Autor:in: Anonym

von A bis Z

Es gab einmal eine Welt der Buchstaben von A bis Z. Alle waren dort vorhanden, alle gehörten zusammen, alle waren miteinander verknüpft durch die den Buchstaben üblichen Bezüge.
Zugleich gab es auch eine Welt, in der Menschen lebten. Alle hießen Mensch: ob Mann, Frau oder Kind. Alle gehörten in diese eine Welt hinein, alle wollten sich dort sehen und von anderen gesehen werden. Alle wollten von anderen Menschen gemocht und anerkannt werden.

Die Menschen konnten denken und sich Vorstellungen über sich selbst und die Welt bilden. So gab es je eine von Menschen gedanklich geschaffene Welt für jeden einzelnen Buchstaben. Diese beseelte den Buchstaben, machte ihn durch ihre Gestalt lebendig.

Über das A erzählten Menschen beispielsweise, dass dort ein Autist lebt. Die Welt des Autisten – redeten sie – ist sehr einsam. Der Autist hat allein das A für sich und sonst nichts. Er denkt A, macht A, isst A – er heißt A.

Der Buchstabe Z war anders belebt. Es redete sich herum, dass das Z alle Bildungsgipfel erklommen hat und beherrscht daher nicht nur die eigene Welt. Es meint starken Einfluss auf die Welten anderer Buchstaben zu haben. Die Welt des A gehört dazu. Da Z und A außerdem noch miteinander verwandt sind, ist es für das Z selbstverständlich, dass es Kritik über das A, über den Autisten, übt, dass es das A zu Z ausbilden will. Aber das A zeigt sich nicht beeindruckt davon. Der Autist will nichts und kann nichts anderes als das A für und um sich zu haben.

Das Z ist von den Gedanken der höchsten möglichen Entfaltung durchdrungen – und so nannten es Menschen: Zenit. Außerdem redeten sie, dass das Z eine besondere Energiequelle besitzt. Darum vermag es alles, auch für andere Buchstaben-Welten. Barrierefrei fallen ihm alle Invasionen in die Welt des A. Auch den Gedanken des immerwährend Siegenden scheut das Z nicht.

Außer Z und A gab es im Alphabet eine farbenfrohe Vielfalt anderer Buchstaben. Vieles sagte man über jeden Buchstaben und ihre Welten nach. Vom M hörte man zum Beispiel, dass dort die Mutter lebt, dass sie dort mit einem dicken Gesäß versehen ist und dass sie in einer undurchdringlichen Welt existiert. Vom V dachten die Menschen schon immer, dort lebt der Vater. Niemand hat ihn jedoch je zu Gesicht bekommen, aber das Hören über ihn verstummte nicht. Ansonsten: das G soll gestört sein, das T bekommt immer wieder Ticks. Für das F war üblich, dass Menschen es für faul halten. Das D soll in seine Dekadenz verliebt sein. So glaubten alle, dass das B bäuchig, das W wirr bei jedem Behaupten ist, und noch viel duftere Sachen über das N, das dem Narziss gleicht.

Auf diese Weise redete und dachte sich wie von selbst Anrüchiges hinter jedem Rücken, nur dem Z erging es so, dass es von allen erhöht wurde. Allein im Untergrund war eine Stimme hörbar, dass das Z durchgedreht ist, da es zeitgleich nach links und rechts guckt und sich erträumt, alle und alles zu überblicken und unter seiner Kontrolle zu behalten. Dem Traum folgt seine Tat.

Ob die Inhalte dessen, was man dachte, wahr waren, wusste man – während die Welten der Mangelhaften und des Z samt ihren Verwandtschaften bestanden haben – nicht. Vielleicht endeten diese Existenzen einmal, vielleicht trat einmal die große Entwirrung an die Stelle.