, sowohl wissenschaftlich belegt, als auch aus seiner eigenen Erfahrung. Diese Methode, die auf festen Routinen beruht und starke Struktur verlangt, erfordert viel Disziplin und greift in die Lebensqualität ein. Solche beständigen Abwägungen kennzeichnen eigentlich den Umgang mit den meisten chronischen Krankheiten. Wenn eine Krankheit chronisch ist, gibt es eben keine Heilung, sondern man muss damit leben.
Das ausnehmend schön ausgestattete Buch mit Lesebändchen und Leuchtfarbe-Halbmond auf dem Cover ist kein Ratgeber, sondern eine individuelle Abhandlung. Im Vorwort verspricht Bortne: „Wenn Sie dieses Buch dennoch lesen, dann lernen Sie etwas über Schlaf und Schlaflosigkeit, machen sich selbst einen Reim und bekommen eine Idee davon, wie es anderen schlaflosen Menschen ergeht. Und wenn Sie mich fragen: Was kann man mehr von einem Buch erwarten?“
Rezension von Leonard Schiff
Ich habe das Buch als Dritter gelesen und kannte bereits die beiden vorherigen Rezensionen. Insofern war ich dann eher überrascht, wie gut mir das Buch gefallen hat. Einerseits beschreibt es die persönliche Insomnie von Anders Bortne, und wie er es, mal mehr, mal weniger erfolgreich schafft sich damit durchs Leben zu kämpfen. Andererseits werden auch immer wieder Fakten und sich teilweise auch widersprechende Ideen zum Schlaf und seiner Bedeutung aufgegriffen und vertieft.
Er leidet seit 16, am Ende des Buchs sind es schon 17 Jahren an Insomnie, aber teilweise ist er sich im Buch gar nicht so sicher, ob es nicht schon viel früher anfing. Während am Anfang seine Schlafstörungen immer äußere Auslöser gehabt zu haben schienen, wird sein Schlaf mit der Zeit relativ unabhängig von der äußeren Realität generell sehr schlecht. Kleine Kinder im Haus, die manches Mal nachts aufwachen und ihn wecken, helfen dabei natürlich auch nicht.
Ich war überrascht, wie viele Menschen Schlafmittel nehmen; Bortne spricht von 10% der norwegischen Bevölkerung, und ich habe nachgeschaut: In Deutschland sind die Zahlen ähnlich. Er schreibt, wie mit solchen Mitteln bei ihm schnell ein Gewöhnungseffekt eintrat und sie am Ende seinen Schlaf insgesamt eher verschlechtert als verbessert haben. Auch die etwas gruseligen Wirkungen von Antipsychotika beschreibt er recht eindrücklich.
Am Ende des Buches scheint er zwar auf dem Weg der Besserung zu sein, aber angesichts dessen, wie schlecht sein Schlaf im Buch selbst beschrieben wird, heißt das noch nicht viel. Mehrmals nennt er zusammenhängenden Schlaf von fünf Stunden paradiesisch, was für mich eine eher kurze Schlafdauer wäre. Ich kenne zwar schlaflose Nächte und Schlafprobleme, aber eben nur bei eindeutigen äußeren Faktoren. Fielen diese weg, konnte ich auch wieder normal schlafen. Nicht so Bortne.
Im Buch wird immer wieder verdeutlicht, dass der Autor nicht weiß, ob nun sein nächtliches Grübeln für seine Insomnie verantwortlich ist oder daraus folgt; versucht ständig Gründe zu finden, warum er nun nicht schlafen kann, und findet auch tausende, aber ob diese dann tatsächlich für seine Schlaflosigkeit verantwortlich sind, ist dahingestellt.
Insgesamt finde ich das Buch durchaus empfehlenswert. Ich habe viel gelernt, über Insomnie und Schlafstörungen allgemein, und fand den Weg von Bortne interessant. Den Untertitel “Wie ich nach tausend Nächten endlich Ruhe fand” interpretiere ich weniger als ein “Jetzt kann er endlich acht Stunden am Stück schlafen” sondern eher als ein “Am Ende kann er dann doch damit leben”. Keine Aufgabe, keine Kapitulation vor der Insomnie, schließlich möchte er, wenn die Lebensumstände und seine Familie es zulassen, weiter Therapie machen und weiter daran arbeiten, aber durchaus eine Akzeptanz von nicht änderbaren Umständen.