Als Verschwörungstheorie bezeichnet man das hypothetische Zusammenwirken bestimmter Personen, die konspirativ – also im Geheimen – eine Vorgehensweise aushandeln.
Diese soll ihnen Vorteile verschaffen, während eventuell dadurch betroffene Personen durch bewusstes Schweigen oder die Verbreitung von Unwahrheiten im Unklaren über ihr Wirken gelassen werden. Von einer „Theorie“ zu sprechen ist hier im wissenschaftlichen Sinne nicht ganz korrekt, denn auch die Schwerkraft ist eigentlich eine Theorie. Streng genommen müsste man eigentlich von Verschwörungshypothesen sprechen. Man könnte auch von „Verschwörungsfantasien“ oder „Verschwörungsmythen“ reden. Allerdings ist die Bezeichnung inzwischen so präsent im täglichen Sprachgebrauch, dass ihre Verwendung notwendig wird, um den Leser wissen zu lassen, was gemeint ist. So weit, so gut. Allerdings, ergibt sich dadurch nicht ein weites Feld? Die Eltern, die ihren Kindern vom Weihnachtsmann erzählen – auch eine Verschwörungstheorie? Um zu verstehen, was Verschwörungstheorien wirklich ausmacht, muss man sich zunächst mit ihrer Geschichte beschäftigen.
Verschwörungen sind sicherlich so alt, wie die Menschheit selbst. Die Geschichte ist voll von Beispielen für das bewußte Untergraben von Informationen oder das Verbreiten von Unwahrheiten zur Sicherung eines Machtanspruchs. Wann immer ein solches Geschehen nur vermutet wird, aber nicht eindeutig mit Beweisen untermauert werden kann, müsste man eigentlich von einer Verschwörungstheorie sprechen. Wir wollen uns allerdings weniger mit den großen Verschwörungen der Zeitgeschichte beschäftigen, sondern vielmehr mit den heute gängigen, modernen Verschwörungstheorien, wie sie im Internet Verbreitung finden und deren Anhängerschaft täglich wächst.
Nesta Webster (1876-1960) Wenn man sich mit vielen solcher Verschwörungstheorien beschäftigt und sie zu ihrer Quelle zurückverfolgt, stößt man immer wieder auf die Werke der Engländerin Nesta Webster. In ihnen zeichnet sie das Bild einer weltumfassenden, antichristlichen Verschwörung, die seit Beginn der Zeitrechnung die Welt unterwandert habe. Beteiligt an dieser Weltverschwörung, seien nach Webster, diverse Geheimbünde (wie z.B. die Freimaurer), die aber allesamt unterwandert worden seien durch den mysteriösen Orden der „Illuminaten“, welcher wiederum von den Juden gesteuert würde. Dabei greift sie die Ansichten des Jakobinermönchs Augustin Barruel (1741-1820) auf, der den 1785 verbotenen, deutschen Orden der Illuminaten als Verursacher hinter der Französischen Revolution vermutete. Webster war eine offen bekennende Faschistin und Antisemitin. Sie prägte den Begriff der „Jüdischen Weltverschwörung“, der später wichtiger Bestandteil der NS-Propaganda im Dritten Reich wurde. Die von ihr aufgestellten Thesen gelten unter vielen Verschwörungstheoretikern als anerkannte Fakten. Sie erschuf allerdings nicht nur ihre eigene Verschwörungstheorie, sie legte damit auch den Grundstein für die allgemeine Denkweise und Struktur von Verschwörungstheorien. Viele bekannte Autoren von verschwörungstheoretischen Schriften beziehen sich – direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst – auf die Werke Websters. Nicht zuletzt indem sie gegenseitig voneinander abschreiben. Zum Beispiel der deutsche Autor Jan Udo Holey, welcher unter dem Pseudonym Jan van Helsing das Weltbild Websters konsequent weiter spinnt und einem breiten Publikum zugänglich macht, zusätzlich angereichert mit eigenem „Geheimwissen“ über UFOs, Außerirdische und Esoterik. Heute gibt es ein ganzes Netzwerk solcher Autoren. Deshalb kann man Nesta Webster als die prägende Figur einer Art „Verschwörungsbewegung“ bezeichnen.
Um die typischen Charakteristika von Verschwörungstheorien zu verstehen, lohnt es sich, einige der populärsten Fälle genauer zu beleuchten. Fangen wir mal mit einem eher harmlosen Beispiel an, nämlich der Mondverschwörung.
Am 21. Juli 1969 landete zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine bemannte Raumfähre auf dem Mond. Wirklich? Nein, so glauben jedenfalls Verschwörungstheoretiker. Dies ist deshalb ein schönes Beispiel, weil es ein typisches Merkmal von Verschwörungstheorien enthält: Eine allgemein anerkannte Tatsache wird plötzlich einfach in Frage gestellt. „So ein Unsinn!“, werden sie jetzt vielleicht sagen. „Es gibt doch Aufnahmen davon.“. Nun, woher wissen sie eigentlich, dass diese Aufnahmen wirklich auf dem Mond gemacht wurden? Denken sie doch mal darüber nach — wäre es nicht ohne weiteres machbar gewesen, diese Aufnahmen in einem Filmstudio entstehen zu lassen? Wäre das nicht sogar viel einfacher und vor allem kostengünstiger gewesen? Was ist denn darauf schon groß zu sehen? Ein Teil einer Raumfähre (könnte auch ohne weiteres eine Attrappe sein), ein paar Typen in Raumanzügen, die in Zeitlupe herumhüpfen, ein bisschen grauer Felsboden und ein schwarzer Himmel. Apropos, ist ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass an jenem Himmel keine Sterne zu sehen sind? Ist doch merkwürdig, so im Weltall. Und die amerikanische Flagge, die dort aufgestellt wird – sie scheint kurz im Wind zu wehen. Wind? Auf dem Mond? Ohne Schwerkraft? Außerdem wirft der Mast drei Schatten. Wie von Scheinwerfern ausgeleuchtet. Eben, wie in einem Filmstudio. Als wäre es nicht schon unglaublich genug, dass man damals technisch überhaupt in der Lage gewesen wäre, eine bemannte Mondlandung durchzuführen. Die Mondverschwörung ist eine relativ leicht zu entkräftende Verschwörungstheorie, die mehrfach in allen Einzelheiten plausibel widerlegt wurde. Trotzdem können einem die Zweifel berechtigt erscheinen, schaut man sich die „Beweise“ zunächst oberflächlich an. Man denkt sich vielleicht: „Verdammt, das ist mir nie aufgefallen!“
Nun ja, dass keine Sterne im Weltall zu sehen sind, liegt daran, dass die Aufnahmen bei Mond-Tageszeit gemacht wurden; wenn das Sonnenlicht die Umgebung hell erleuchtet. Der Blendenverschluss der Kamera muss schnell wieder zugehen, um ein Überbelichten der Bilder zu verhindern. Die kurze Belichtungszeit reicht allerdings nicht, damit die Sterne auch auf dem Film landen. Die sind ohnehin schwer zu sehen, aus dem gleichen Grund, warum man in einer beleuchteten Stadt die Sterne weniger deutlich sieht, als auf dem nackten Land, wo es dunkel ist. Das strahlende Umgebungslicht erklärt auch den mehrfachen Schattenwurf. Es gibt nämlich tatsächlich mehrere Lichtquellen – Die Sonne selbst, Sonnenlicht, welches von der Erde reflektiert wird, Sonnenlicht, das von den Astronauten und der Mondfähre reflektiert wird.
Die Flagge „weht“, weil sich Erschütterungen (wie sie beim Aufstellen des Mastes entstehen) auch bei geringer Schwerkraft auf einen Körper, wie den einer Fahne auswirken. Außerdem waren die Menschen nun bereits mehrmals auf dem Mond – sechsmal, um genau zu sein. Eine solche Mission ist also grundsätzlich durchführbar. Inzwischen hat man dort Spiegel angebracht, die einen von der Erde abgegebenen Laserstrahl reflektieren. Das zurückgeworfene Licht und den zeitlichen Intervall kann man messen, ein ziemlich eindeutiger Beweis dafür, dass der Mensch auf dem Mond gewesen ist. Hochauflösende Fotos von modernen Weltraumteleskopen zeigen mittlerweile die Flaggen und sogar die Fußabdrücke der Astronauten. Und trotzdem gibt es immer noch viele Anhänger dieser Theorie, die sich immer neue Gegenbeweise zu den Gegenbeweisen ausdenken. Manche glauben sogar, die Menschen waren bis heute noch nie auf dem Mond. Es ist äußerst typisch für Verschwörungstheoretiker, an ihrer Version bis zuletzt festzuhalten, und jeden Gegenbeweis neu in Zweifel zu ziehen. Es liegt einfach in der menschlichen Natur, ungern Fehler einzugestehen und bestehende Glaubenskonstrukte fallenzulassen.
Das obige Beispiel soll aufzeigen, dass auch die absurdeste Verschwörungstheorie viel weniger absurd erscheint, wenn man sich erst einmal auf sie einlässt. Und wie leicht man als vollkommen selbstverständlich angenommene Tatsachen durch geschickte Fragestellungen in Zweifel ziehen kann. Wir nehmen Vieles von dem, was wir glauben zu wissen, einfach als gegeben hin, ohne es jemals wirklich hinterfragt zu haben. Vieles hat man uns einfach so beigebracht. Aber dort, wo wir blind vertrauen, wo wir unsicher sind, wo wir nicht mehr hinterfragen, oder unser Wissen Lücken aufweist, ähnlich wie bei Eifersucht in einer Beziehung. – genau dort lassen sich Zweifel säen. Dort sind wir anfällig für Verschwörungstheorien.
Haben sie sich eigentlich schon mal gefragt, woher die wunderschönen Kondensstreifen hinter Flugzeugen kommen? Das sind künstliche Wolken, die durch das Aufeinandertreffen von heißen Abgasen mit kalter Luft entstehen. Anhänger der Chemtrail-Verschwörungstheorie glauben allerdings nicht an künstliche Wolken. Sie glauben, dass die Regierungen der Welt Flugzeuge einsetzen, um großflächig Giftgas zu versprühen. Diese Giftgasspuren am Himmel nennen sie Chemtrails. Worum es sich bei diesem Gift handelt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Etwas, das Männer unfruchtbar macht, verhaltensverändernde Drogen, die uns hörig machen sollen, Stoffe, die unsere Gene verändern, oder am besten gleich alles zusammen. Diese Verschwörungstheorie entkräftet sich einfach durch die Frage nach den beteiligten Personen. Das gilt übrigens für fast alle Verschwörungstheorien – überlegen Sie doch einmal, wieviele Leute man involvieren muss, um sechs Mondlandungen zu fälschen! Oder, im Falle der Chemtrails, im großen Stil Tonnen von Gift in Flugzeuge zu verfrachten und mittels streng geheimer Giftsprühvorrichtungen hübsche Giftspuren in den Himmel zu sprühen. Wie wahrscheinlich ist es ihrer Meinung nach, dass keine der vielen beteiligten Personen an die Öffentlichkeit geht? Beziehungsweise es sich herumspricht. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber ich habe schon einmal versucht, etwas geheim zu halten. Menschen sind nicht besonders gut im Bewahren von Geheimnissen und schon gar nicht in einer solchen Größenordnung. Das Schlimme an der Sache mit den Chemtrails ist, dass der Glaube an diese Theorie bei ihren Anhängern zu tatsächlichen Verhaltensveränderungen führt. Wenn die Streifen am Himmel zu sehen sind, geht der eine oder andere vielleicht nicht mehr vor die Tür. Das hat natürlich auf die Dauer Auswirkungen auf das Sozialleben. Es führt sogar so weit, dass Einbildung wirklich krank macht. Viele klagen über Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder Übelkeit, wenn der Himmel mal wieder „besonders verseucht“ ist. Das nennt man den „Nocebo-Effekt“, eine nicht wirklich verabreichte Substanz verursacht einen negativen Effekt.
Es gibt viele weitere Beispiele gängiger Verschwörungstheorien, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte.
Verschwörungstheoretiker bezeichnen sich selbst selten als solche, sie sehen sich viel mehr als Skeptiker und Querdenker an. Im Internetjargon bezeichnen sie sich als “Truther”, was man vielleicht als “Wahrheitssuchende” übersetzen kann. Man kann natürlich danach fragen, was grundsätzlich falsch daran sein soll, die offizielle Version von Geschehnissen anzuzweifeln und zu hinterfragen. Daran ist selbstverständlich nichts falsch, kritisches Denken und Skepsis sind ein wichtiger Teil der menschlichen Natur. Und es gibt eben auch viele Beispiele, wo sich die offizielle Version einer Geschichte im Nachhinein als falsch herausstellt. Es gab und gibt sie, die wahren Verschwörungen. Würde man nichts mehr hinterfragen, hätten diese Vorgänge nie ans Tageslicht kommen können.
Das Problem an Verschwörungstheorien ist, dass sie eben dieses kritische Denken mit der Zeit aushebeln. Kritisch bedeutet nämlich vor allem, einen Vorgang nicht einseitig zu betrachten. Es bedeutet verschiedene Behauptungen und angebliche Fakten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und abzuwägen. Wenn aber eine Verschwörungstheorie, oder ein Komplex aus verschiedenen Verschwörungstheorien, sich bei einem Menschen zu einem Weltbild formen, dann wird es schwer für ihn, davon abzulassen. Eine gewisse Betriebsblindheit stellt sich ein und man bedient sich nur noch an Informationsquellen, die zum eigenen Weltbild passen und es immer wieder bestätigen. Ein ähnliches Phänomen wie es auch bei religiösen Gruppierungen der Fall ist. Denn Verschwörungstheorien werden für viele ihrer Anhänger tatsächlich zu einer Art Ersatz-Religion. Unsere Welt ist heutzutage sehr komplex und wird immer komplexer. Es ist unmöglich für einen einzelnen Menschen alle Zusammenhänge zu sehen und zu verstehen. Es ist aber ein Bedürfnis des Menschen, seine Welt verstehen zu wollen. Wie Religionen, bieten auch Verschwörungstheorien einfache Erklärungen, weshalb die Welt so ist, wie sie ist. Ihr Ansatz ist, dass die Welt so ist, weil finstere Mächte wollen, dass es so ist.