Autor:in: Irmgard Gummig, Christian Kaschkow

Tofazz – Idealismus statt Monotonie

Seit geraumer Zeit fiel in unseren Redaktionssitzungen immer wieder der Name „Tofazz“. Dieses Wort-Unikum machte neugierig. Tofu und Jazz, uns wurde schnell klar, dass wir als Zwielicht über diesen besonderen „Tante-Emma-Laden“ in der Hemelinger Glockenstraße, berichten wollten…

 

Warum in Hemelingen? Das war die erste Frage, die wir Inhaber Mathias Maaß stellten.

Ich habe vor drei Jahren Familie gegründet und suchte etwas Größeres zum Wohnen. Auf der Suche nach einem großzügigen und bezahlbaren Haus bin ich in der Hemelinger Glockenstraße gelandet. Das Haus ist schön, die Gegend ist ruhig, ich bin viel im Haus, also hab ich mich dafür entschieden. Als ich hier war, habe ich gemerkt, es ist schon lästig, immer 4 km in die Stadt zu fahren, zum Einkaufen oder ins Cafe zu gehen. Dann ist der Laden hier frei geworden und ich mußte mich entscheiden, du kannst entweder jammern oder selbst was machen. O.K. dann mach ich es halt selber.

Wie war Dein Konzept?

Natürlich gab es auch Leute, die mir vorgerechnet haben, dass es nicht geht, betriebswirtschaftlich. Die Regalfläche wäre zu klein, man bräuchte mehr Größe, die Lage in der Straße wäre zu ungünstig, man
bräuchte mehr Laufkundschaft. Diese ganzen marktwirtschaftlichen Grundsätze: möglichst günstig einkaufen und so teuer wie möglich verkaufen, dann kauf ich das billigste Zeug, was ich mit dem größtmöglichen Aufschlag verkaufe, auf ´nem Großparkplatz an der Bundesstraße. Will ich das? Nein! Wir machen es nicht, um Geld zu verdienen, sondern um Lebensqualität zu erhöhen, um Kontakt zu Menschen zu haben. Wenn durch betriebswirtschaftliche Zwänge alles andere wegfällt, wofür die Idee einmal gestanden hat, dann kann man das eigentlich nicht machen.

Das sind sehr idealistische Gedanken…

Es ist idealistisch. Man muss auch idealistisch sein, weil sonst machen alle einfach immer nur das Gleiche. Ich weiß nicht, wie lange ich das hier erhalten kann, das wird sich zeigen, wie es wächst. Ich
fange lieber klein an und wachse langsam und habe dafür eine stabile Grundlage als Kundschaft. …Jetzt sind wir im dritten Jahr… Klar, es gibt auch Leute, die sich das nicht leisten können, hier einzukaufen,
logisch. Mein Ziel ist es nicht, eine Konkurrenz zu Aldi sein, ganz im Gegenteil, ich will eine Alternative bieten. Manche kaufen sich hier nur ihr Brot, manche nur Saft, weil ihnen das andere zu teuer ist, aber das ist ihnen wichtig, da wollen sie eine gute Qualität haben…Viele kommen wieder… Es ist auch ein Vorurteil, dass Bio-Produkte teurer sind. Die Unterschiede sind gering. Wenn man das ins Verhältnis setzt zu der Qualität, die man kauft. Ich sag mal: Cola oder Cola, das eine ist mehr eine Körperverletzung und das andere ist Genuss. Skandal: Trinkwasser mit Sirup versetzt. Gerade für Kinder, die nicht verstehen können, durch Zucker verliert man seine Geschmackssensibilität. Das sind alles erwiesene Sachen. Man stellt es mit den billigsten Mitteln her und verkauft es teuer, für das, was da drin ist. Wenn man das berücksichtigt, ist das geschenkt, was hier so steht.

War das schon immer Dein Hintergrund, bewusster, gesünder zu leben? Ist daraus
die Idee Bioladen entstanden?

Die Idee für Bio ist älter als die Idee für den Laden. Ich war auch 15 Jahre Vegetarier und finde es richtig und wichtig, wenn man sich überlegt, in welcher Welt wir leben, was um uns herum passiert, Dinge, die uns beeinflussen, da ist die Nahrung ein grundsätzlicher Faktor. Was heute industriell hergestellt wird, hat mit Landwirtschaft nichts zu tun. Viele Leute wissen nicht, wie Tierhaltung aussieht. Bei den Hühnchen hat sich´s rumgesprochen, aber keiner will es so richtig wissen, wie schrecklich das ist, weil dann schmeckt´s nicht mehr. Es beeinflusst die Weltnahrungsituation, ob man Fleisch isst. Für die Fleischproduktion braucht es viel an Getreide, das man ja auch selber essen könnte. Aber ich komm natürlich schlecht an gegen Marketinginstrumente in Millionenhöhe, die versuchen, das alles auszuschalten, denn es wird viel emotional über Bilder verkauft.

 

Das Sortiment im „Tofazz“ besteht aus über eintausend Artikeln, die mindestens dem EUBio-Standard entsprechen. Ein Großteil des Sortiments besteht aus Waren mit Demeter- Qualitätssiegel. Beim Einkauf der Waren achtet Mathias Maaß darauf, was sicher, gut und schnell zu bekommen ist.
Jahrzehntelange eigene Ernährung mit Bioprodukten und Neuentdeckungen auf Biomessen erleichtern ihm die Zusammenstellung des Sortiments. Außerdem stellt er an sich selbst die Anforderung, herauszufinden, in welchem Verhältnis Abwechslung und Kontinuität im Angebot von den Kunden gewünscht ist.

 

Die eine Konstante ist die Bio-Ware, die den Laden füllt. Die andere Konstante ist
die Musik, die den ganzen Tag im Laden läuft, nämlich der Jazz!

Der Jazz war auch schon immer da, zumindest bei mir. Genauso wie es mein Bedürfnis ist, gute Lebensmittel zu essen, ist es auch ein Bedürfnis, gute Musik zu hören, die dem Geist gut tut. Jeder, der Jazz verstanden hat oder sich drauf einlässt, wird merken, dass es inspirierende Musik ist, weil sie sehr heterogen ist, und sich ständig ändert. Letztendlich beruht Jazz zum großen Teil darauf, dass man einfach immer alles ändert, also dass man interpretiert und seine eigene Persönlichkeit in die Musik einbringt und nicht eins zu eins nach Noten spielt wie im Orchester. Wenn jemand anders spielt, müssen die anderen drauf reagieren. Für einen Jazzmusiker bedeutet es immer, aufzugreifen, was spielen alle, wie ändert sich meine Rolle. Es ist ein Geben und Nehmen, wie hier im Laden.

Hast Du selbst einen musikalischen Hintergrund?

Ich hab es mal versucht, aber ich war nicht gut genug, dass irgendjemand mit mir spielen wollte. Ich habe mal in einer Band gesungen, und auch Gitarre gespielt, da war ich wirklich jung, so 16,18 und hatte Freunde, die sehr gute Musiker waren, die aber auch fünf oder zehn Jahre vorher angefangen und dementsprechend die Instrumente toll beherrscht haben, da bin ich nie auch nur ansatzweise mitgekommen, das habe ich schnell gemerkt… Durch meine Freunde hab ich dann aber gelernt, Jazz zu verstehen. Ich spüre den Spaß daran, und habe Spaß, das zu hören, mich reinzuhören… Was wir nicht kennen, ist eine Herausforderung. Viele schätzen, dass hier einfach andere Musik läuft… hier laufen Klassiker, Standards, die sowieso jeder kennt, aber auch schrille neue Sachen, an die man sich erst gewöhnen muss. Mir gefällt das. Warum soll man das nicht machen, bloß weil viele sich nicht trauen, nur weil sie denken, sie würden weniger Umsatz machen. Das ist ja auch das, was am meisten Sinn macht, denn dann ist es auch am glaubhaftesten.
Ich muss mir ja nicht was einfallen lassen und denken, das und das ist gerade hip, dann mach ich das mal, das merkt der Kunde ja auch. Ich finde, man sollte grundsätzlich im Leben immer das machen, wovon man überzeugt ist. Man kann ja nicht in die Köpfe der anderen gucken. In seinen eigenen kann man schauen, aber man muss auch den Mut haben, es zu machen…

Eigene Interessen als Job zu machen ist doch schon ein Privileg?

Das ist ja auch das, was am meisten Sinn macht, denn dann ist es auch am glaubhaftesten. Ich muss mir ja nicht was einfallen lassen und denken das und das ist gerade hip, dann mach ich das mal, das merkt der Kunde ja auch. Ich finde, man sollte grundsätzlich im Leben immer das machen, wovon man überzeugt ist. Man kann ja nicht in die Köpfe der anderen gucken. In seinen eigenen kann man schauen, aber man muss auch den Mut haben, es zu machen…

 

Während des Gesprächs mit Mathias Maaß bestätigt sich unser Eindruck, ein Idealist sitzt vor uns, der das tut, was er für richtig hält. Eigentlich variiert hier alles. Angebote und Öffnungszeiten werden überdacht, was funktioniert, was funktioniert nicht. Das Tofazz, sehen wir, ist ein interessanter Laden, in und um den es Vieles zu entdecken gibt. Nicht nur die Bioprodukte sind eine Alternative zu anderem, was im Stadtteil Hemelingen angeboten wird, sondern das Gesamtkonzept ist etwas Besonderes. Das Probieren und Variieren zeigt sich auch durch seine Zusammenarbeit mit dem Bürgerhaus Hemelingen über die Grenzen des Ladens hinaus im Rahmen der diesjährigen Gestaltung der Jazzahead, andersherum nimmt er Ideen von außen auf, indem er Künstlern die Gelegenheit gibt, in seinem Laden ihre Kunstwerke auszustellen.
Das bereichert das Gesamtbild, und schafft neue Sichtweisen, Kontakte. Einmal jährlich wird an die Künstler der Tofazz-Kunstpreis verliehen. Auch die Nachbarschaft mit einzubeziehen war von Anfang an eine seiner Hauptideen, also bietet er mittlerweile einen Tofazz-Stammtisch an, eine Gelegenheit zum Zusammensitzen, zum Austausch. Das kann man eigentlich irgendwie immer in diesem Laden, egal zu welcher Zeit man hier reinkommt, gemütliche Sitzgelegenheiten, die angenehme Atmosphäre mit Musik und Angebote wie Samstags-Frühstück, kleine Snacks, hergestellt aus eigenem Sortiment, nette, zugewandte Leute, das alles macht für uns einen sehr einladenden Eindruck. Gitarre und Keyboard stehen bereit, falls jemand selbst in die Tasten oder Saiten hauen will. Wir denken, dieses alternative Angebot könnte ein Beginn sein, alte Strukturen aufzubrechen. Es ändert sich gerade Vieles in Hemelingen, und Neues auszuprobieren ist unserer Meinung nach immer eine Bereicherung.