Autor:in: Rosemarie Racis

Frauenraum EigenArt – Ein sicherer Ort für Frauen

Im Februar 2021 durfte unsere Redakteurin Rosemarie Racis mit Birgit Lenz, Teamfrau im Frauenraum EigenArt in Bremen und Mitbegründerin des Frauenraums, ein Interview führen. Sie erzählte ihr die Entstehungsgeschichte des Frauenraums und was Besucherinnen heute im Frauenraum erwartet.

Wie ist der Frauenraum EigenArt entstanden?

Als ambulante Fachpflegekraft für Psychiatrie bei der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste war Frau Birgit Lenz damals im Austausch mit dem Arbeitskreis Frauen und Psychiatrie (2002/2004). Diese Frauen arbeiteten im Rahmen der ambulanten psychiatrischen Pflege oder auch dem betreuten Wohnen im direkten Kontakt mit betroffenen Frauen. Sie haben im Austausch mit ihren Klientinnen immer wieder erfahren, dass viele dieser Frauen keine Tagesstruktur haben, die für jeden Menschen wichtig ist. Viele dieser Frauen wollten oder konnten aufgrund ihrer Erkrankung, eines traumatischen Lebenshintergrunds oder ihrer Persönlichkeitsstruktur gemischtgeschlechtliche Tagesstätten nicht besuchen. Sie sahen sich dort zu vielen Triggern ausgesetzt, die sich von Frau zu Frau unterscheiden: Zu viele Menschen in einem Raum, die Anwesenheit von Männern, die Lautstärke oder andere Umstände in der Umgebung hinderten sie an einem Besuch dieser Tagesstätten. So kam es, dass sie teilweise völlig isoliert in ihrer Wohnung saßen und keine Anlaufstelle für sich sahen. So verschlechterte sich oft ihr Gesundheitszustand, Krisen und Klinikaufenthalte konnten die Folgen sein.
Trigger bedeutet im Englischen Auslöser. Wenn ein traumatisierter Mensch also getriggert wird, wird etwas in ihm ausgelöst, das an erlebte Traumata erinnert. Das kann so weit führen, dass es der Person genauso schlecht geht, wie in der damals erlebten traumatischen Situation. Sie fühlt sich genauso hilflos und bedroht, als fände die traumaauslösende Situation genau in diesem Moment statt. Das sind belastende Situationen, die Betroffene, hier in diesem Fall Frauen, selbstverständlich zu vermeiden versuchen. Gerade traumatisierte Frauen benötigen eine ruhige, sichere Atmosphäre, um in einen Austausch mit ihren Mitmenschen kommen zu können. Die Teilnehmerinnen des Arbeitskreises haben diesen Bedarf durch die Zusammenarbeit mit ihren Klientinnen immer wieder festgestellt, und es begannen Überlegungen, wie diesen Frauen geholfen werden kann. Ihnen war klar, wie wichtig die Entstehung eines solchen Raumes für die Betroffenen ist.

Sie luden die damalige Leitung der Tagesstätten der Bremer Werkgemeinschaft zu einem Treffen ein. Im Gespräch entstand die Idee, die von ihnen geleiteten Tagesstätten an einem Nachmittag in der Woche nur für Frauen zu öffnen. Dieses Angebot wurde jedoch nicht so angenommen, wie erhofft. Es kamen lediglich die Frauen, die unabhängig von diesem Nachmittag die Tagesstätte bereits regelmäßig besuchten.
Das festigte den Gedanken noch mal, einen Raum entstehen zu lassen, der nur für Frauen geöffnet ist. Nicht nur an einem Nachmittag, sondern täglich. Einen Raum, wo ein gewisser Wohlfühlfaktor entstehen kann, sowie ein gewisses Maß an Sicherheit. Einen geschützten Zufluchtsort, eine harmonische Anlaufstelle für die Frauen, ein kleines bisschen wie ein zweites Zuhause. Es entstanden erste Ideen für ein konkretes Konzept.
Der Arbeitskreis hat dieses Anliegen bei den Trägern der ambulanten psychiatrischen Pflege immer mal wieder zur Sprache gebracht, doch konkrete Pläne für eine Umsetzung gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das war laut Birgit Lenz auch ein bisschen dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Von vielen Seiten hieß es: „Die Tagesstätten und psychiatrische Stationen im Krankenhaus sollen gemischtgeschlechtlich sein, denn so sei schließlich auch das wahre Leben. Die Frauen bräuchten keinen Schutzraum, weil sie in ihrem Alltag sowieso mit allem klarkommen müssten, auch mit dem Kontakt zu Männern. Die Frauen in Watte zu packen, sei kontraproduktiv“.
Diese Sichtweise hat sich dann in den kommenden Jahren gewandelt. Es gab erste Ansätze, die den unterschiedlichen Bedürfnissen von Mann und Frau mehr Beachtung schenkten.

Zu dieser Zeit bildete sich auf Landesebene eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Gender, bestehend aus Vertreter:innen vieler im psychosozialen Kontext tätigen Trägern. „Wo stehen die Männer? Wo stehen die Frauen? Wo sind die Unterschiede? Braucht es da noch etwas Spezielles?“ waren dort die vorrangingen Fragen.
Das war die Chance für die Frauen des Arbeitskreises Frauen und Psychiatrie, ihr über die Zeit hinweg entstandenes Konzept an diese Arbeitsgemeinschaft Gender heranzutragen. Den Beteiligten gefielen die Idee und das Konzept sehr gut und es begannen erste konkrete Schritte. 2010 startete der Arbeitskreis Frauen Psychiatrie dann eine Bedarfsumfrage in Kliniken, Tagesstätten, bei Therapeuten und in Behandlungszentren bezüglich einer Tagesstätte nur für Frauen.
Sie erhielten etwa 100 Antworten, in denen Frauen großes Interesse anmeldeten, so einen Raum nur für Frauen sofort gern zu nutzen, sobald sie die Möglichkeit dazu hätten. Diese Ergebnisse wurden an die Gender-Arbeitsgruppe weitergeleitet.

2014 stellte der Verein für Innere Mission in Kooperation mit der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste, dem Arbeiter Samariter Bund und der Initiative zur sozialen Rehabilitation einen Förderungsantrag für das Projekt Frauenraum bei der Aktion Mensch. Es wurde eine Förderung für drei Jahre in Höhe von 70 Prozent der Kosten bewilligt, die restlichen 30 Prozent haben die Träger anteilig beigesteuert.
Im November 2014 besuchten Frau Lenz und eine Kollegin im Rahmen einer Hospitation den Frauenraum in München, den es zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre gab. Ziel des Besuchs war zu schauen, was in einem Frauenraum wichtig ist, worauf es wirklich ankommt. Daraufhin entstand eine Arbeitsgruppe von interessierten Frauen. Sie feilten nochmal an dem Konzept und erstellten eine Projektskizze in Anlehnung an das Konzept der deutschlandweit einzigen Frauentagesstätte EigenSinn in München. Hier wurden auch mögliche Regeln für den Frauenraum ausgearbeitet, die für ein zukünftiges gutes und sicheres Miteinander sorgen sollten. Auch das Thema Transfrauen wurde hier bereits angeschnitten.
Im Juni 2015 wurde der Frauenraum dann endlich in den Räumlichkeiten der Feldstraße 52/54 eröffnet. Nach einem Jahr fand dann ein Tag der offenen Tür im festlichen Rahmen statt, zu dem auch Gäste aus der Politik geladen waren.
Nach dem Ablauf der dreijährigen Förderung durch die Aktion Mensch wurde die Finanzierung über einen einjährigen Fond der bremischen Gesundheitsbehörde gesichert.
Der Frauenraum wurde für viele Nutzerinnen sehr schnell zu einem sehr wichtigen Ort. Sie wünschten sich, dass der Frauenraum bestehen bleibt und setzten sich gemeinsam mit den Teamfrauen erfolgreich für eine Regelfinanzierung ein. Sie luden z.B. die damalige Gesundheitssenatorin, den Psychiatriereferenten und die Frauenbeauftragte ein, die sich dann direkt vor Ort im Kontakt mit den Nutzerinnen ein Bild von der Bedeutung des Rückzugsortes für die Besucherinnen machten. Sie setzten sich gemeinsam für die Regelfinanzierung ein. Ihr Einsatz zahlte sich aus.
Anfang 2019 wurde die Übernahme der Regelfinanzierung des Frauenraums durch das Land Bremen gefeiert.

Wie kam es zu dem Umzug in die größeren Räumlichkeiten? Konnten die Nutzerinnen hier mitwirken?

Die Notwendigkeit, größere Räumlichkeiten zu beziehen zeigte sich bereits in den Anfängen des Frauenraums. Zur Mittagszeit waren teilweise bis zu 20 Frauen vor Ort, so dass es in der Feldstraße keine Rückzugsmöglichkeiten mehr für die eine oder andere Frau gab. Rückzugs- und Ruhebedürfnissen konnte somit nicht genügend Sorge getragen werden. So begann die Suche nach größeren Räumlichkeiten recht bald und erstreckte sich etwa über einen Zeitraum von drei Jahren.
Als feststand, wo die Reise mit dem Frauenraum hingeht, entwickelten die Nutzerinnen ein Modell. Hier planten Sie gemeinsam, wie die Raumaufteilung aussehen sollte, wie er eingerichtet und genutzt werden sollte. So ist auch der Raum in der Dölvesstraße ein Gemeinschaftsprojekt der Nutzerinnen und Teamfrauen des Frauenraums.Im März 2020 ist der Frauenraum EigenArt in erheblich größere Räumlichkeiten umgezogen. In der Dölvesstraße 8 in Bremen Hastedt erstreckt er sich nun über 200 m² mit einer zusätzlichen, beachtlichen Dachterrasse. Im    Großen und Ganzen setzt er sich aus einem Aufenthaltsraum, einem großen Kreativraum, einer großzügigen Küche sowie zwei kleineren Räumen zum Zurückziehen oder zum Führen von Einzelgesprächen zusammen.

Wer kann den Frauenraum besuchen und nutzen?

Im Frauenraum EigenArt sind alle Frauen herzlich willkommen. Diagnosen sind nicht nötig, auch keine Verordnung vom Arzt. Kommen kann, wer mag und sich hier wohl fühlt; auch Frauen „ohne Belastungen“ und Transfrauen sind herzlich willkommen.

Was erwartet die Besucherinnen. Was gibt es für Möglichkeiten, sich einzubringen und zu beteiligen?

Kennenlernen

Wenn eine Frau zum ersten Mal den Frauenraum besucht, finden ein kurzes Kennenlernen und eine kleine Führung statt.
Anschließend kann man es sich z.B. mit einem Kaffee oder Tee gemütlich machen, erste Kontakte über Gespräche oder gemeinsame Gesellschaftsspiele knüpfen.

Kochen

Hier wird fast täglich gemeinsam gekocht und zu Mittag gegessen. Jede kann sich nach ihrem Wunsch einbringen. Lediglich der Dienstag ist ein kochfreier Tag, so dass es Raum für Begegnung in einem kochfreien Umfeld gibt. Keine Verarbeitung von Lebensmitteln, kein Kochen. Selbst mitgebrachte Lebensmittel, die nicht extra zubereitet werden müssen, dürfen selbstverständlich verzehrt werden.

Forum

Im regelmäßig stattfindenden Forum kann jede Besucherin Themen einbringen. Sie werden besprochen und bei Bedarf findet eine gemeinsame Abstimmung statt. Eine Frau übernimmt die Moderation, eine weitere schreibt ein Protokoll zum Forum.

Themenzeit

Es gibt eine Themenzeit für die im Vorfeld vorgeschlagenen und gesammelten Themen. Wenn sich für ein Thema entschieden wurde, findet die Gesprächsgruppe gemeinsam mit einer Genesungsbegleiterin statt.

Kreativ

Der Frauenraum bietet vielfältige Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken. In dem großen Kreativraum gibt es viele verschiedene Materialien zum Malen und Basteln. Man kann sich allein beschäftigen, es gibt aber auch ein regelmäßiges Kreativangebot, das gemeinsam mit einer Teamfrau stattfindet.

Gartengruppe

 

In der Gartengruppe gestalten und pflegen die Frauen die Bepflanzung der Dachterrasse.

Fotogruppe

Die Fotogruppe bietet interessierten Frauen die Möglichkeit, sich in vielfältiger Weise mit dem Thema Fotografie zu beschäftigen.

Bewegungsangebot

Das Bewegungsangebot variiert je nach Interesse von leichten Bewegungsübungen über Entspannung bis hin zu Tanz oder auch Boxen.

Entlastung

Das Team des Frauenraums bietet auch kurze Entlastungsgespräche von maximal 20 Minuten an.

Ausflüge

Gemeinsame Ausflüge finden relativ regelmäßig statt. Über Ausflugsziele wird gemeinsam abgestimmt.

Alles in allem ist der Frauenraum ein besonderer Ort der Begegnung für Frauen, der aus dem herausragenden Einsatz des Arbeitskreises Frauen und Psychiatrie, den Nutzerinnen sowie Beteiligten aus der Politik entstanden ist. Ein Ort der gemeinsamen Begegnung, an dem Frauen sich sicher und gut aufgehoben fühlen dürfen. Für Betroffene, die lange zurückgezogen lebten, kann hier ein erster Schritt hin zu Begegnungen geschehen. Sie können ihre Stärken und Fähigkeiten wiederentdecken, einsetzen und wieder mehr am Leben teilnehmen.

Angebote in Kooperation

Medikamentensprechstunde

Im Frauenraum findet eine frauenspezifische Medikamentenberatung statt, die von einer Psychiaterin der Ameos-Klinik sowie einer Genesungsbegleiterin angeboten wird.

Stabilisierungsgruppe

In Zusammenarbeit mit der Ameos-Klinik gibt es eine Stabilisierungsgruppe, die von zwei Therapeutinnen begleitet wird.

Infos

Interessierte finden weitere Infos auf der Homepage des Frauenraums Eigenart.
Hier finden Sie auch Informationen und aktuelle Hinweise zu den Regelungen im Umgang mit dem Coronavirus.
www.frauenraum-bremen.de